Flüchtlingsströme: Was geht uns das an?
Unter dem Titel „Flüchtlingsströme- Eine Spurensuche“ lud die Außenstelle der Südtiroler Hochschülerschaft am diesem Mittwoch an der Universität Innsbruck zu einem Vortag der beiden jungen Südtiroler Foto-Publizisten von „Collectiv-Way“ ein. Unerwartet viele Besucher folgten der Einladung, um etwas über die persönlichen Erfahrungen von Andreas Trenker und Alexander Indra zu hören. Die hohe Teilnehmerzahl zeigt auf, welche Brisanz das Thema Migration für die Zivilgesellschaft hat.
Gemeinsam machten sich die beiden Südtiroler im vergangen Jahr zu Recherchen nach Süditalien auf den Weg, um das tatsächliche Ausmaß illegaler Einwanderung in Süditalien zu dokumentieren. Ihre mit der Kamera festgehaltenen Erfahrungen erzählen von den tragischen Einzelschicksalen jener Menschen, die ihre Familien, Freunde und ihre Heimat aufgeben, um sich in Europa den Traum von einem besseren Leben zu erfüllen. Es sind bewegende Bilder und Geschichten, die die beiden von ihrer Reise zu den sogenannten „Hotspots“ illegaler Einwanderungen wie Augusta, Mineo oder Lampedusa mitbrachten. So wie zum Beispiel die Geschichte des Syrers Ahmed, der in Augusta verzweifelt auf der Suche nach einem Lebenszeichen seiner Verwandten war. Sie befanden sich bei ihrer gefährlichen Überfahrt auf mehreren Booten, die irgendwo zwischen Malta und Lampedusa hilflos vor sich hintrieben. Erst nach drei Tagen auf offener See konnten sie durch die italienische Küstenwache gerettet werden. Einer von tausenden Fluchtversuchen, bei denen Unmengen von Menschen ihr Leben verlieren.
Was kann die Politik unternehmen?
Um die Frage zu beantworten, was die Politik – auch auf lokaler Ebene – in der aktuellen Situation unternehmen kann, lud die Südtiroler Hochschülerschaft zu einer von Eberhard Daum moderierten Podiumsdiskussion mit Vertretern der Südtiroler Parteien. Anwesend waren Hans Heiss (Grüne), Sven Knoll (Süd-Tiroler-Freiheit), Pius Leitner (Freiheitliche) und Matteo Da Col (Partito Democratico). Als Vertreter der SVP musste Zeno Christanell einspringen, da Soziallandesrätin Martha Stocker kurzfristig verhindert war.
In einem Punkt waren sich alle Podiumsgäste einig. Auf die Situation der Flüchtlingsströme an den Grenzen Europas kann die Europäische Union letztlich nur einheitlich reagieren. So brachte Pius Leitner sein Unverständnis darüber zum Ausdruck, dass Italien in Unternehmungen wie „Mare Nostrum“ die Gesamtkosten der Mission trage, obwohl die Auswirkungen der Flüchtlingssituation Gesamteuropa beträfen. Auch die Bestimmungen des Dubliner Übereinkommens wurden kritisiert. Der Völkerrechtsvertrag zwischen den Staaten des Schengener-Abkommens sieht vor, dass sich jenes Land einem Flüchtling annehmen muss, in dem dieser erstmalig europäischen Boden betritt. In der Praxis führt dies jedoch dazu, dass die von den Flüchtlingsströmen betroffenen Staaten, Ankünfte einzelner Flüchtlinge vorsätzlich nicht dokumentieren, um eine Unmenge an Asylanträgen zu vermeiden. Die Erstaufnahme erfolgt in einem anderen Land wie Deutschland, Holland oder Schweden, so Zeno Christanell von der Südtiroler Volkspartei. Auch die Flüchtlinge selbst tragen meist keine offiziellen Dokumente mit sich, da ihr eigentliches Ziel nicht Italien, sondern eines der nordeuropäischen Länder ist.
Christanell: Höhere Quote ist vorstellbar
Auf die Frage, welche Verantwortung dabei auf die lokale Politik in Südtirol zukommt, verweist Hans Heiss auf den Vergleich mit dem Bundesland Tirol. So sei Tirol wesentlich bereitwilliger mehr Asylanträge aufzunehmen. Für SVP-Vertreter Christanell ist eine etwas höhere Quote an Asylanträgen prinzipiell kein Problem und durchaus vorstellbar, allerdings müsse dies in Absprache mit den anderen Regionen Italiens und mit dem Staat selbst erfolgen. Matteo Da Col kritisierte hingegen, dass die Thematik um die Flüchtlingspolitik von manchen Parteien und der Medienlandschaft politisch instrumentalisiert würde, um so eine negative Stimmung gegen die Flüchtlinge zu kreieren. Diese Tatsache, so Da Col, mache eine tatsächliche Integration statt der bloßen „Aufnahme“ der Flüchtlinge unmöglich. Für Sven Knoll muss die Lösung der Problematik wesentlich früher erfolgen. So unterscheidet er zunächst zwischen Kriegsflüchtlingen und Wirtschafts-MigrantInnen. Bei Kriegsflüchtlingen seien auch der EU oftmals die Hände gebunden, da der Auslöser für eine solche Flucht – der Krieg selbst – nur sehr schwer zu unterbinden sei. Die Flucht aus Armut und ökonomischer Perspektivlosigkeit könne hingegen sehr wohl von Seiten der Europäischen Gemeinschaft vorzeitig verhindert werden. Eine Verantwortung, die durch eine funktionierende Entwicklungspolitik gewährleistet werden müsse.
Anschließend konnten sich die zahlreichen Veranstaltungsbesucher an der Diskussion beteiligen. Kritisiert wurde vom Publikum, dass sich die Politik im öffentlichen Diskurs zum Thema zwar gesprächsbereit gäbe, ihre Entscheidungsfreudigkeit im politischen Alltag aber eine andere Realität widerspiegelt. So wurde beispielsweise erst kürzlich ein Gesetzesvorschlag im Südtiroler Landtag abgelehnt, der sich mit der Unterbringung von Flüchtlingen am Brenner beschäftigte. Lediglich die Abgeordneten der Grünen und der Landtagsabgeordnete Paul Köllensperger vom Movimento 5 unterstützen dieses Vorhaben, so ein Besucher. Sven Knoll rechtfertigte diese Entscheidung damit, dass es unvernünftig sei MigrantInnen nahe der Grenze unterzubringen – wohlwissend, dass das eigentliche Ziel der Asylwerbenden ein nördlicher EU-Staat sei. Sie direkt vor ihrem „Ziel“ unterzubringen sei nicht nur unmenschlich, sondern bringe auch die Gefahr vermehrter Unannehmlichkeiten an der Grenze mit sich.