"Recht auf Verteidigung ist wichtiger denn je"
Zuerst Nicola Canestrini, nun auch der Bozner Anwalt Stefano Zucchiatti: Die rechtliche Verteidigung von mutmaßlichen Terroristen kommt in den Sozialen Medien nicht gut an. Rund 2500 Drohungen folgten einem Facebook-Post von Lega-Chef Matteo Salvini, in dem er Canestrini für die Übernahme der Verteidigung des ausgewiesenen Pakistaners Usman Rayen Khan angriff. Nun wurde auch einer der Anwälte von Mitgliedern der vermuteten Meraner IS-Zelle heftig im Internet attackiert. Der Bozner Anwalt Stefano Zucchiatti selbst will auf die Angelegenheit gegenüber salto.bz nicht näher eingehen. Fakt ist, dass seine Aussagen zum Recht auf Verteidigung jedes Angeklagten und der Notwendigkeit, die Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung auch zu beweisen, auf der Facebookseite der Tageszeitung Alto Adige ebenfalls Morddrohungen und schwere Beleidigungen nach sich gezogen haben.
So schwer, dass nun auch die Strafkammer Bozen als Vertretung der heimischen Strafverteidiger mit einer Stellungnahme einschreitet: Darin wird unter anderem dazu aufgefordert, die verteidigende Aufgabe von Anwälten klar von einer Verteidigung von Straftaten zu unterscheiden. Auch weist die Kammer noch einmal auf Artikel 24 der Verfassung hin, in dem die Verteidigung in jedem Stand und jeder Stufe des Verfahrens als unverletzliches Recht garantiert ist. Ein Prinzip, an dem auch der Meraner Anwalt Thomas Schnitzer festhält, Pflichtverteidiger des in Meran festgenommenen Kosovaren Eldin Hodza.
Herr Schnitzer, Sie sind seit knapp zwei Wochen Anwalt eines vermuteten Dschihadisten. Werden auch Sie dafür in Sozialen Medien angegriffen?
Thomas Schnitzer: Mir sind zumindest keine solchen Angriffe bekannt. Ich war ehrlich gesagt darauf vorbereitet, dass ich mich für dieses Mandat viel stärker rechtfertigen muss. Und natürlich habe ich auch von den Übergriffen auf meinen Kollegen Zucchiatti gehört, der nun in der Causa Strafanzeige erstattet. Ich selbst bin aber bislang positiv überrascht, wie seriös mein Umfeld reagiert. Ich stehe schließlich als Freiberufler mit vielen Menschen und Kunden in Kontakt, mit Unternehmern wie Privatpersonen, darunter vielen Frauen. Auch wenn manche mit Skepsis auf die Nachricht reagiert haben, versteht eigentlich so gut wie jeder, dass ich eine Funktion in einem Rechtsstaat ausübe. Und wie gesagt: Auch im Netz habe ich zumindest bislang keine Angriffe entdeckt.
Wie wird man überhaupt zum Anwalt eines IS-Sympathisanten?
Eine Voraussetzung, um als Pflichtanwalt zu arbeiten, ist eine bestimmte Ausbildung. Und dann gibt es einen Turnusdienst, in dem man für bestimme Zeiten eingeteilt wird. Ich hatte in der Woche, in der die Verhaftungen in Meran vorgenommen wurden, Bereitschaftsdienst und bin dann von der Anti-Mafia-Behörde in Trient per Zufallsprinzip ausgewählt und zugeteilt worden. Ich musste dann sofort alles liegen und stehen lassen, um mir die 1200 Seiten dicke Akte zustellen zu lassen und zu studieren.
Hatten Sie selbst Zweifel an diesem Mandat?
Natürlich ist man auch selbst hin- und hergerissen. Doch zumindest am Anfang hat man nicht einmal die Möglichkeit, das Mandat abzuweisen. Ich habe mich in letzter Zeit aber auch unabhängig davon sehr mit meiner Funktion als Pflichtverteidiger beschäftigt, mit den Werten der Französischen Revolution, unseres Rechtsstaates und unserer westlichen Demokratie.
Sind Sie nach den vergangenen zwei Wochen weiterhin von diesen Werten überzeugt?
Ich bin fest davon überzeugt, dass jeder Mensch in unserem westlichen System ein Recht auf Verteidigung hat. Das ist meines Erachtens in dieser Zeit wichtiger denn je. Auch unsere Kinder sollen lernen, was ein Rechtsstaat mit all seinen Garantien ist. Im Kontakt mit meinem Mandanten habe ich es ebenfalls als eine meiner wichtigen Funktionen gesehen, ihm zu erklären, dass im Hintergrund gegen ihn ermittelt wurde, dass schwerwiegende Indizien gegen ihn vorliegen, dass er deshalb in Untersuchungshaft gebracht wurde und welche Rechte er nun hat. Ich habe also gewissermaßen im Kleinen die westliche Welt gegenüber der Scharia-Welt vertreten.
Wie meinen Sie das?
Ich schätze, dass mein Mandant in einer IS-Diktatur nicht so viele Rechte hätte. Wenn er dort in dieser Art beschuldigt wird, hätte er wahrscheinlich weder ein Recht auf Verteidigung, noch ein Recht auf das sogenannte rechtliche Gehör. Er hätte kein Recht auf ein Garantieverhör vor einem Richter und kein Recht auf einen Pflichtverteidiger. Das einzige Recht bestünde in vielen solcher Staaten auf eine Kugel in den Kopf, fürchte ich. Und dann würde sich vielleicht eine Woche später herausstellen, dass ein anderer Junge in Nachbardorf dem Beschuldigten zum Verwechseln ähnlich war und dieser der Schuldige war.
Schätzt Ihr Mandant all diese Rechte?
Er wird sicher schätzen, dass er noch lebt, aber gesagt hat er es mir nicht. Ich muss aber auch sagen, dass ich keinen persönlichen Kontakt zu ihm aufgebaut habe. Unsere Begegnungen finden auf sehr amtlicher Basis statt, im Rahmen der Verhaftung, im Rahmen des Garantieverhörs.
Eldin Hodza sitzt noch in Untersuchungshaft. Wird auch er auf freien Fuß gesetzt werden?
Bislang ist die Verfügung des Richters aus Rom in Kraft. Noch ist alles offen, doch in den nächsten Tagen wird es eine weitere Verfügung geben.
Andere Verhaftete sind bereits auf freiem Fuß, was bei Teilen der Bevölkerung für großes Unverständnis sorgt. Können Sie das nachvollziehen?
Natürlich, aber es gibt da vielleicht auch bei manchen Menschen ein Missverständnis. Nur weil jetzt zumindest zwei der Meraner Verhafteten wieder auf freiem Fuß sind, heißt es nicht, dass sie unschuldig sind. Vielmehr liegen nicht ausreichend schwerwiegende Indizien vor, um jetzt eine Aburteilung ohne Gerichtsprozess zu rechtfertigen. Doch hier geht es nur um die Untersuchungshaft, nicht um ein etwaiges späteres Verfahren.
Doch auch Berichte auf salto.bz zeigen auf, dass es sich bei den Verhafteten keineswegs um harmlose Mitbürger handelt.
Ja, diese Artikel waren auch mir bei meiner Arbeit hilfreich, Kompliment! Gerade in Zusammenhang mit den Attentaten von Paris sind diese Fälle auch für die Behörden sehr schwierig. Denn viel Haltbares an strafrechtlich relevanten Vorwürfen liegt nicht vor, selbst wenn die Anschuldigungen teils schwerwiegend sein mögen. Aber gleichzeitig trägt die gerichtliche Behörde nun auch die Verantwortung, wenn sie so jemanden freilässt und dann doch etwas passiert….
Gibt es zu wenig Beweise oder zu wenige Artikel in unserem Strafrecht, die auf terroristische Aktivitäten eingehen?
Es liegt auf der Hand, dass hier eine neue Realität auf uns zukommt, auf die sowohl die Gesetzgebung als auch die Jurisdiktion erst Antworten finden müssen. Denn der Artikel 270 bis des italienischen Strafgesetzbuches reicht dafür sicher nicht aus. Der war ursprünglich die Antwort des Gesetzgebers auf die Roten Brigaden. Dann kam die Mafia-Geschichte und jetzt soll dieser Gesetzesartikel auch noch gegen den internationalen Terrorismus herhalten. Es gab zwar nach der Konvention von Palermo eine kleine Anpassung in diese Richtung, doch damit werden wir den aktuellen Entwicklungen noch nicht gerecht.