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Das Damengambit

Eine aktuelle Netflix-Serie macht seit rund einem Monat die Runde und knackte erst kürzlich den hauseigenen Rekord in Sachen Abrufzahlen. Verdient?
Das Damengambit
Foto: Netflix

Heutzutage spielt Schach in der allgemeinen Wahrnehmung kaum mehr eine Rolle. Der Autor dieser Zeilen ist selbst zu jung, um Spieler wie Kasparow während ihrer Blütezeit erlebt zu haben, und einhergehend damit, die Relevanz, die Schach noch vor einigen Jahrzehnten innehatte, kaum kennt. Aus vertrauenswürdigen Quellen weiß er jedoch, dass der Kampf um das schwarz-weiße Brett früher mal durchaus Gesprächsthema auch zwischen Unkundigen war. Nun, vielleicht ändert sich das nun wieder. Was früher noch die Presse übernahm, wird nun möglicherweise von den Streamingdiensten bewältigt. Die Netflix-Serie „Das Damengambit“ erreicht so viele Zuschauer wie sonst keine andere Produktion des Dienstes, und schafft es, die Google-Suchen nach „How to play chess“ seit ihres Erscheinens gewaltig in die Höhe zu treiben. Die alten Meister werden erneut studiert, und der Sport ist wieder in aller Munde. Konkret geht es in der mit sieben Folgen doch recht überschaubaren Serie um die Schachspielerin Beth Harmon, der Protagonistin des Romans mit selbem Titel. Sie ist eine fiktionale Figur, und gleichzeitig eine Utopie, doch dazu später mehr. Zunächst lernen wir sie kennen, als ein kleines Waisenkind, deren Mutter bei einem Unfall verstorben ist. Beth wächst in einem Waisenhaus auf und kommt durch den grummeligen Hausmeister im Alter von neun Jahren erstmals in Kontakt mit dem Spiel Schach. Schnell lernt sie die Grundlagen und beginnt, sich für Taktiken und Manöver zu interessieren. Stets dabei sind auch die Beruhigungspillen, die man den Kindern verabreicht, Beth hingegen nutzt sie, um Nachts Schachfiguren an der Decke des Schlafzimmers erscheinen zu lassen und unzählige Spiele im Kopf zu schlagen. Später wird sie das Waisenhaus verlassen und adoptiert werden, und erste Turniere spielen, erste Siege erringen und die Karriereleiter immer weiter nach oben klettern, bis sie schließlich die US Opens gewinnt und sich im Haifischbecken der internationalen Schachwelt wiederfindet. Mehr sei zur Handlung nicht verraten, man sollte sich von ihr jedoch keine großen Überraschungen erwarten, vielmehr zeichnen die sieben Folgen, deren Zahl im Übrigen gut gewählt ist, den Weg eines Ausnahmetalents nach. Im Kern geht es hierbei nicht um Schach, sondern vielmehr um die Bürde des Talents, oder gar des Genies. Beth ist zwar eine brillante Spielerin, hadert jedoch mit sich und der Zwischenmenschlichkeit, noch dazu kommen Abhängigkeiten nach Alkohol und Tabletten. In der jungen Frau findet man deutliche selbstzerstörerische Tendenzen, und der Balanceakt, den ihre Karriere erfordert, ist nicht immer leicht zu vollziehen. Gespielt wird Beth von der argentinisch-britischen Schauspielerin Anya Taylor-Joy. Filmliebhabern wird sie bereits aus Werken wie „The Witch“, „Split“ oder „Vollblüter“ bekannt sein, zu letzterem gibt es hier auf Salto eine Kritik. Taylor-Joy beweist spätestens mit der Darstellung der Beth Harmon, dass sie zu den talentiertesten Schauspielerinnen ihrer Generation zählt. Mit was für einem Feingefühl für Nuancen sie den Charakter über sieben Stunden hinweg spielt, wie viel Unausgesprochenes dennoch glasklar durch die Kameralinse hin zu den Zuschauern transportiert wird, ist beeindruckend. Die zurückhaltende Art der Figur wird durch das minimalistische, aber sehr ausdrucksstarke Spiel wunderbar ausgeglichen. Selbst wer sich kein bisschen für Schach interessiert, wird allein von dieser Performance am Ball gehalten. Doch natürlich wird in „Das Damengambit“ Schach gespielt, viel Schach sogar, beinahe von Anfang an sitzen zwei Menschen an einem Tisch, in der Mitte ein Brett und schweigen, führen ihre Züge aus, die im Laufe der Serie immer komplexer und schwieriger nachzuvollziehen werden, und irgendwann siegt jemand, oder ein anderer gibt auf, oder man einigt sich auf ein Unentschieden. Was vielleicht trocken und wenig aufregend klingt, entwickelt selbst für Laien eine unerwartete Spannung. Brisant dabei ist natürlich das Geschlecht der Hauptfigur. Dass eine Frau Anfang der 60er Jahre die internationale, bis heute von Männern dominierte Schachwelt auf den Kopf stellt, ist reine Fiktion. Eine Beth Harmon hat es zumindest damals nicht gegeben, und selbst die weiblichen Talente der heutigen Zeit fliegen unter dem Radar. Beth steht für all sie und gibt ihnen eine Stimme. Sie tritt den Kampf gegen das Patriarchat an, ob sie ihn gewinnt, soll nicht verraten werden. Außerdem reflektiert die Serie den alten Konflikt zwischen den USA und der Sowjetunion. Beth wird in einem russischen Spieler ihren größten Konkurrenten finden, eine klare Analogie zum Kalten Krieg, und es darf durchaus als interessant befunden werden, wie die Serie mit diesem Verhältnis umgeht, und inwiefern der Kampf auf dem Schachbrett als Beispiel für den politischen Kampf steht.

So kann am Ende festgehalten werden, dass dies sieben gut investierte Stunden sind. Besonders jetzt, in Zeiten des Lockdowns bieten sich Serien und Filme ohnehin gut an. Und wer weiß, vielleicht wird ja jemand durch Beth Harmon dazu inspiriert, selbst Schach zu lernen. „Das Damengambit“ ist eine hervorragend gespielte, nachvollziehbar geschriebene, gekonnt inszenierte Serie. Und selbst der amtierende Schach-Weltmeister Magnus Carlsen hat sich zu Wort gemeldet und verlautbarte, dass ein Duell zwischen ihm und der fiktiven Beth Harmon ein spannendes und knappes sein würde.

 

Das Damengambit | Offizieller Trailer | Netflix