Culture | Salto Afternoon

Σαράντα. Quaranta. Vierzig.

Aus der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Kulturelemente: ein literarischer Gastbeitrag des Schriftstellers Kurt Lanthaler.
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Foto: Gregor Khuen Belasi

Miranda, auch Saranda genannt von Freunden, wobei nur allerbester Freunde leis augenzwinkern durften, wenn sie wieder einmal darauf bestand, der Name stamme von der Anzahl ihrer Ehemänner, und nicht, sie sei, also noch keine Dreißig, die sicher nicht, während Saranda, das sollte doch jedem dieser hier um sie herumstreunenden Süditaliener längst klar sein, Saranda als Name also genauso aus Griechenland komme wie, meinetwegen, Napoli, wobei Saranda schlicht: Vierzig bedeute.
   Ob sie mit dem Namen bereits zur Welt gekommen wäre?, wollte man wissen.
   »Natürlich nicht«, sagt Saranda. »Wer kommt schon mit einem Namen zur Welt? Aber, zur Taufe: Natürlich.« Zu der hätte sie, wie es sich gehöre, die Νονά, die Nunà also nicht nur getragen, sondern ihr auch den Namen mitgegeben: Σαράντα. Saranda. Wegen der auf sie zukommenden vierzig Ehemänner.
   Wie man solches vorherwissen wolle, fragte einer.
   »Wollen?«, sagt Saranda. »Das willst du nicht, du willst das nicht wissen. Aber du weißt es. Schließlich bist du die Nunà.«

Er ist im Opernblut aufgewachsen, als Kind schon sich hinter den Kulissen herumtreibend, sein Vater breitschultriger Kulissenschieber, stolzer Handwerker, der mit Freude leis verrückt geworden ist am Operngesang und dem Opernblut und dem Operndonner, das Kind ist bald das Maskottchen des Hauses und das Opernhaus sein Zuhaus, und als er dann ins Lehrlingsalter kommt, wird er, wie anders auch, Opernkulissenschieberlehrling mit Sonderauftrag Bewirtschaftung des Bühnenblutes, das erspart ihm auch den ungeliebten Militärdienst, und sobald auch das geklärt ist, bekommt er seinen Festanstellungsvertrag an der Oper Thessaloniki, Όπερα Θεσσαλονίκης, und damit ist sein Leben und dessen Rest festgeschrieben: In Opernblut.
   Dann aber, eines Tages, zieht die Troika auf ihrem glänzenden Streitwagen ins Land, und also Blitz und Donner und Schlachtenlärm und Blut. Und Sotiris ist seine Arbeit los und die Oper. Wär auch das Opernblut losgewesen, hätte er nicht alle gerade vorrätigen Kanister in der Nacht seiner Entlassung, während die Kollegen in Streik traten, aus der Oper geschafft.
   Als in seiner Wohnung dann der Strom abgestellt wurde, weil er eine Steuerschuld von fünfzig Euro nicht bezahlt hatte, versuchte er es einige Wochen mit Überleben, gab schließlich aber auf und siedelte, zusammen mit den Opernblutkanistern, in einen heruntergekommenen Park Thessalonikis um. Bis zum Tag der Großen Inversionslage.
   Eine Warmschicht hatte sich über die Kaltwetterlage Thessalonikis geschoben und damit den Deckel zugemacht. Und da die Menschen, die entweder keinen Strom in ihren Wohnungen oder kein Geld für Gas- oder Öllieferungen mehr hatten, erst Brennholz, dann alles was sie an Furnier und Spanpreß finden konnten, in ihren Öfen verheizten in diesem wirklich kalten Thessaloniker Winter, stieg binnen kurzem ein krächzender Rauch auf, stieß an die Inversionsdecke und setzte sich dann auf die Stadt, tagelang.
   Sotiris, obwohl Raucher ein Leben lang, kam kaum mehr zu Atem, selbst an der Paralia, der Hafenpromenade mit Blick über das Meer auf den schneebedeckten Όλυμπος, blieb ihm die Luft weg.
   Und so ging er zurück in den Park und zu seinen Opernblutreserven, füllte sich zwei Plastikflaschen ab und vergoß, kaum war die Nacht dunkel und menschenleer geworden, den Rest des Opernblutes in das nahe Meer. Dann ging er an den Bahnhof, stieg in den nächsten Zug, bis er schließlich, Tage später, als schwarzfahrender, blutführender Passagier in Brindisi angekommen war. Und dann in Napoli. Saranda erwartet ihn schon.

Als Saranda eines Tages mit einem neuen Freund auftauchte, den zu ehelichen sie sich weigerte, um ihres Namens nicht verlustig zu gehen, da dies rechnerisch ihr einundvierzigster Ehemann geworden wäre, was mit Σαράντα, Saranda, und also Vierzig, sich nicht mehr ausgegangen wäre, und als Sandro, Sarandas neuer Freund, der es, ginge es nach Saranda, nie zu Sarandas Ehemann bringen würde, im Rahmen eines kleinen Umtrunkes, der eigentlich eine Reihe von Trinkereien die Spaccanapoli hinauf samt Halt an jeder Trinkstelle gewesen war, wobei der Tag sich längst in den Abend verneigt hatte, als sie schließlich vor Mimì della Ferrovia standen, uneins, ob einem das Lokal nicht allzu tourterroristisch, Sarandas neuer Freund, Sandro, dem wohl ein bißchen langweilig geworden war ob der Disputiererei oder durstig nach all dem Getrinke, als also Sarandas neuer Freund, der es nie zu Sarandas Ehemann bringen sollte wegen der Sache mit den Vierzig, noch bevor er die Bierflasche ausgetrunken und ins Gebüsch geworfen, seinem Nebenüber gegenüber behauptet hatte, er seinerseits hätte bis anhin hundert Frauen sich geheiratet, trotz seines eher jugendlichen Alters, und als dies die Runde in der Runde machte, und einer der Freunde Sarandas, Sotiris, ein eben aus Thessaloniki angereister Arbeitsloser, der beschlossen hatte, sich unter die Arbeitslosen Napolis zu mischen, zumindest für einige Zeit, dieser Freund Sarandas aus alten Thessaloniker Zeiten also dreht sich Saranda zu und sagt: »Einundvierzig Prozent. Verstehe. Σαρανταένα τοις εκατό. Kαταλαβαίνω.« Worauf Saranda ihn ersticht.

Noch völlig außer Atem lehnt Sandro an einer Wand ein paar Gassen weiter. Kotzt sich den Rest seiner Seele aus dem Rest seines dürren Leibes und flucht. Womit er, hier in der Umgebung der Stazione di Napoli Centrale, nicht weiter auffällt. Als das Gröbste vorbei ist, rutscht er zu Boden. Lehnt den Rücken an die Wand und haut den Kopf an die Wand. Ich glaubs nicht. ‘A mala nuttata e ‘a figlia femmena. Ersticht diese Saranda diesen Sotiris. Weil er einundvierzig Prozent gesagt hat. Griechen! Einundvierzig von Hundert.
   Ein Polizist will seine Papiere sehen. Sandro schüttelt nur den Kopf. ‘A mala nuttata e ‘a figlia femmena. Daraufhin schlägt der Polizist mit dem Knauf seiner Dienstpistole zu. Er lasse sich weder einen schlechten Fick noch eine Tochter einreden, von so einem. Dann schießt er.

Miranda, auch Saranda genannt von Freunden, macht sich ans Meer auf. Und schüttet am Castel dell’Ovo zwei Plastikflaschen Opernblut in den Golfo di Napoli. »Nicht zu glauben. Wohin du auch kommst: Nur Ärger«, sagt sie. »Addò vaje, truove guaje.«