Die Mafia passt sich an
In der Nacht von 8. zum 9. Mai 1978 wurde der Anti-Mafia-Journalist Peppino Impastato in der sizilianischen Kleinstadt Cinisi aus seinem Wagen gezerrt, mit einem Stein erschlagen und an die Schienen eines Bahnübergangs gefesselt. Dann deponierte man einen Sprengsatz neben ihm und zündete ihn fern. Auftraggeber des Mordes war der Mafiaboss von Cinisi, Tano Badalamenti.
Mafiaopfer Peppino Impastato
38 Jahren später, am 6. Januar 2016, wurde in Impastatos Stadt der 100-jährige Geburtstag eines gewissen Procopio Di Maggio prächtig gefeiert. Erst nahm der gutgelaunte Greis vor seinem Haus die Huldigungen vieler Einwohner von Cinisi entgegen, dann ging es mit einem üppigen Bankett weiter und zum Abschluss gab es ein Riesenfeuerwerk. Di Maggio war in jungen Jahren „picciotto“ („Mafiajunge“) im Dienst von Badalementi. Später stieg er selbst zum mächtigen Paten auf und schaffte es bis in die „Mafiakuppel“ des (seit Jahren einsitzenden) Bosses der Bosse, Totò Riina.
Auf die Macht kommt es an
Cinisi ist nur ein Beispiel dafür, wie tief verwurzelt die organisierte Kriminalität – ob sie Mafia, Camorra, N’drangheta oder Sacra Corona Unita heißt – in der italienischen Gesellschaft ist. Tief verwurzelt und zugleich anpassungsfähig. Ganz unideologisch sucht sie sich „Ansprechpartner“ in Politik und Verwaltung unter denen, die gerade am Ruder sind. Früher waren die Democrazia Cristiana und dann Berlusconis Partei besonders kooperativ, aber die Bereitschaft, sich von der Mafia infiltrieren zu lassen, ist parteiübergreifend. Für die Mafia zählt, wer die Macht hat. Ob rechts oder links, das ist völlig wurscht. Wie man am Fall der „Mafia Capitale“ gut beobachten konnte: In Rom liefen die Geschäfte hauptsächlich mit Leuten der PD, weil sie jahrzehntelang in der Hauptstadt regiert hatte und über entsprechende Positionen und Seilschaften verfügte.
So ist es nicht überraschend, dass sich die organisierte Kriminalität nun auch für die 5-Sterne-Bewegung interessiert, die den Kampf gegen die „politische Kaste“ und die Korruption ganz oben auf ihre Fahne schrieb. Man sucht Anschluss dort, wo die „Grillini“ die richtigen Posten besetzen, d. h. in den Kommunen, in denen sie regieren und die Bürgermeister stellen. Was nicht heißt, dass die mafiöse Werbung immer erfolgreich ist. Aber eben manchmal doch. Schließlich haben auch die Grillini – wie es so schön heißt – „Familie“ („tengono famiglia“).
Der Fall Quarto
Die Kleinstadt Quarto in der Provinz Neapel regierte die 5-Sterne-Bewegung. Inzwischen wurde jedoch die Bürgermeisterin Rosa Capuozzo aus der Bewegung ausgeschlossen, die Führung forderte sie zum Rücktritt auf. Ein paar Tage lang versuchte sie, dem Druck standzuhalten, dann warf sie am vergangenen Donnerstag das Handtuch.
Die damit zusammenhängende Camorra-Affäre betrifft allerdings nicht in erster Linie sie, sondern ihren Parteifreund Giovanni De Robbio. Er trat schon vorher zurück, nachdem bekannt geworden war, dass er mithilfe des Camorra-Clans Cesarano in den Gemeinderat gewählt worden war. Als Gegenleistung sollte er dafür sorgen, dass die Cesaranos bei der Vergabe öffentlicher Aufträge begünstigt wurden. Laut Abhörprotokoll hatte ein Mitglied des Clans unumwunden erklärt, man habe zuerst auf einen PD-Mann gesetzt, sei aber dann wegen der besseren Erfolgsaussichten auf den Grillino umgeschwenkt. Der sich als „ansprechbar“ erwies.
Und nach seinem erzwungenen Rücktritt auch noch dreist versuchte, die Bürgermeisterin zu erpressen. Capuozzo erzählte der Staatsanwaltschaft, dass ihr De Robbio auf seinem Handy Fotos des Hauses zeigte, in dem sie wohnt und das ihrem Mann gehört. Und zwar mit Anspielungen auf mögliche baurechtliche Unregelmäßigkeiten. Bedeutungsvoll fügte er hinzu, die Fotos seien „sicher aufbewahrt“. Um dann mit dem „Vorschlag“ zu kommen, ihm doch bitte schön die Zuständigkeit für die Bereiche Bauwesen/öffentliche Arbeiten zu übertragen. Capuozzo tat es nicht, aber beging den Fehler, den Erpressungsversuch nicht sofort den Behörden anzuzeigen. Mit einer wenig überzeugenden Begründung: Erst habe sie nicht kapiert, dass sie bedroht bzw. erpresst wurde (!); später habe sie geschwiegen, „um die Stadtverwaltung vor Schaden zu bewahren“ (?).
Die Führung der 5-Sterne-Bewegung – neben Grillo und Casaleggio vor allem das „starke Trio“ Di Maio, Fico und Di Battista – reagierte zunächst konfus. Erst versuchte Grillo mit einer mehr als unglücklichen Erklärung die Affäre herunterzuspielen: „Die Stimmen der Camorra waren doch nicht entscheidend, wir hätten auch ohne sie die Wahl gewonnen!“. Als ob das die Frage wäre. Danach hielt Grillo lieber die Klappe. Jetzt wurde für Quarto die Parole ausgegeben: „Weg mit der ganzen alten Garde, Neuanfang!“. Es dürfe „nicht der Hauch eines Verdachts“ bestehen, dass die Bewegung irgendetwas mit der Camorra was zu tun habe, zumal Bürgermeisterin Capuozzo die Führung nicht rechtzeitig und korrekt informiert habe. Was Capuozzo vehement bestreitet. Stattdessen habe man sie „völlig allein gelassen“, die Führung der Bewegung sei vor der mafiosen Bedrohung „einfach davon gelaufen“.
Häme ist fehl am Platz
Es ist schwer zu durchschauen, was wirklich passiert ist und wo die konkreten Verantwortlichkeiten liegen. Mit Sicherheit war die Bürgermeisterin überfordert. Zunächst hat wohl auch die grillinische Führung die Sache unterschätzt. Und ließ sie sogar eine Weile laufen, vielleicht in der Hoffnung, es würde nicht so schlimm kommen.
Was bleibt, ist die bittere Erkenntnis, dass keine politische Kraft in Italien behaupten kann, gegenüber dem Virus Mafia immun zu sein. Sicher sind die einen anfälliger, die anderen resistenter. Aber die Seuche kann alle treffen. Und sie trifft auch alle.
Auch deswegen ist es erbärmlich, wenn jetzt die PD hämisch die Quarto-Affäre als Beweis für die moralische Verkommenheit der Grillini auszuschlachten versucht. Ich bin politisch von der 5-Sterne-Bewegung wirklich weit entfernt. Aber eins ist gewiss: Bevor die PD mit dem Finger auf die Grillini zeigt, weil sie etwas mit der organisierten Kriminalität zu tun hätten, sollte sie vor der eigenen Haustür kehren. Und zwar gründlich. Gleichzeitig wären auch die Grillini gut beraten, mit ihrem Anspruch, die „Saubermänner der Nation“ zu sein, etwas bescheidener aufzutreten.