„Dieses Buch macht glücklich“
Zugegeben, es ist ironisch, fast schon dreist, in einem Winter wie diesem ausgerechnet ein Buch mit dem Titel „Der letzte Schnee“ zu präsentieren. Aber ich halte es mit Elke Heidenreich, die im Literaturclub des SRF kürzlich die kühne Behauptung aufgestellt hat, dieses Buch mache glücklich.
Inhaltlich dreht sich „Der letzte Schnee“ um Georg und Paul, die tagein tagaus an ihrem alten Schlepplift in einem Graubündner Bergdorf Wache halten...
Aber bleiben wir noch kurz bei den Äußerlichkeiten. Dieses schmale Bändchen ist auch optisch und haptisch einer Erwähnung wert. In seiner eleganten Schlichtheit glänzt das silberne Cover wie eine frische Schneedecke in der Sonne und das Papier lädt mit seiner Geschmeidigkeit wieder und wieder zum Blättern ein – was sich sprachlich wie inhaltlich absolut lohnt.
Inhaltlich dreht sich „Der letzte Schnee“ um Georg und Paul, die tagein tagaus an ihrem alten Schlepplift in einem Graubündner Bergdorf Wache halten, während sich die Welt um sie herum weiterdreht, der Schnee weniger wird und mit ihm auch die Touristen. Mit naiver Gewissenhaftigkeit zählen sie jeden Morgen die Bügel, stapeln die Tickets nach Farben sortiert und schlagen die Tafel vor dem Hüttli in den Schnee. Minutiös notiert Georg jeden einzelnen Vorgang in ihrem „Schurnal“, als hinge davon das Fortlaufen der Welt ab. Ein Journal der Banalitäten, der schriftliche Beweis für ihre Rückschrittlichkeit und ihre schneeflockenwinzige Rolle auf der Welt. Unbedeutend sind auch ihre täglichen Kommentare zum Wetter, zum Winter, zum Schnee. Und während sich um die beiden herum eine lähmende Ereignislosigkeit breit macht, schleicht sich in ihre anekdotenartigen Gespräche (oder vielmehr in die Monologe des geschwätzigen Pauls) ganz leise ein Philosophieren über ihre Vergangenheit, die Liebe, die Zukunft der Kinder und schließlich den Tod ein: „Die meisten hatten sich angewöhnt, im Sommer zu sterben und nicht im Winter, aber hin und wieder gab es halt einen Querulanten, der sich nicht an die Vorgaben halten wollte […]. Aber wenn sie mal gestorben sind, ist da meistens nicht mehr viel zu machen, gestorben ist gestorben, oh jo.“
Überaus geschickt verflicht er Hochdeutsch mit Einsprengseln auf Schwyzerdütsch, Rätoromanisch und grafisch eingedeutschten Gallizismen.
Überhaupt sind es die leisen Zwischentöne, die Arno Camenisch meisterhaft beherrscht, ja, es ist diese hintergründige Ironie unter der Tarnkappe berglerischer Einfalt, die „Der letzte Schnee“ zu einem wahren Lesevergnügen macht. Höchst amüsiert und kopfschüttelnd liest man lakonisch-kryptische Lebensweisheiten à la „Die Schule ist ein Gartenschlauch.“
Bekannt ist Camenisch vor allem auch wegen seiner eigenwilligen Sprache. Überaus geschickt verflicht er Hochdeutsch mit Einsprengseln auf Schwyzerdütsch, Rätoromanisch und grafisch eingedeutschten Gallizismen. Was sich nach forciertem Lokalkolorit anhören könnte, bringt in Wirklichkeit Sprachblüten wie „sich eine Herzbaracca einfangen“ hervor.
Und als plötzlich der alte Schlepplift und somit auch die Welt der beiden Liftmänner stehenbleibt, ist es ausgerechnet der wortkarge Georg, der die Quintessenz des Buches in einen Satz fasst: „Godo kommt nicht, sagt der Georg und schaut in den Himmel. Wer, fragt Paul und schaut auch hoch.“