Don Luis und seine Kinder
“Don Luis und seine Kinder”. Es wäre ein passender Titel, würde die Geschichte von Ludwig Thalheimer verfilmt. Vor über 30 Jahren hat der Bozner Fotograf Kinder in Costa Rica fotografiert. 2017 hat er Land und damalige Protagonisten wieder besucht. Im Buch “Costa Rica Time Warp” erzählt er die fotografische Zeitreise nach. Anfang Februar hat es Thalheimer in der costa-ricanischen Hauptstadt präsentiert.
Zurück in Südtirol spricht Thalheimer über die ergreifenden Momente in San José, seine neue Familie – und eine Freundschaft, die, nach 30 Jahren wiederentdeckt, nicht wieder enden soll.
salto.bz: Herr Thalheimer, wie lief die Buchpräsentation ab? Wer war dabei?
Ludwig Thalheimer: Im Auditorium der Humboldt-Schule waren schätzungsweise 150 Personen anwesend, darunter viele Schüler und Schülerinnen der Schule. Auch Vertreterinnen des Kulturministeriums und der Deutschen Botschaft waren anwesend, und natürlich Pressevertreter. Besonders gefreut hat mich, dass ein großer Teil meiner “Kinder” zur Präsentation erschienen war. Ich hatte sie einzeln im Vorfeld kontaktiert und eingeladen, weil ich ihnen ja endlich das fertige Buch überreichen wollte.
Es war eine sehr ergreifende Präsentation – vor allem gegen Ende der Vorstellung...
Kein leichtes Unterfangen?
Teilweise mussten sie sich dafür eigens von der Arbeit frei nehmen, und Laura Vásquez Rivas aus Quepos nahm sogar eine mehrstündige Busfahrt auf sich, um dabei sein zu können! Das Buch habe ich gemeinsam mit der Journalistin Mercedes Agüero präsentiert, die mir bei der Recherche im Jahr 2017 behilflich war und ohne die ich das Projekt nie hätte realisieren können. Überraschend war dann auch, dass die großen Tageszeitungen “La Teja” und “La Nacion” eine ganze Woche lang ganzseitige Berichte über das Projekt und die Protagonisten veröffentlichten. Das Medienecho war wirklich enorm!
Wie emotional war die Veranstaltung? Waren Sie aufgeregt?
Ja, es war eine sehr ergreifende Präsentation! Vor allem gegen Ende der Vorstellung, als einige meiner “Kinder” spontan zum Mikrofon griffen und in persönlichen Statements ihre Erfahrungen schilderten.
Ich habe die Protagonisten durch mein Foto- und Buchprojekt zu einer neuen großen “Familie” verbunden. Und das ist für mich eigentlich das Schönste an der Fotografie...
Welche?
Mauricio zum Beispiel, der als Junge auf der Straße Autos waschen musste und heute als Busfahrer arbeitet, sprach unter Tränen zum Publikum und appellierte an die Schüler und Schülerinnen, dass sie die Chance, eine Schule besuchen zu können, nutzen sollten. Er selbst musste seine Kindheit zum großen Teil auf der Straße verbringen und schilderte, wie schlimm das gewesen war, ständig der Gefahr des Missbrauchs und der Gewalt ausgesetzt zu sein. Und Melida, die 1986 mit 22 Jahren alleine für ihre kleine Tochter Nathalie sorgen musste, berichtete ebenfalls von ihrer harten Kindheit und Jugend. Sie musste als Mädchen tagsüber hart arbeiten und konnte nur nachts für die Schule lernen. Diese Auftritte waren nicht geplant und sehr spontan, dafür umso authentischer und ergreifend! Die Schüler und Schülerinnen und alle anderen Anwesenden waren sehr beeindruckt und betroffen.
Welche ist die schönste Erinnerung, die Sie aus San José mitbringen?
Die Präsentation war auch das erste Mal, dass die Protagonisten meines Buches einander begegneten. Sie kannten sich vorher ja nicht. Ich habe sie durch mein Foto- und Buchprojekt gleichsam zu einer neuen großen “Familie” verbunden. Und das ist für mich immer etwas ganz Besonderes und eigentlich das Schönste – wenn Fotografie nicht nur ein Abbildungsprozess ist, sondern zu Interaktionen zwischen Menschen führt, die sich sonst gar nicht kennen würden.
Das Medienecho aufgrund der Buchpräsentation war wirklich enorm!
Wie würden Sie die Beziehung zu Ihren “Kindern” beschreiben?
Durch dieses Fotoprojekt ist – zumindest aus meiner Sicht – eine gewisse Verbundenheit entstanden, die sich über das Projekt hinaus fortsetzt. Ich bin ja im Verlauf meiner Recherche und zuletzt der Buchvorstellung allen Protagonisten schon mehrmals persönlich begegnet, ich kenne ihre Lebensgeschichten, und mit etlichen bin ich nach wie vor in Kontakt, vor allem in sozialen Medien wie beispielsweise Facebook. Seit das Buch erschienen ist, scheint mir, dass sich diese Verbindung gefestigt hat. Vielleicht, weil alle sehen, dass ich es tatsächlich ernst gemeint hatte und dass ihre Geschichten jetzt wirklich in einem Buch veröffentlicht sind. Bei einigen merke ich deutlich, dass sie diese – von ihnen so empfundene – “Berühmtheit” genießen und schätzen.
Was drückt eigentlich der Name “Don Luis” aus, auf den Sie in Costa Rica getauft wurden?
Das kommt daher, dass ich auf meinen Reisen in Mittel- und Südamerika immer Luis genannt wurde, weil Ludwig dem spanischen Luis entspricht und leichter auszusprechen ist – und mein Nachname wäre sowieso unaussprechlich! “Don Luis” bedeutet also einfach nur “Herr Ludwig”. Es ist in Costa Rica üblich, dass man “Herr” oder “Frau” dem Namen voranstellt.
Vielleicht kommen mich meine “Kinder” ja hier einmal besuchen…
Ist Ihr Projekt “Costa Rica Time Warp” nun abgeschlossen?
Mit der Veröffentlichung des Buchs ist mein Projekt zumindest am gesetzten Ziel angelangt. Es ist – auch physisch – das Ergebnis meiner fotografischen Spurensuche. Das bedeutet aber nicht, dass alle Kontakte abgebrochen wären, im Gegenteil: Ich verfolge weiterhin, was meine “Kinder” machen, und sie wiederum schreiben mir oder kommentieren meine Aktivitäten zum Beispiel auf Facebook. Und das freut mich auch, weil es zeigt, dass wir zumindest in Gedanken noch verbunden sind.
Werden Sie nach Costa Rica zurückkehren?
Ob und wann ich zurückkehre, kann ich nicht sagen. Alles kann und nichts muss, wie man so sagt. Und vielleicht kommen mich meine “Kinder” ja hier einmal besuchen…