Politics | Schule

Standard und Aufbau

Ein praktikabler Ausweg aus dem Schulsprachendilemma. Ein Gastkommentar des ehemaligen Präsidenten des Landesgericht Heinz Zanon.
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Foto: Taylor Flowe on Unsplash
Es ist erfreulich und zu begrüßen, dass viele und zunehmend mehr italienischsprachige Eltern und Eltern von Migrantenfamilien ihre Kinder in die Schule mit deutscher Unterrichtssprache schicken, um es den Sprösslingen so zu ermöglichen oder zu erleichtern, die deutsche Sprache gut zu erlernen. Wann immer dies aber dazu führt, dass in einer Klasse die Schüler, die der deutschen Sprache überhaupt nicht oder nur sehr mangelhaft mächtig sind, allzu zahlreich oder sogar weitaus in der Überzahl sind, ergeben sich daraus ernstzunehmende Nachteile für die Schüler, die mit der deutschen Sprache keine Probleme haben, und auch immer wieder Stresssituationen und Schwierigkeiten für überforderte Lehrkräfte.
Unbestritten ist, dass allen Kindern ein Recht auf Bildung zusteht und dass alle Eltern ihre Kinder in eine Schule ihrer Wahl schicken können. Dazu ist allerdings anzumerken, dass Artikel 19 des Autonomiestatuts festschreibt, dass der Unterricht in den Grundschulen und höheren Schulen Südtirols in der (italienischen bzw. deutschen) Muttersprache der Schüler durch gleichfalls muttersprachliche Lehrpersonen zu erfolgen hat. Es ergibt sich daraus, dass der muttersprachliche Unterricht nicht zielgerichtet erfolgen kann, wenn ihm zu viele Schüler einer Klasse wegen grober Sprachprobleme nicht folgen können und die Lehrpersonen ein Übermaß an wertvoller Unterrichtszeit und zu viele ihrer Anstrengungen darauf verwenden müssen, den Schülern mit den Sprachdefiziten auf die Sprünge zu helfen. Die Schieflage hat häufig ja zur Folge, dass Mitschüler ohne Sprachprobleme sich langweilen oder jedenfalls nicht hinreichend gefördert werden können. Die Quintessenz: ein Unterricht in Klassen mit einem abenteuerlichen Mix aus unterschiedlichen, in ihrer Sprachkompetenz stark auseinanderdriftenden und verschieden aufnahmefähigen Schülern ist kein autonomieadäquater Unterricht.
 
 
Die Schieflage hat häufig ja zur Folge, dass Mitschüler ohne Sprachprobleme sich langweilen oder jedenfalls nicht hinreichend gefördert werden können.
 
Wenn jetzt, wie es scheint, verzweifelte und vermutlich gutsituierte Eltern aus den Städten, um ihren Kindern einen vollwertigen Unterricht in der Muttersprache zu sichern, darauf verfallen sind, ihre lieben Kleinen in Schulen des ländlichen Umlands zu bringen, so kann das keinesfalls - weder aus pädagogischer und sozialer Sicht noch unter dem Aspekt des Umweltschutzes - eine zukunftsfähige Lösung sein.
Eine für die Schule mit deutscher Unterrichtssprache bessere und möglicherweise heilsame Abhilfe könnte folgendermaßen aussehen.
 
In den Städten, in verschiedenen Orten des linksseitigen Unterlandes und wo immer sonst es aufgrund der Schülerzahlen angebracht erscheint, können an den Grund- und Mittelschulen S-Bereiche (Standard-Bereiche) und A-Bereiche (Aufbau-Bereiche), jeweils mit einer dem tatsächlichen Bedarf angemessenen Anzahl von Klassen, eingerichtet werden. Die Entscheidung dazu trifft die jeweilige Schuldirektion.
In Klassen des S-Bereiches erfolgt der Unterricht in der Form, wie er bisher landauf landab in Schulen stattgefunden hat und stattfindet, in denen kaum oder nur wenige nicht muttersprachliche Schüler zu unterrichten sind, die so durchwegs in ihre Klassen gut integriert sind, mit ihren Mitschülern problemlos auf Deutsch verkehren und so auch die deutsche Sprache bestens erlernen können.
In Klassen des A-Bereichs findet der Unterricht grundsätzlich gleichfalls in deutscher Sprache statt, er wird aber durch die Lehrkräfte nach Methoden erteilt, die (auch während des Fachunterrichts in anderen Bereichen) verstärkt der Erlernung und Vertiefung der deutschen Sprache förderlich sein sollten.
 
 
Ein Unterricht in Klassen mit einem abenteuerlichen Mix aus unterschiedlichen, in ihrer Sprachkompetenz stark auseinanderdriftenden und verschieden aufnahmefähigen Schülern ist kein autonomieadäquater Unterricht.
Bei der Anmeldung eines Schülers zur Schule mit deutscher Unterrichtssprache erfolgt die Einschreibung des Kindes in eine Klasse des S-Bereichs auf ausdrücklichen Antrag der Eltern. Eine solche unterliegt allerdings der Voraussetzung, dass der einzuschreibende Schüler über gute oder zumindest hinreichende Kenntnisse der Unterrichtssprache verfügt und dass er im Bedarfsfall auf besondere sprachliche Förderung in der Familie oder auf verlässliche sonstige außerschulische Hilfsangebote zählen kann. Im Zweifelsfall ist zum Nachweis dieser Voraussetzung ein ausführliches Vorgespräch oder ein Test bei der Schuldirektion zu absolvieren (eventuell mit der Möglichkeit, gegen deren negative Entscheidung eine Berufungsinstanz am Schulamt anzurufen). Einschreibung, Test und Überprüfung durch die Berufungsinstanz sollten jedenfalls zeitlich noch vor dem Beginn der Unterrichtstätigkeit abgeschlossen sein. Im Fall der Einschreibung von Kindern aus neu zugezogenen Familien während des Schuljahres ist eine allenfalls notwendige Test- und Überprüfungsphase mit Dringlichkeit durchzuexerzieren.
Bei Nichtzulassung zum S-Bereich wird der Schüler einer Klasse des A-Bereichs zugeteilt.
 
Als Lehrkräfte im A-Bereich sollten möglichst Lehrer und Lehrerinnen, die sich dazu besonders berufen fühlen und von sich aus melden, und vorzugsweise solche mit einer Zusatzqualifikation für die Erteilung von Sprachunterricht an nicht muttersprachliche Schüler zum Einsatz kommen. Der Fakultät für Bildungswissenschaften müsste es möglich sein, zeitnah geeignete Lehrgänge zum Erwerb einer derartigen Zusatzqualifikation anzubieten. Lehrkräften sollte außerdem für ihre Bereitschaft zur Erteilung des Unterrichts im A-Bereich eine angemessene Erschwerniszulage zustehen.
 
 
Damit könnte man in der Schule mit deutscher Unterrichtssprache einer untragbaren Aufblähung und in jener mit italienischer Unterrichtssprache einer gegenläufigen Ausblutung vorgebeugt.
 
Die Einrichtung vergleichbarer S- und A-Bereiche könnte, bei Bedarf und Interesse, auch für die Schule mit italienischer Unterrichtssprache vorgesehen werden.
Ein flexibel und gestaffelt gestalteter Umstieg auf das hier erläuterte Organisationsmodell für die Schule mit deutscher Unterrichtssprache würde problemloser zu bewältigen sein als Maßnahmen, wie sie bisher von den verantwortlichen Stellen angedacht wurden, etwa die Entsendung zusätzlicher Lehrkräfte oder Tutoren in Klassen mit besonderen sprachdidaktischen Problemen. Eine baldige nennenswerte Aufstockung der Anzahl der Lehrenden würde schon daran scheitern, dass solche angesichts des akuten Lehrermangels kaum gefunden werden könnten. Im Übrigen würde das hier vorgestellte Modell wohl auch keine Umschichtung von Schulstandorten notwendig machen und - abgesehen von den Erschwerniszulagen, die für Lehrkräfte im A-Bereich angedacht werden sollten - keine überzogenen Finanzierungslücken aufreißen.
Jedenfalls würde mit der Umsetzung des vorgenannten Organisationsmodells der zutage getretene und wohl noch weiter zu erwartende Run auf die Schule mit deutscher Unterrichtssprache wohl wieder etwas nachlassen und der Gefahr eines Kollapses der beiden Schulsysteme (der Schule mit deutscher Unterrichtssprache durch eine untragbare Aufblähung und jener mit italienischer Unterrichtssprache durch gegenläufige Ausblutung) vorgebeugt werden können.