„Wir wollen eine Neuausrichtung!“
Am vergangenen Montag (23. Mai) hat Landesrat Arnold Schuler seine Tour durch Südtirol, auf welcher er das Landestourismusentwicklungskonzept (LTEK) einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt hat, in Vahrn beendet. Bürgermeister Andreas Schatzer konnte zur Präsentation mit anschließender Diskussionsrunde im Haus Voitsberg zahlreiche Bürgermeister sowie Tourismustreibende aus dem Wipptal und Eisacktal begrüßen. „Es herrscht breiter Konsens darüber, dass wir eine Neuausrichtung im Tourismus brauchen, allerdings sind noch einige Details zu klären“, betonte Schatzer. Auch im Rat der Gemeinden seien noch einige Fragen offen, wie beispielsweise die Einstufung der Gemeinden. Erfreute zeigte er sich darüber, dass es eine Zusage für weitere Gespräche zu diesem Punkt gebe. Diskussionsbedarf herrscht auch bezüglich der bereits erworbenen Rechte und den Regelungen in den historischen Ortskernen. Abschließend überbrachte Schatzer noch eine Botschaft des Landtagsabgeordneten Helmut Tauber, der an diesem Abend nicht anwesend sein konnte, die da lautete: Kleine Betriebe brauchen Perspektiven, Rechtssicherheit und vernünftige Übergangslösungen.
Neuausrichtung
In seinem Vortrag zeigte Landesrat Schuler eingangs die Bedeutung des Tourismus auf, der eine der tragenden Säulen der Südtiroler Wirtschaft ist. Sommerfrischler, die ihren Urlaub in den Bergen verbracht haben, die geschichtsträchtige Zeit der Grand Hotels und die Entwicklung der kleinstrukturierten familiengeführten Betriebe: Die Entwicklung des Tourismus in Südtirol war und ist bunt und vielfältig und hat zu einem ausgewogenen Verhältnis zwischen gewerblichen und nichtgewerblichen Betriebe beigetragen. Dass die Politik eingreift, ist nicht neu, so Schuler. Nach einer enormen Entwicklung in den 70er Jahren wurde in den 80er Jahren ein absoluter Bettenstopp eingeführt. Nachdem die Bettenanzahl ab 1990 deutlich sank, wurden viele Maßnahmen wieder zurückgenommen.
Im Lebensraum Südtirol sollen sich Gast und Einheimischer gleichermaßen wohlfühlen.
Aus der daraus resultierenden Zunahme der touristischen Entwicklung hat sich die Notwendigkeit einer Neuausrichtung ergeben. Dabei geht es nicht um die Bettenanzahl, auf welche sich die gesamte Diskussion in den vergangenen Wochen konzentriert hat, sondern um das Substantielle, um den Inhalt und das Konzept, das den Tourismus in neue Bahnen lenken soll. Neben dem Mehrwert und den Vorteilen gibt es allerdings auch die Schattenseiten des Tourismus: ein hoher Verbrauch an Ressourcen wie Wasser, Grund und Boden sowie ein Mangel an Fachkräften und darüber hinaus der Tagestourismus, der in manchen Ortschaften die Belastungsgrenze erreicht hat – bestes Beispiel dafür ist der Pragser Wildsee. Deshalb hat die Akzeptanz in der Bevölkerung eine sehr große Bedeutung, betonte Landesrat Schuler. Im Lebensraum Südtirol sollen sich Gast und Einheimischer gleichermaßen wohlfühlen.
Wertschöpfung hinter den Erwartungen
Die Nächtigungszahlen sind nicht der maßgebliche Faktor für die Wertschöpfung.
Chancen für die Landwirtschaft
Das Landestourismuskonzept wurde vor rund einem Jahr in Auftrag gegeben. Mit der Erstellung betraut wurden Harald Pechlaner von der Eurac und IDM, welche nicht nur Daten und die wissenschaftlichen Grundlagen erhoben haben, sondern daraus ableitend auch Überlegungen und Leitgedanken formulierten, in welche Richtung sich der Tourismus entwickeln könnte. Wie Schuler betonte, habe man sich Mühe gegeben, ein Konzept zu entwickeln, das nicht an den Vorstellungen der Menschen vorbei geht, sondern sie integriert. Mit dem LTEK wurde eine Bestandserhebung vorgenommen, wo und wofür der Tourismus in Südtirol heute steht und in Zukunft stehen soll. Der Fokus liegt dabei auf Qualität, und zwar nicht nur bei den „harten Faktoren“ bzw. bei den Infrastrukturen, sondern auch bei den weichen Faktoren wie Lebensgefühl, Gemütlichkeit, Erholung und Urlaubssgenuss. Enorme Chancen bietet das auf Nachhaltigkeit ausgerichtete LTEK vor allem für die Landwirtschaft. Zum neuen „Luxusgütesiegel“ könnten sich dabei die direkt vor der Haustür produzierten Lebensmittel entwicklen, wo im Idealfall der Gast sogar die Möglichkeit hat, mitzuverfolgen, woher die Lebensmittel kommen und wie sie produziert werden. Eine große Rolle werden in Zukunft Mobilitätspläne und ein Hotspot-Management spielen. Als Beispiel nannte Schuler wiederum Prags, wo die Gäste inzwischen eine Buchung vornehmen müssen, um überhaupt ins Tal zu gelangen. Ein derartiges Management könnte auch auf den Besuch der Museen ausgeweitet werden.
Die nächsten Schritte
Zu nächsten Schritten zählt die Reorganisation der Tourismusvereine, denn wie Landesrat Schuler erklärte, „scheinen 74 Tourismusvereine doch etwas zuviel zu sein“. Die Gästekarten werden ebenfalls neu geregelt und die Gemeinden sind gerade dabei, die Gemeindeentwicklungskonzepte zu erstellen. Im Anschluss daran werden Gesetzesänderungen durchgeführt, so ist bereits für die Juni-Sitzung die Festschreibung der Bettenobergrenze vorgesehen – auch für die nichtgewerblichen Angebote sprich Airbnb. Im Rahmen dieser Sitzungsperiode sollen auch die Ausnahmen bezüglich der Erweiterungen definiert werden (UaB, historische Ortskerne). Festgeschrieben werden weiters die Kriterien zur Erhebung und Zuweisung von Gästebetten. Wie bereits mehrfach berichtet gilt als Richtwert die maximale Bettenauslastung im Rekordjahr 2019. Anschließend erfolgt die Bettenerhebung und die Neuregelung der qualitativen Erweiterung. Landesrat Schuler erklärte diesbezüglich, dass aufgrund eines negativen Gutachtens derzeit keine qualitative Erweiterung im landwirtschaftlichen Grün möglich sei. Man arbeite allerdings an einem Gesetzesartikel, um dies zu beheben. Die Kontroll- und Sanktionsmechanismen sollen vereinfacht, eine Regelung für die Campingplätze getroffen, ein neues Kategoriesystem für die Einstufung der Betriebe geschaffen und neue Kriterien für Großveranstaltungen erlassen werden.
Planwirtschaft und Bettenerweiterungsplan
In der anschließenden Diskussionsrunde äußerten sich einige Tourismustreibende sehr kritisch zur Bettenobergrenze und der sogenannten Bettenbörse, auch das „über den Kamm scheren aller Betriebe“ wurde dem Landesrat angekreidet bzw. eine Benachteiligung der kleinen Betriebe sowie fehlende Übergangslösungen. „Man kann den Tourismus nicht von heute auf morgen auf Null herunterfahren“, beschwerte sich ein verärgerter Bürger aus Spinges, der das vorliegende Konzept als Planwirtschafts-Instrument bezeichnete. Auch Hans Heiss, Historiker und ehemaliger Landtagsabgeordneter der Grünen, befand sich unter den Zuhörern und bemängelte im Gegensatz zu seinen Vorrednern, dass das LTEK weniger ein Bettenstopp-Plan als vielmehr ein Bettenerweiterungs-Plan sei. Zum einen wisse man nicht wieviele Betten aufgrund der bereits erworbenen Rechte in den nächsten Jahren entstehen werden und zum anderen könnte bei der Erhebung der Betten nicht korrekt gezählt werden bzw. die Tourismusbetriebe könnten mehr angeben als eigentlich zur Verfügung stehen. „Ich glaube, dass dieses Konzept der Bettenerweiterung eher einen Schwung verleiht“, so Heiss und verwies auf die Bedeutung der Nachhaltigkeit. Eine weitere Frage betraf die Mitarbeiterunterkünfte, denn, wie eine Zuhörerin erklärte, müssten inzwischen Gästebetten verwendet werden, um die Mitarbeiter unterzubringen. Auch die touristisch schwach entwickelten Gebiete im Wipptal wurden thematisiert. Eine Forderung lautete: Das Wipptal braucht mehr Betten!
Was noch dazu gesagt werden
Was noch dazu gesagt werden muss:
Die Industrialisierung des Tourismus kann, wie andere Branchen auch, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht zu positiven Ergebnissen führen, wenn sie richtig angepackt wird. Doch die große Frage, die zu stellen wir nie die Zeit hatten, als der Tourismus bei uns durchstartete, ist bis heute unbeantwortet geblieben: Welchen Sinn, welche Bedeutung soll Tourismus bei uns haben? Wollen wir eine Industrie, die einzig und allein die Gewinnmaximierung verfolgt? Oder streben wir eine hochwertige Gastfreundschaft an, die auf tiefen Werten wie Solidarität, Gemeinwohl, Nachhaltigkeit und Humanität beruht? Es steht wohl ausser Frage, wofür sich die Leute eher entscheiden würden. Doch wenn wir das Thema vertiefen, werden wir feststellen, dass es für uns nur einen Weg aus der touristischen Identitätskrise geben kann, in der wir feststecken: wir müssen ein Gleichgewicht zwischen diesen beiden Extremen finden und damit zugleich ein harmonisches Verhältnis zwischen dem Menschen und seiner Umwelt. Nur wenn wir Zukunftsperspektiven entwickeln, die einen echten Sinn haben, wenn wir in Gemeinwohl-Zusammenhängen denken. Können wir eine konkrete Alternative entwickeln. Denn dieser Tourismus verschleißt nicht nur die grandiose Natur, mit der wir beschenkt wurden, sondern bedroht auch unsere Identität. Wir haben keine Wahl – wir müssen handeln. Es liegt in unser aller Interesse.
(Auszug aus „Raus aus dem Rummel!„ Michil Costa)