Chronicle | Affäre Kuhn

Griff zwischen die Beine

Der Paukenschlag: Fünf Musikerinnen gehen mit einem offenen Brief an den Präsidenten der Tiroler Festspiele Erl Hans Peter Haselsteiner jetzt in die Offensive.
kuhn_gustav.jpg
Foto: Haydn Orchester
Gustav Kuhn dürfte sich das anders vorgestellt haben.
Der bekannte Dirigent und langjährige Leiter des Bozner Haydn-Orchesters und der Festsspiele Erl musizierte bisher auf der Sonnenseite des Lebens. Jetzt aber werden die Misstöne immer lauter.
Am Mittwoch haben sich fünf Musikerinnen mit neuen schweren Vorwürfen gegen Kuhn an die Öffentlichkeit gewagt. Diesmal sind es aber keine anonymen Beschuldigungen, sondern die fünf Frauen berichten offen und mit Namen von den Vorgängen rund um die Festspiele Erl. Vor allem aber fordern sie in einen offenen Brief an den Präsidenten des Festspiele und Kuhn-Freund Hans Peter Haselsteiner endlich personelle und politische Konsequenzen.
 

Der offene Brief

 
Bei den Künstlerinnen handelt es sich um Aliona Dargel, Violinistin aus Weißrussland, die deutsche Sopranistin Bettine Kampp, die albanisch-italienische Violinistin Ninela Lamaj, Mezzosopransitin Julia Oesch und Sopran Mona Somm aus der Schweiz. Mit ihrem nunmehrigen Gang an die Öffentlichkeit möchten sie „auch weitere Betroffene auffordern, sich zu gemeinsamem Handeln zusammenzuschließen2, erklärten die Frauen.
Der Wortlaut des Schreibens an Hanspeter Haselsteiner:
 
Wir, die Unterzeichneten, waren bei den Festspielen in Erl als Künstlerinnen tätig. Die unangemessene Art, wie auf das Ansprechen der dortigen Zustände reagiert wurde, macht es uns unmöglich, länger über unsere eigenen Erfahrungen zu schweigen. 
Unerwünschtem Küssen auf den Mund oder auf die Brust, Begrapschen unter dem Pullover, Griff zwischen die Beine.
Wir sind direkt Betroffene, Zeuginnen oder Mitwissende davon, dass es zu unserer Zeit anhaltenden Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe von Seiten des künstlerischen Leiters gegeben hat. Auch einige von uns waren solchen ausgesetzt: unerwünschtem Küssen auf den Mund oder auf die Brust, Begrapschen unter dem Pullover, Griff zwischen die Beine etc., von obszöner verbaler Anmache ganz zu schweigen. 
 
Immer wieder wurden die Grenzen der persönlichen Würde und des Respekts uns gegenüber missachtet und überschritten. Regelmäßig waren wir der ungehemmten Aggression des künstlerischen Leiters ausgesetzt. Massive seelische Gewalt in Form von Mobbing, öffentlicher Bloßstellung, Demütigung und Schikane stand an der Tagesordnung. 
Wir sind empört, dass trotz der allseits bekannten Faktenlage die notwendigen Konsequenzen noch immer auf sich warten lassen, sowohl von Seiten der Präsidentschaft der Festspiele als auch von Seiten der zuständigen Politik. 
Wer den Spielregeln nicht folgte, wurde mit Repressalien und Ausgrenzung bestraft: Versprochene Rollenaufträge und Verträge wurden zurückgezogen, die zuvor gelobte Leistung war plötzlich nichts mehr wert oder wurde coram publico ins Lächerliche gezogen, um nur einige Beispiele zu nennen.
Wir sind empört, dass trotz der allseits bekannten Faktenlage die notwendigen Konsequenzen noch immer auf sich warten lassen, sowohl von Seiten der Präsidentschaft der Festspiele als auch von Seiten der zuständigen Politik." 
 
Der offene Brief ist ein Paukenschlag. Er wurde umgehend von den internationalen Medien aufgegriffen. Vor allem aber erhöht sich damit der öffentliche Druck auf den Kuhn-Mäzen Hans Peter Haselsteiner und die Nordtiroler Landesregierung.
Das Outing der fünf renommierten Künstlerinnen dürfte auch auf die Verfahren die Haselsteiner und Kuhn gegen den Tiroler Blogger Markus Wilhelm angestrengt haben und die derzeit vor dem Tiroler Landesgericht behängen, einen nachhaltigen Einfluss haben.