Der Kunstfuchs
Anfang der 1980er Jahre huschte der mittlerweile am Kunstmarkt enorm nach oben katapultierte Künstler Rudolf Stingel kurz durch einen Film mit dem Titel Das Glück beim Händewaschen. Sein Cousin Werner Masten war der Regisseur des Spielfilms und er drehte den Stoff nach der Romanvorlage des Schriftstellers Joseph Zoderer. Auch wenn damals noch nicht als Cameoauftritt gedacht, so sieht man einen jungen Rudolf Stingel als Komparse, der um etwas Geld bettelt.
Aus der Jetztzeit betrachtet, passt diese Rolle des Bettlers nicht ins wahre Leben des Rudolf Stingel. Er muss nicht die Hand aufhalten, um an ein paar Münzen zu kommen. Im Gegenteil. Stingel verbindet Künstlerdasein und Unternehmertum in genialer Form. Er lässt seine meist großflächigen Arbeiten von anderen Künstlern und Künstlerinnen ausführen, die dadurch ein gutes Zubrot verdienen und über die Marke Stingel in die wichtigsten Häuser für Kunst gelangen.
Ist das ein Foto?
In der Fondation Beyeler hat Gastkurator Udo Kittelmann – ein guter Kenner der Kunst Rudolf Stingels – eine Ausstellung in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler realisiert. Tappt man durch die großen Räume des Museums, begegnen einem nicht nur gewöhnliche Leinwände mit Malerei, man sieht auch verformbares Styropor, gegossenes Metall oder überdimensionale Teppiche. Die materiell sehr unterschiedlichen Werke Stingels zeigen alle „Spuren des Malerischen“ und versammeln die wichtigsten Werkserien der vergangenen Jahrzehnte. Einige Arbeiten sind jüngeren Datums und werden im Rahmen der Ausstellung erstmals präsentiert.
Rudolf Stingel ist 1956 in Meran geboren, besuchte die Kunstschule in Gröden und landete nach Aufenthalten in Wien und Mailand 1987 in New York, wo er heute – neben den weiteren Wohnsitzen in Mexiko und Meran – überwiegend lebt und in einer konzeptuellen und selbstreflexiven Weise (seine und andere) Malerei erforscht.
Die Ausstellung in Basel bietet einen guten Überblick über Stingels Oevre. Sie unterliegt keiner straffen Chronologie, sondern schmiegt sich behutsam den von Renzo Piano entworfenen Räumen an.
Der Rundgang beginnt gleich mit einem großflächig gemalten Rückblick auf das Jahr 1989 und auf das von ihm publizierte Künstlerbuch, in welchem Stingel mit erklärenden Fotografien Schritt für Schritt festhält, wie abstrakte Stingel-Gemälde hergestellt werden. Dieser eigentlich sehr antikapitalistische Schachzug des Burggräflers ist bis heute ein gutes Fundament: für seine Kunst und für den finanziellen Erfolg seiner Arbeit. Seit der genialen Kunstknigge kann nämlich jeder ein Stingel sein oder einer werden – egal ob Original oder Kopie. Der Künstler kopiert sich ja ebenfalls, wenn er beispielsweise Fotos von einst neu malen und arrangieren lässt.
Auffallend sind die nach einem persischen Saruk-Muster bedruckten Teppichinstallationen an einigen Wänden der Ausstellung. Sie betten die ausgestellten Arbeiten in einen ornamentalen Kontext und bewegen horizontale Muster – wie bereits 2013 im venzianischen Palazzo Grassi erprobt – in die Vertikale. Das von ihm vergrößerte und bearbeitete Muster gewinnt dadurch eine beeindruckende räumliche Dimension, ähnlich einem Landschaftsbild.
Eine neue Arbeit ist hingegen ein liebliches Blumendreierlei auf Leinwand. Es ist – nach der Art eines klassischen Triptychons – üppig und sehr farbenfroh gestaltet: mit rosaroten Rosen, Pfingstrosen, weißen Lilien und Margeriten, blauen Chrysanthemen und rotem Mohn. Die Blumenmischung könnte auch der einfache Entwurf für eine Tapete oder eines etwas kitschigen Duschvorhangs sein, die sich ebenfalls wiederholender Muster bedienen.
„Ist das ein Foto?“ Diese Frage schleicht mit den Besucherinnen und Besuchern entlang des Baseler Raumparcours, mitunter auch vor das Bild eines schleichenden Fuchses im Schnee, vielleicht dem gemalten tierischen Maskottchen des Künstlers, dessen Schlauheit nur einen Kunstfuchs wie Stingel – auf dem völlig undurchsichtig funktionieren kapitalistischen Kunstmarkt – sanft nach oben spülen konnte.
Von renommierten und einflussreichen Sammlern vergöttert, ist Stingel mittlerweile auch Teil der musealen Souvenir- und Merchandisingabteilungen. Ob Mousepad, Halstuch, Magnetbild, T-Shirt oder Poster: die kleinen Stingel-Kopien sind für all jene erschwinglich, die sich kein Original leisten können. Zum Trost bleibt ja die Kopie: Hauptsache es ist ein (fast echter) Stingel.
Wer sich in das Oevre von von
Wer sich in den 'Kunstfuchs' weiter vertiefen möchte:
https://www.badische-zeitung.de/kunst-1/zwischen-jaeger-und-beute--1735…