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Filmfestival Venedig 2022: Ein Überblick

Vom 31. August flimmern wieder Filme aus aller Welt über die venezianischen Leinwände. Was es zu sehen gibt, wen es zu sehen gibt, ein kurzer Überblick.
Venezia
Foto: Filmfestival Venedig
Das Lido lädt. Zum Filme schauen, zum Debattieren darüber, zum heiteren Schwank, letztlich zur Werkschau des zeitgenössischen, internationalen Kinos. In den letzten Jahren konnte das italienische Festival, das seit jeher als Nummer Zwei in der Welt nach Cannes gilt, den Abstand zu eben jener Königin der Croisette, verringern. Vor allem dem amerikanischen Kino hat man sich in Venedig verstärkt zugewandt, und wurde so zu einem frühzeitigen Schaulaufen späterer Oscar-Gewinner, etwa „The Shape of Water“ oder „Nomadland“.
 
In diesem Jahr sitzt die US-Schauspielerin Julianne Moore der siebenköpfigen Jury vor. Die bestimmt am Ende der rund elf Tage die das Festival dauert, einen Gewinnerfilm, so subjektiv und unmöglich zu bestimmen das auch sein mag. Im Wettbewerb tummeln sich neben einer Reihe an Newcomern bzw. (noch) unbekannten Namen auch Größen des Weltkinos. So zeigt etwa der mexikanische Regisseur Alejandro G. Iñárritu seinen neuen Film, den ersten konventionellen Spielfilm seit „The Revenant“ (2015), mit dem spanischen Titel „Bardo, falsa crónica de unas cuantas verdades“. Somit kehrt er zurück zu den Wurzeln, lässt den Film, der wohl autobiographisch gefärbt ist, in Mexiko spielen.
Der Italiener Luca Guadagnino, den die meisten wohl als Regisseur des Liebesfilms „Call me by your name“ kennen, bleibt dem Horrorgenre nach seiner jüngsten Neuverfilmung von Dario Argentos Giallo-Klassiker „Suspiria“ treu, und drehte mit „Bones and all“ einen Kannibalenfilm. Derer gibt es in den letzten Jahren wieder mehrere, etwa den gefeierten „Raw“ der französischen Filmemacherin Julia Ducournau. Bei Guadagnino spielt erneut Timothée Chalamet eine der Hauptrollen, anders als bei „Call me by your name“ ist der Amerikaner Armie Hammer nicht mehr dabei, der, dieses Detail sei erwähnt, zuletzt tatsächlich mit Vorwürfen kannibalistischer Tendenzen zu kämpfen hatte.
Viel nostalgischer, wenngleich nicht unbedingt fröhlicher dürfte es in der Biographie „Blond“ zugehen. Andrew Dominik inszeniert Ana de Armas als Marilyn Monroe, was im Vorfeld für viel Anerkennung, aber auch Kritik sorgte, nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlichen ethnischen Herkünfte beider Frauen. Netflix produzierte den schwarz-weißen Film, ob er dem Mythos Monroe etwas hinzuzufügen hat, wird sich zeigen.
Auch Darren Aronofsky kehrt in den venezianischen Wettbewerb zurück, mit einem kuriosen Werk, an dessen Frontlinie Brendan Fraser einen Mann spielt, der sich selbst zu Tode isst. Aronofsky weiß zu spalten, das zeigte sein Film „Mother“, von daher darf gespannt erwartet werden, wie sein neues Werk aufgenommen wird. Dasselbe lässt sich auch über „White Noise“ von Noah Baumbach sagen, dem Eröffnungsfilm des Festivals. Darin spielt auch der deutsche Schauspieler Lars Eidinger eine Rolle, wie groß die ist, ist noch offen.
Abseits des Wettbewerbs werden noch allerhand andere Filme gezeigt, zu viele, um hier alle zu erwähnen. Bemerkenswert ist der Umstand, dass gleich zwei dänische Serien Premiere feiern. Einerseits „Copenhagen Cowboy“ von Nicolas Winding Refn, dem Regisseur von u.a. „Drive“ oder „The Neon Demon“. Andererseits setzt Lars von Trier nach knapp 25 Jahren seine obskure Dogma-Serie „Riget“, zu Deutsch, „Hospital der Geister“ mit einer dritten Staffel fort. Wer die originalen dreizehn Folgen nicht kennt, dem seien sie ans Herz gelegt. Inwiefern die Fortsetzung überzeugt, wird sich zeigen.
Zeigen, das ist das Stichwort. Zeigen kann ein Filmemacher, auch wenn er oder sie selbst nicht anwesend ist. Der Film spricht für sich. Im Falle des iranischen Regisseurs Jafar Panahi ist es bitter nötig, denn er selbst sitzt zur Zeit im Gefängnis seines Heimatlandes, offiziell wegen Propaganda gegen das Regime, und Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Blendwerk, um den Kritiker Panahi mundtot zu machen. In den letzten Jahren schafften es seine Filme trotz Berufsverbots immer wieder zu internationalen Festivals, so auch sein aktuelles Werk „Khers nist“, das im Wettbewerb läuft. Dem Druck der Filmwelt wird die iranische Regierung nicht nachgeben, doch solidarisiert sich der, der sich den Film ansieht. So wird das Festival auch dieses Jahr wieder ein politisches werden. Manche Stimmen fordern eine Trennung von Politik und Filmwelt, dass dies jedoch nicht möglich ist, und dankenswerterweise auch nie möglich sein wird, liegt auf der Hand. Solange ein denkender Mensch einen Film schreibt und inszeniert, ist es ein politischer Akt. Klarer formuliert: Kino ist Politik.