Politics | Unabhängigkeit

Süd-Kurdistan bald nicht mehr irakisch?

Heute hat ein Großteil der rund 6 Millionen Einwohner der Autonomen Region Kurdistan in einem Referendum über die Unabhängigkeit der Region abgestimmt.
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Naturgemäß war der irakische Staat nicht begeistert von dieser Initiative der kurdischen Regionalregierung. Das irakische Verfassungsgericht hatte verlangt, die Volksbefragung abzusagen. Auch UN-Generalsekretär Guterres hatte von der Abhaltung dieses Referendums zumindest zum jetzigen Zeitpunkt abgeraten. Der UN-Sonderbeauftragte für den Irak Kubis hatte als Ersatz Verhandlungen zwischen Bagdad und Erbil für einen Ausbau der Autonomie in Kurdistans angeregt.

Gegen das Referendum haben sich erwartungsgemäß auch die Türkei und der Iran ausgesprochen, die größten Unterdrückermächte der Kurden im Nahen Osten. Dabei ist für Irakisch-Kurdistan vor allem das Verhältnis zur Türkei für das wirtschaftliche Überleben wichtig. Der Großteil der Erdölexporte Irakisch-Kurdistans – immerhin 20 Mio. Liter täglich – wird über den türkischen Mittelmeerhaben Ceyhan verfrachtet. Doch die Türkei ließ schon mal Panzer auffahren, um Selbstbestimmung auf beiden Seiten der kurdisch-kurdischen Grenze zu verhindern. Auch die USA, derzeit Hauptunterstützer der Kurden sowohl im Irak als auch in Syrien, sind skeptisch gegenüber einer sofortigen Unabhängigkeit Irakisch-Kurdistans, die den Kampf gegen den IS und die Stabilität des Irak schwächen könnte.

Massud Barzani, der Präsident der Autonomen Region Kurdistans und Chef der KDP (Demokratische Partei Kurdistans) ist bei vielen Kurden nicht beliebt. Misstrauen hegt nicht nur die PKK in der Türkei und die PYD im nordsyrischen Rojava, sondern auch der zweite politische Arm der irakischen Kurden, die von Talabani geführte PUK  im Ostteil Irakisch-Kurdistans. Denn Barzani hat die seit zwei Jahren fälligen Wahlen zum Parlament noch nicht abhalten lassen. Somit ging die heutige Abstimmung tatsächlich nicht unter besten Voraussetzungen vor sich. Zwar kann im Unterschied zu Katalonien keine Zentralregierung mit Polizei und Staatsanwalt einschreiten, denn Irakisch-Kurdistan hat eine eigene Armee und Polizei. Doch als ein bindender, verfassungsrechtlich gründlich vorbereiteter und intern parteiübergreifend abgeklärter Prozess zur Selbstbestimmung kann dieses Referendum nicht betrachtet werden.

Dagegen appellierte die Gesellschaft für bedrohte Völker an die deutsche Bundesregierung, die EU, die USA und an andere westliche Staaten, den Wunsch der Menschen in Irakisch-Kurdistan nach einem unabhängigen Staat zu unterstützen. „Es ist ein historischer Tag für Kurdistan nach Jahrzehnten der Verfolgung, Unterdrückung, Vertreibung und des Völkermords endlich ihr Recht auf Selbstbestimmung ausüben zu können“, erklärte der GfbV-Nahostreferent Kamal Sido, „Wir erwarten von der internationalen Staatengemeinschaft eine Anerkennung des Ergebnisses des für die Kurden historischen Referendums und weitere Unterstützung Irakisch-Kurdistans in dieser für das Land so entscheidenden Epoche“. Die GfbV verlangt, dass die westlichen Staaten Irakisch-Kurdistan nachdrücklich vor Drohungen der Zentralregierung im Irak und des Iran und der Türkei in Schutz nehmen. Diese Staaten haben damit gedroht, den Luftraum über Irakisch-Kurdistan, die Landesgrenzen und den Transport von Erdöl zu blockieren.

Die GfbV begrüßt, dass die Regionalregierung Irakisch-Kurdistans sich eindeutig zum Schutz der rund zwei Millionen im Land lebenden Flüchtlinge unabhängig von ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit bekannt hat. Präsident Barzani hatte am Wochenende an die Behörden und die Bevölkerung Irakisch-Kurdistans appelliert, die Flüchtlinge wie „ihre Brüder und Schwestern“ zu behandeln. „Unsere  Menschenrechtsorganisation erwartet in dieser schwierigen Situation von Deutschland eine Verstärkung der humanitären Hilfe sowohl für die Flüchtlinge, als auch für die gesamte Zivilbevölkerung Irakisch-Kurdistans,“ schreibt Kamal Sido. In Irakisch-Kurdistan, das mit den umstrittenen Gebieten etwa 79.000 Quadratkilometer umfasst, leben etwa sechs Millionen Menschen, mindestens zwei Millionen von ihnen sind Flüchtlinge.