Ärzte und Sonstige
In Südtirol herrscht ein Mangel an Ärzten. Leider sind Ärzte seltsame Früchte, sie wachsen nicht auf Bäumen. Sie müssen geschult werden, und das ist keine Kleinigkeit. Außerdem brauchen wir Ärzte, die sowohl Deutsch als auch Italienisch sprechen können, wie es das Autonomiestatut verlangt. Und wenn es schon schwierig ist, Ärzte im Allgemeinen zu haben, so scheint es unmöglich, zweisprachige Ärzte zu haben. Warum aber gelingt es den Ärzten, d. h. Menschen, die so viel studiert haben, nicht, eine Sprachkompetenz zu entwickeln, die dem Gespenst des perfekten zweisprachigen oder gar dreisprachigen Südtirolers und Südtirolerin nachempfunden ist, d. h. einem Gespenst, das man nur in bestimmten Nächten in bestimmten Häusern, aber nie bei Tageslicht und vor allem nie auf den Stationen eines Krankenhauses sehen kann? Nun: Das Leben eines Arztes ist hart, sehr hart. Ärzte stehen früh auf, arbeiten den ganzen Tag und kommen am Abend erschöpft nach Hause. Können Sie sich vorstellen, dass ein Arzt nach einem aufreibenden Arbeitstag anstatt sich ins Bett zu begeben, um seinen erholsamen, wohltuenden Schlaf nachzuholen, schlägt er wieder seine Hefte und Bücher auf und übt die Funktion der Bauchspeicheldrüse in der zweiten Sprache zu beschreiben? Das wird er sicher nicht. Er würde lieber seinen Job verlieren, als das zu tun. Aber die Provinz sieht und sorgt (oder besser: versucht nicht zu sehen und sorgt dann, aber erst am Ende). Bisher hatten die Ärzte drei Jahre Zeit, um das Gesetz zu erfüllen, damit sie die Zweisprachigkeitsprüfung nicht ablegen müssen. Jetzt wird die Frist auf fünf Jahre angehoben. Schließlich sind Ärzte keine Nicht-EU-Bürger. Ab dem nächsten Jahr müssen hingegen Nicht-EU-Bürger Prüfungen in der Landessprache und -kultur ablegen, um bestimmte Sozialleistungen zu erhalten. Für sie gibt es keine Ausnahmen, keinen Fristenaufschub. Das wäre ja noch schöner! Jeder weiß, dass sie bisher alles umsonst bekommen haben. Sie kommen nicht todmüde nach Hause (oder ganz, ganz selten). Am Abend, nach einem Tag des Nichtstuns, ist es für sie nur ein weiterer Zeitvertreib, Bücher und Hefte aufzuschlagen, Grammatikübungen zu machen oder mehr über die Rolle der Vereinten Nationen in der Entwicklung der Südtiroler Frage zu erfahren.