Politics | Wahlkampfanalyse 2013

Hermann Atz: "Das Volk ist politikbewusster geworden"

Der Meinungsforscher und Politikwissenschaftler Hermann Atz beobachtete einen ausgeglichenen und eher bescheidenen Wahlkampf, das gestiegene Interesse der Bevölkerung an politischer Diskussion und sagt warum die Briefwahl das Zünglein an der Waage sein könnte.
  • Herr Atz, salto.bz hat mit Ihnen eine Wahlkampfanalyse im September gemacht, jetzt sind wir kurz vor dem eigentlichen Wahltag und möchten wissen, wo wir jetzt stehen?

Jetzt gehts noch um die Vorzugsstimmen, weil sich viele Leute doch erst im letzten Moment überlegen wem sie die 3. oder 4. Vorzugsstimme geben und da ist es schon wichtig, dass die einzelnen Kandidaten sich nochmal den Wählern nähern, über die Medien oder am Dorfplatz. Auch bei den Listenstimmen geht es um die letzte Mobilisierung, vor allem für jene, die nicht sicher zur Wahl gehen.

  • Seit wann ist denn der Wahlkampf in Fahrt gekommen?

Wenn man mit Wahlkampf vor allem Plakate, Broschüren, Flyer und Ähnliches meint, dann wohl erst in den letzten 14 Tagen. Das haben die meisten Parteien und Kandidaten bewusst gemacht, auch um vielleicht den Zeitraum der verbilligten Postspesen auszunutzen. Im Vergleich zu früheren Wahlen ist es sicher ein Wahlkampf mit bescheideneren Mitteln, was sich viele Wählerinnen und Wähler auch gewünscht haben und mehr aus Not als aus Tugend eingetreten ist. Die Materialschlacht hat sich sehr auf die letzten Wochen konzentriert.

  • Was diesmal auffällt: es hat sehr viele Podiumsdiskussionen gegeben die von Medien, Bildungshäusern oder Schulen gemacht worden sind.

Das ist effektiv ein interessantes Phänomen, wo ich mir denke, einerseits haben die diese Lücke entdeckt, die durch die bescheideneren Mitteln entstanden ist und zweitens ist es auch ein Wahrnehmen von Verantwortung für eine politische Bildung und Demokratie, gerade vor dem Hintergrund, dass Politik die meisten Leute nicht besonders interessiert. Die rückgehenden Wahlbeteiligungen sind natürlich auch ein Signal für die Organisatoren solcher Diskussionsrunden, hier aktiv zu werden.

  • Können diese Veranstaltungen auch der Ausdruck sein von einem gestiegenen Demokratieverständnis in der Bevölkerung?

Man kann schon sagen, dass hier aufgeht, was die kontinuierlichen Bemühungen für mehr direkte Demokratie von verschiedener Seite angestrebt haben , ob es nun die „Initiative für mehr Demokratie“ oder verschiedene Parteien sind wie die 5stelle oder die Grünen sind, die den Ausbau der Basisdemokratie einfordern.

  • 2008 war bei den Freiheitlichen noch die Einwanderung Wahlkampfthema, diesmal lautet das Motto „System brechen“, ist das ebenso stark?

Naja, über dieses Thema kann ich nicht sagen, wie erfolgreich das beim Wähler ankommt. Tendenziell sind solche Kampfansagen, wir wollen die absolute Mehrheit brechen, nicht besonders motivierend. Mit so einem Slogan sind schon viele Parteien angetreten, doch bringt das meiner Erfahrung nach keinen Wähler dazu, diese Partei zu wählen und es hält keinen ab, jene zu wählen, die man da schwächen will. Das ist kein inhaltliches Thema, es ist ein Argument die Opposition zu wählen, damit es nicht eine Alleinherrschaft gibt. Die Geschichte mit der Einwanderung ist ganz was anderes, da kann man inhaltlich darüber diskutieren, man kann polarisieren und moralisieren. Die Freiheitlichen haben auch heuer wieder die Einwanderung zum Thema, doch in einer gemäßigteren Form.

  • Das Motto, das System zu brechen ist gegen die SVP gerichtet, ist es dort überhaupt angekommen?

Das Gegenargument der SVP ist, Südtirol muss regierbar bleiben. Das ist die Antwort auf dieses Freiheitlichen Motto. Die Volkspartei hat sich den Angriffen entzogen, das alte verkrustete System und die damit verbundenen Figuren waren niemals präsent, die ganze Wahlbotschaft  hat auf den unverbrauchten Spitzenkandidaten Arno Kompatscher gesetzt, zumindest die Plakatwerbung ist ganz auf ihn zugeschnitten.

Andere hingegen treten verstärkt als Team auf, wie zum Beispiel die Grünen, die bewusst niemanden in den Vordergrund stellen, obwohl schon klar ist, dass Brigitte Foppa Listenführerin ist. Bei den Freiheitlichen ist es hingegen diese Doppelspitze und ähnlich auch bei der Süd-Tiroler Freiheit mit Sven Knoll und Eva Klotz. Das ist übrigens ungewöhnlich, diese Doppelspitzen, das kenne ich nur von den Grünen in Deutschland.

  • Wird hier eben Alt und Jung angesprochen?

Ja das, und man kann auch sagen, dass jeder dieser Spitzenkandidaten für sich allein unvollständig in seinem Image ist, jeder hat gewisse Mängel, die der andere Kandidat an der Seite aufwiegen soll.

  • Den Grünen hat die apollis-Umfrage recht gute Prognosen voraussgesagt, mit 13 Prozent? Da müssten etliche Neuwähler hinzukommen?

Ob das für die Grünen funktioniert, wissen wir am Abend des 28. Oktober – ich kann sagen, wie ich es wahrnehme. Ich habe das Gefühl, dass es den Grünen relativ gut gelingt, was die SVP auch versucht, nämlich eine gute Mischung aus Alt und Neu zu präsentieren. Es könnte aufgehen, denn die Wähler wollen nicht grundsätzlich immer nur Neues. Grad jene Wähler die sich nicht wahnsinnig informieren, wählen ein Gesicht, das für sie wiedererkennbar ist und wo sie wissen, wofür dieser Mensch steht. Auch hat das grüne Listenzeichen mittlerweile einen ähnlich hohen Wiedererkennungswert wie das Edelweiß.

  • Die Bewegung 5Stelle, ein Phänomen der Zeit, wie sehen Sie die Chancen dieser Bewegung?

Ich bin überzeugt davon, dass die Grillini nur im italienischen Wählerreservoir fischen, dort könnten sie einen gewissen Erfolg haben, aber weit weniger als bei den Parlamentswahlen und auch weil diese internen Konflikte in der Bewegung nach außen getragen werden.

  • Hat es Themen im Wahlkampf gegeben, die Sie überrascht haben?

Um Marie Mawe vorweg anzusprechen, da hatte ich schon das Gefühl, dass man sie im Regen stehen hat lassen, dass niemand von den SVP-Granden, auch kein Kompatscher sie wirklich verteidigt hat, als sie so von den Medien beschossen wurde; sie selbst hat tapfer dagegen gehalten. Das hätte eine Botschaft sein können, sich als offene und moderne Partei zu präsentieren und das hat niemand in der SVP getan.

Aber natürlich gab es sonst auch Spannendes, wie die Zukunftsvisionen der Parteien, zwischen Selbstbestimmung und Freistaat und hier hat gerade auch die SVP viel in diese Richtung argumentiert und sich versucht, von den patriotischen Parteien abzugrenzen. Bis zum deutschen Botschafter sind alle möglichen Leute mobilisiert worden, um deutlich zu machen, dass nur die SVP hier eine verantwortungsvolle Position vertritt.

Das andere waren die recht spezifischen Diskussionen um die SEL und die geradezu hektischen Bemühungen von Durnwalder und der Landesreigerung, hier die Wogen noch vor den Wahlen zu glätten und Tatsachen zu schaffen. Damit wurde signalisiert, das auch eine SVP-geführte Regierung sich hier weiterbewegt.

Eine gewisse Rolle hat die Familienpolitik gespielt mit dem Wahlzuckerl, das noch diese Woche präsentiert wurde, aber auch die Entlastung der bevölkerungsschwachen Bevölkerungsgruppen, wo die Frage im Raum stand, sollen wir die Wirtschaft entlasten, um so Arbeitsplätze zu generieren oder sollen wir die Gelder direkt den Arbeitnehmern zukommen lassen, indem man Lohnsteuer reduziert.

Erstaunlich wenig ging es um das Gesundheitswesen und die Reformen, die vorher in der Kritik gestanden sind.

  • Noch zur Briefwahl, die zum ersten Mal stattfindet, was können die rund 27.000 Briefwähler ausrichten?

Meine Vermutung ist, dass die Briefwähler, zum größten Teil Heimatferne, mehrheitlich deutschsprachig sind und eine Tendenz Richtung SVP haben. Es wird entscheidend sein, wie hoch die Beteiligung ist – eine grobe Schätzung meinerseits lautet, es bringt der SVP ein Mandat. Ich hoffe vor allem, dass man die Briefwähler so zählt, dass ihr Wahlverhalten nachvollziehbar wird. Im Sinne der Wahlforschung wäre es schön, wenn man ein getrenntes Ergebnis hätte, wenn sie nicht schon den Ursprungsgemeinden zugeordnet werden. Sonst könnte es ein, dass es zu Verzerrungen kommt, weil bisher diese Auslandssüdtiroler hergefahren sind und in ihrer Gemeinde gewählt haben. Weil es das erste Mal ist, werden wohl viele die Wahlkarte ausfüllen und abschicken, aber durch die knapp bemessene Zeit kann es auch sein, dass viele dieser Wahlkarten nicht mehr rechtzeitig ankommen und das könnte die SVP dann doch noch ein Mandat kosten.

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Benno Kusstatscher Fri, 10/25/2013 - 16:38

Ich hätte vermutet, dass viele Südtiroler im Ausland sind, da sie eben nicht vom System SVP profitieren (wollen) und auch nicht davon abhängig sind. Bekanntlich bleiben viele Akademiker im Ausland "hängen", weshalb ich dachte, die Briefwähler kommen hauptsächlich den Grünen zu Gute.

Fri, 10/25/2013 - 16:38 Permalink