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YESTERDAY

Danny Boyle begibt auf das Gebiet des magischen Realismus. Doch trotz origineller Idee und den Beatles kann er damit nicht überzeugen.
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Foto: Universal

Die Beatles sind die unbestreitbar einflussreichste Band aller Zeiten, ihre Lieder weithin bekannt und kaum eines davon dürfte als misslungen gelten. In nur zehn Jahren ihrer Zusammenarbeit schufen Paul McCartney, John Lennon, George Harrison und Ringo Starr einen Sound, der bis heute nachklingt. Mit jedem ihrer Alben erfand man sich neu und scheute sich nicht, unbekannte Pfade zu beschreiten. Die Musik und die Texte der Beatles gehen ins Ohr und machen bewusst, wie schwach die heutige Mainstreammusik im Vergleich ist. Denn, und das wird im heutigen Diskurs oft vergessen, die Beatles waren in den 1960er Jahren genau das: Mainstream. Ob die Qualität ihrer Kunst von allen erkannt wurde, ist fraglich. Nichts desto trotz genießen die vier Musiker Legendenstatus. Sie und ihr Werk sind bis heute Gegenstand von Kunstformen aller Art.

In seiner Gesamtheit macht der Film vor allen einen diskussionswürdigen Fehler: Er geht davon aus, dass jeder Mensch, egal wie charismatisch, attraktiv oder talentiert er ist, mit den Liedern der Beatles Welterfolge feiern könnte. 

Der britische Regisseur Danny Boyle ist erklärter Fan und widmet seinen aktuellen Film den Liedern der Gruppe. Dazu nutzt er ein an sich originelles Konzept: Ein junger Mann namens Jack Malik verfolgt den Traum, ein erfolgreicher Musiker zu werden. Das ist natürlich nicht so einfach wie es klingt. Er tingelt durch diverse Pubs und gibt dort seine Lieder zum Besten. Ohne Erfolg. Doch mit einem Schlag ändert sich alles. Jack hat einen Fahrradunfall, im selben Moment fällt für einige Sekunden auf der ganzen Welt der Strom aus. Als Jack erwacht, kann sich niemand mehr an die Beatles und ihre Lieder erinnern. Scheinbar ist er der einzige Mensch, dem die Melodien und Texte im Kopf geblieben sind. Ein Dummkopf, wer eine solche Situation nicht ausnutzen würde. So beginnt Jack, die Kompositionen als seine eigenen auszugeben. Der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten. Auf erste größere Auftritte folgt bald der große Durchbruch und der Eintritt in die Welt der kommerziellen Musikindustrie. „Yesterday“, „I Want To Hold Your Hand“, „All You Need Is Love“, „Hey Jude“...ja, der Standardkatalog der Beatles-Evergreens wird sorgsam abgearbeitet. Wer die Musik der Beatles mag, dürfte ohnehin schon interessiert sein. Doch ehe man begeistert ins Kino stürmt, einige warnende Worte.

Yesterday – Trailer

Danny Boyle hat sich für den Film Drehbuchautor Richard Curtis zur Seite geholt. Der ist unter anderem für das Drehbuch von „Tatsächlich Liebe“ verantwortlich. Wer noch nicht weiß, was das für „Yesterday“ bedeutet, darf gerne weiterlesen. Denn leider ist die Geschichte und das Drehbuch das schwächste Glied in einer ohnehin schon schwachen Kette. Ausgehend von der netten Grundidee weiß der Film nichts als die üblichen und vorhersehbaren Punkte zu erzählen. Daher gibt es auch wenig über die Handlung zu verraten. Selbst die Liebesgeschichte, die irgendwo hinter all dem Musikzeug herumirrt, ist fantasieloser als das Cover des „White Album“ (1968) und hält nichts spannendes bereit. Man weiß als Zuschauer schlicht, wie „Yesterday“ funktionieren wird, noch ehe die Geschichte richtig ins Rollen kommt. Was fehlt, ist der Mut, sich ernsthaft mit der Materie zu beschäftigen. Stellvertretend dafür ist der Fakt, dass kein einziges Lied der Beatles, übrigens stets nachgesungen von Jack Malik, in Gänze gespielt wird. Wir hören immer nur Ausschnitte, kleine Häppchen. Das zeigt, wie verschwenderisch mit dem Erbe der Beatles umgegangen wird. Man würdigt nicht die einzelnen Werke und ihre Qualität, sondern hetzt von einem zum nächsten. Als würde man eine Liste abarbeiten und hätte Angst, einen der Klassiker zu vernachlässigen.

Auch schade: Man deutet zwar die Skrupellosigkeit der profitorientierten, modernen Musikindustrie an, verpasst es aber, essenzielle Aussagen zu treffen oder die Branche zu entlarven.

In seiner Gesamtheit macht der Film vor allen einen diskussionswürdigen Fehler: Er geht davon aus, dass jeder Mensch, egal wie charismatisch, attraktiv oder talentiert er ist, mit den Liedern der Beatles Welterfolge feiern könnte. Doch das darf gut und gerne für einen fatalen Irrtum gehalten werden. Denn in erster Linie hat nicht ihre Musik die Beatles so groß gemacht. Vielmehr waren es die Charaktere hinter ihr, die vier Pilzköpfe aus Liverpool, die von den Massen gefeiert wurden. Von Anfang an setzte man auf Charisma und Humor, was viele Interviews aus der Anfangszeit der Beatles belegen. All das soll natürlich den musikalischen Wert nicht mindern. Die Beatles sind als Figuren untrennbar mit ihrer Musik verbunden. Man kann sie nicht kopieren. Auch kein Jack Malik. Auch kein Danny Boyle. Besonders tragisch und gleichzeitig frech wird der Film „Yesterday“ dann, wenn er einen der Fab Four als fiktive Figur auftreten lässt. Ohne den Namen des Musikers zu verraten, ist es doch ausgerechnet jener, der diesen Film am allermeisten verachten würde. Er würde den fehlenden künstlerischen Anspruch vermissen und die Klischees, an denen sich der Film abarbeitet, verdammen.

„Yesterday“ richtet sich an den durchschnittlichen, nach Unterhaltung gierenden Kinozuschauer und beleidigt ihn. Es ist kein Fehler, Mainstream zu sein. Doch das soll keine Entschuldigung sein, auf Qualität und Anspruch zu verzichten. Fragen Sie die Beatles, die wissen schließlich am besten, wovon ich spreche.