Society | Zukunft
Ein Stuhl zwischen Zukünften
Foto: Eurac Research/Annelie Bortolotti
Nachdem man einem Raptor in einer Videobotschaft das erste Wort ließ, ergriff Roland Psenner, Präsident der Eurac, das zweite und steckte die Rahmenbedingungen für den „UNESCO-Lehrstuhl für Interdisziplinäre Antizipation und global-lokale Transformation“ am Forschungszentrum Eurac Research ab. Für den Chair werden 150.000 Euro jährlich als Finanzierung vom Land zur Verfügung gestellt, wobei Psenner betonte, dass diese, durch Aquirierung externer Mittel ausgebaut werden könne. Auf Personalebene sind Roland Benedikter als Leiter des Chairs und Priv. Doz. Dr. Katharina Crepaz als Senior Researcher vorgesehen, sowie ein externer, von der UNESCO gestellter „Chair-Fellow“, der einmal jährlich wechselt und eine halbjährlich wechselnde Praktikumsstelle. Der UNESCO-Lehrstuhl an der Eurac reiht sich in ein im regen Austausch stehendes Netzwerk von 917 (Stand 10. Oktober) ähnlicher Institutionen weltweit ein und ist der zweite der bislang 41 in Italien angesiedelten Lehrstühle, welcher nicht an einer Universität beheimatet ist. Zwei besondere Schwerpunkte des neuen Lehrstuhls, mit dem auch von Psenner als „sperrig“ bezeichneten Namen werden neben dem Thema Nachhaltigkeit, wie bei allen UNESCO-Lehrstühlen „Afrika und der globale Süden“ und „Gender“ lauten. Diese Schwerpunkte fänden, so Psenner, auch in den 17 Social Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen eine Entsprechung.
„Die Aufgabe dieses Chairs an der Eurac ist, dass wir im Zeitalter der Unsicherheit ein besseres Verständnis für mögliche Zukünfte brauchen.“
Psenner übergab das Wort an Benedikter, der die Menschheit, mit Verweis auf Experten in einem Zeitalter der Ungewissheit sieht. Den Zeitpunkt für das neue Projekt bezeichnete Benedikter als „schicksalhaft“: 30 Jahre Eurac und 30 Jahre UNESCO-Lehrstühle überschneiden sich. Benedikter zitierte die fünf von der UN für 2021 festgemachten Transformationsfelder: Den Klimawandel, die Kriege in der Welt, die Umgestaltung der Gesellschaft durch digitale Technologien, wachsende Ungleichheit und demographische Verschiebungen. „Die Aufgabe dieses Chairs an der Eurac ist, dass wir im Zeitalter der Unsicherheit ein besseres Verständnis für mögliche Zukünfte brauchen.“ Der Schlüssel sei dabei Zukunftsbildung, die „nicht von einigen Eliten“ zur Gestaltung der Zukunft verwendet werden dürfe, was zu „demokratischen Gegentrends“ führe. „Wir müssen kapillar von unten die Zukunft neu aufbauen und das auf allen Bildungsstufen.“ Die Zukunftsbildung in Südtirol reiht sich dabei in eine globale Bildungsinitiative der UNESCO ein.
Beim Entwurf einer notwendigerweise interdisziplinären Wissenschaft des Zukünftigen sei man derzeit „ganz am Anfang“. Warum? „Weil das Zukünftige nicht existiert und etwas, das nicht existiert ist schwer zu erforschen oder empirisch auf den Punkt zu bringen.“ Referenzpunkt ist die neue UNESCO Strategie 2022-2029.
Im Falle Südtirols werde der geografische Schwerpunkt in besonderer Weise auf Chile gelegt werden. Dieses bezeichnete Benedikter als „Ein Laboratorium verschiedenster Dinge, vor allem Extremkapitalismus“. In Afrika suche man die Anbindung an „Togo, Burkina Faso, Guinea“, wo man nach Staatsstreichen „mit bescheidenen Mitteln“ versuchen werde, „die dortigen Gesellschaften und Institutionen mit aufzubauen“. Benedikter zeigte sich weiters stolz mit Dr. Katharina Crepaz, welche vor Kurzem einen Preis für ihre Forschungsarbeit an der TU München erhalten habe, im Bereich der Geschlechtergleichheit „eine der besten Mitarbeiterinnen zu haben“.
Ein Mittel zur Vorbereitung auf die „vielen Zukünfte“ seien dabei Zukunftslaboratorien nach dem UNESCO-Ansatz an Schulen (Stichwort: Entertainment-Engagement), „aber auch für die Zivilgesellschaft und Politik“. Konkret soll die Arbeit an Schulen im Dezember, mit einer „Teach the Teacher“ Aktion beginnen, bei welcher Konzepte der Future Literacy an Kindergärtner:innen vermittelt werden. Man wolle „die größten Veränderungen, die auf uns zukommen“, nicht in einer Legislaturperiode, sondern in „10 bis 30 Jahr-Zeiträumen“ antizipieren.
Nach einer Grußbotschaft vom Gründer des Futures Literacy Programms (Zukunftsbildung) Riel Miller, mit welchem man auch in Zukunft zusammenarbeiten wolle, ging man zu einer Diskussionsrunde über. Eröffnet wurde diese in digitaler Form von Christine Kavazanjian, deren Schwerpunkt im Futures Literacy Programm auf inklusiver Gesetzgebung liegt. Crepatz unterstrich bei der Erreichung der Globalen Entwicklungsziele für Afrika besonders die Wichtigkeit von eurozentristischen Perspektiven abzurücken. Beim Thema Gender, sei man mit der eigenen Expertise „noch etwas weiter“ und erwähnte eine Tagung im letzten Jahr. Für die Zukunft in besonderer Weise wichtig sah sie das Feld „Gender und künstliche Intelligenz“ an, in dem es nicht nur gelte in der Forschung für Gender-Gleichheit zu sorgen, sondern zum Beispiel auch darum „Algorithmen so zu designen, dass sie keine Gender-Biases replizieren“.
In welche weiteren Felder der „UNESCO-Lehrstuhl für Interdisziplinäre Antizipation und global-lokale Transformation“ einen Vorstoß wagen wird, zeigt wohl die Zukunft.
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