Schützenmarsch 1. Oktober 2022
Foto: Südtiroler Schützenbund
Society | Medienfreiheit

Tiroler Edikt

Der Südtiroler Schützenbund will der lokalen RAI vorschreiben, was sie zu berichten hat. Den Mandern scheint die Hitze im Altweibersommer nicht gut zu tun.

Erinnern Sie sich noch an das „bulgarische Edikt“?
Am 18. April 2002 prangerte der damalige Ministerpräsident Silvio Berlusconi auf einer Pressekonferenz in Sofia die „kriminelle Nutzung“ des öffentlich-rechtlichen Fernsehens RAI durch die Journalisten Enzo Biagi und Michele Santoro sowie den Komiker Daniele Luttazzi an. Wenige Monate später war das Trio nicht mehr im Programm des staatlichen Fernsehens zu finden.
20 Jahre später scheint man dasselbe in Südtirol zu versuchen.
Nur: Dieses Mal kommt das Edikt ausgerechnet von jenen Männern, die sich gern auf Gott, Vaterland und Heimat berufen.
Der Südtiroler Schützenbund fordert den Lokalableger der RAI sowie den Journalisten Lucio Giudiceandrea auf, sich für diesen Seitenhieb öffentlich zu entschuldigen, und fordert von der RAI objektive und politisch unabhängige Berichterstattung!“, meint der Landeskommandant der Südtiroler Schützen Roland Seppi allen Ernstes.
 
 
 
In einer Aussendung echauffiert sich der Südtiroler Schützenbund über die Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zur Gedenkveranstaltung „100 Jahre Marsch auf Bozen“ vom 1. Oktober. Dabei bekommen gleich drei Redaktionen ihr Fett ab.
Die gestrengen Medienkritiker bemängeln in ihrer Aussendung:
 
Einzig und allein die Schützen haben diesem historischen Ereignis ein würdevolles Gedenken gegeben. Das war für den RAI Sender Bozen der „perfekte“ Anlass, um wieder einmal genau jene Historiker zu interviewen, die für ihren parteipolitischen Hintergrund, für ihre einseitigen Analysen zeitgeschichtlicher Ereignisse sowie für Wegschauen bei den Alpini bekannt sind.“
 
Gemeint ist hier vor allem Hannes Obermair, der in einem Interview mit RAI Südtirol sich nicht nur kritisch zum Schützenbund geäußert hat, sondern sich auch erlaubt hat, auf die immer wieder vergessenen Nazijahre in Südtirol hinzuweisen.
Ich teile im Übrigen nicht alle Ansichten, die Obermair in ebendiesem Interview geäußert hat - und schon gar nicht einige Aussagen in seinem Interview mit dem "Alto Adige" wenige Tage später. Aber darf ihn RAI Südtirol nun nicht mehr interviewen, nur weil er den Schützen nicht genehm ist?  
 
 
Noch dicker aber kommt es für die lokale italienische RAI-Redaktion. Anlass ist dort ein Beitrag am Montag dieser Woche über eine Veranstaltung für ehrenamtliche Helfer im Zivilschutz in St. Martin in Thurn.
In der SSB-Aussendung heißt es:
 
Der italienische Lokalableger der RAI setzt allerdings seine politische Einseitigkeit in unqualifizierter Art und Weise fort. Dabei wird sogar ein Bericht über eine Veranstaltung für die Ehrenamtlichen im Zivilschutz in St. Martin in Thurn im Gadertal für einseitige politische Kommentare missbraucht. Der Journalist Lucio Giudiceandrea kommentiert die Veranstaltung: „Niente paura, questi non sono Schützen irredentisti o chi sa che altro. Sono vigili del fuoco, soccorritori, volontari impegnati nella protezione civile. Nel giorno della loro festa vanno a incassare i dovuti riconoscimenti…” („Keine Angst, es handelt sich nicht um irredentistische Schützen oder wer weiß, was sonst. Es sind Feuerwehrleute, Sanitäter, Freiwillige, die im Zivilschutz eingebunden sind. Am Tag ihrer Feier wird ihnen die verdiente Anerkennung zuteil“).
 
 
 
Allein diese Bemerkung löst anscheinend eine mediale Bergisel-Schlacht aus.
In der SSB-Aussendung heißt es:
 
„Es ist völlig untragbar, dass Feierlichkeiten zugunsten der Ehrenamtlichen für politische Seitenhiebe gegen uns Schützen missbraucht werden. Wir Schützen vernehmen seit geraumer Zeit, dass Verantwortliche in Medien und Politik alles daran setzen, uns Schützen gezielt in ein bestimmtes Eck zu schieben und zu stigmatisieren, während bei fragwürdigen Veranstaltungen der Alpini vor faschistischen Relikten ein und dieselben Verantwortlichen beide Augen großzügig zudrücken. Dies ist politische Strategie derjenigen, die jede Veränderung am machtpolitischen Status Quo in Südtirol verhindern und die Brennergrenze zementieren wollen!“.
 
Die Ironie dabei: Giudiceandreas Bemerkung war wohl eher ein "Seitenhieb" gegen jene politischen Akteure, welche die Schützen immer noch als "paramilitärische" Einheiten darstellen, vor denen sich der loyale Staatsbürger fürchten muss - und nicht gegen die Schützen selbst.
Und weil man schon dabei ist, hat der volkstümliche Beobachter auch gleich noch einen weiteren Prankenhieb platziert.
Zu Lucio Giudiceandrea gibt es einen Zusatz, der  offensichtlich seine aus Schützensicht ehrlose Geisteshaltung erklären soll. In der Aussendung des Schützenbundes heißt es zum RAI-Journalisten, „der nebenbei für ein linkes Medium schreibt“.
Gemeint ist damit „Salto.bz“, für das Lucio Giudiceandrea als Kolumnist schreibt. Welche Ehre, vom Tiroler Propagandaministerium als „links“ bezeichnet zu werden.
Dabei scheint der Landeskommandant bei seiner abschätzigen Bemerkung übersehen zu haben, dass Salto.bz die Rede des Hauptredners auf der Schützenveranstaltung, Nicola Canestrini, vollinhaltlich abgedruckt hat. Und dass der von den Schützen umjubelte Canestrini zufällig auch als Anwalt für das Onlineportal tätig ist.
Demnach wird es also nichts werden mit der Brandmarkung des „linken" Packs.
Wenn man sich anschaut, welches Gift auf dem Schützenportal unsertirol24 gegen Andersdenkende versprüht wird, dann sollte der Landeskomandant zuvor seinen eigenen Spritzpanzen putzen.
 
Landeskommandant Roland Seppi erdreistet sich, der RAI das Kreisky-Zitat „Lernt‘s Geschichte“ zu empfehlen. Ich erlaube mir, es umgewandelt zurückzuschicken: Lernt‘s Toleranz.
Denn eines haben die Sittenwächter in der Tracht anscheinend vergessen:
Die Schützen haben seit Jahren mit dem Onlineportal „unsertriol24“ ein eigenes Medium. (Ich höre schon den Aufschrei: Es ist ein Genossenschaft, die rein zufällig vom ehemaligen Landeskommandanten und seinem Adjutanten geführt wird und die Laurin-Stiftung zahlt eh nicht…usw.)
Wenn man sich anschaut, welches Gift dort gegen  Andersdenkende versprüht wird, dann sollte der Landeskommandant zuvor seinen eigenen Spritzpanzen putzen.
Bevor er Forderungen stellt und Entschuldigungen einfordert.

 

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Hartmuth Staffler Tue, 10/25/2022 - 21:06

Rein journalistisch gesehen hat Kollege Lucio allerdings einen groben Schnitzer gemacht. Im Bild war eine Musikkapelle zu sehen, und er hat den Zusehern erklärt, dass dies nicht etwa irredentistische, also für die italianità gefährliche Schützen, sondern Feuerwehrleute seien. Ein Journalist sollte schon zwischen Musikanten (erkennbar an ihren Instrumenten), Schützen und Feuerwehrleuten unterscheiden können. Wenn er, so wie Herr Obermaier, die Schützen für gefährlich hält, weil sie an ein faschistisches Verbrechen erinnern, so ist das eine andere Sache, die allerdings auch nicht in den Bereich journalistischer Bericht, sondern in den Bereich politischer Kommentar fällt. Über die "Objektivität" des Staatsrundfunkes RAI, die ich selbst schon mehrfach unangenehm erleben musste, könnte man stundenlang diskutieren, aber es lohnt sich nicht. Die dortigen Journalisten und Prorammgestalter sind eben, bis auf ganz wenige Ausnahmen, treue Diener ihrer römischen Herren, die ihnen ihr Gehalt zahlen. Das muss man wohl verstehen, ohne es deswegen zu entschuldigen.

Tue, 10/25/2022 - 21:06 Permalink
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Hartmuth Staffler Wed, 10/26/2022 - 12:33

In reply to by Gerhard Mumelter

Ich habe zwar nicht mein ganzes Berufsleben als Dolomiten-Journalist verbracht, sondern mich auch als Mathematiklehrer in der Mittelschule und als Mitarbeiter des Landespresseamtes betätigt. Es stimmt, dass ich vor allem Journalist bin, und als solcher nehme ich es mir auch heraus, Kollegen zu kritisieren, wenn sie Fehler machen, ganz gleich wo sie arbeiten, im Staatsrundfunkt RAI oder in den verschiedenen Medien der Familie Ebner. An der RAI habe ich vor allem die fehlende Objektivität zu kritisieren, bei den Ebnersch'schen Medien stört mich zusätzlich zur derzeitigen rechtsaffinen Linie auch die grausame Misshandlung der deutschen Sprache. Entsprechende Kritiken von mir werden dort allerdings nicht veröffentlicht, so dass sie im Verborgenen bleiben, während ich Salto zugutehalten muss, dass auch kritische Stimmen von mir veröffentlicht werden, was ich zu schätzen weiß. Im konkreten Fall ging es aber darum, dass Kollege Giudiceandrea, ungewollt oder vielleicht sogar gewollt, eine harmlose Musikkapelle mit potentiell "gefährlichen" Schützen verwechselt hat. Das ist kein guter Journalismus.

Wed, 10/26/2022 - 12:33 Permalink
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Richard Andergassen Thu, 10/27/2022 - 10:34

Auf seinen Fauxpas angesprochen, hat Giudiceandrea den Vogel dann ganz abgeschossen. Ich zitiere: „[…] Unser Publikum, zum größten Teil bestehend aus Mitbürgern italienischer Muttersprache, ist in Sachen Suedtiroler Braeuche, Trachten und Sitten nicht so bewandert, wie das deutschsprachige Publikum. Deshalb kann es leicht geschehen, dass ein Umzug in Tracht mit einem Schuetzen-Aufmarsch verwechselt wird. Und dies wiederum erregt bei den meisten Zusehern eine abstossende Haltung. Das wollte ich vermeiden und habe deshalb bereits im ersten Satz meines Berichtes den Satz gebraucht, den Sie kritisieren […]“.

Um so einen „Schmarrn“ zu rechtfertigen, darf man seine italienischen Mitbürger auch Mal als dumm und ignorant bezeichnen...

Chapeau!

Thu, 10/27/2022 - 10:34 Permalink
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Richard Andergassen Thu, 10/27/2022 - 14:51

Der Messias aus Eppan schreibt: […] Dabei scheint der Landeskommandant bei seiner abschätzigen Bemerkung übersehen zu haben, dass Salto.bz die Rede des Hauptredners auf der Schützenveranstaltung, Nicola Canestrini, vollinhaltlich abgedruckt hat. Und dass der von den Schützen umjubelte Canestrini zufällig auch als Anwalt für das Onlineportal tätig ist.
Demnach wird es also nichts werden mit der Brandmarkung des „linken" Packs […].

Ja und?
1. hat Nicola Canestrini seine Rede hier selbst veröffentlicht und 2. ist er ja kein „Rechter“. Oder möchte ihm das der Messias etwa unterstellen? Cool down baby, alles wie gehabt und einen schönen Tag noch.

Thu, 10/27/2022 - 14:51 Permalink