Community Highlight Community Highlight
Politics | Tourismus

Was Töchterle verschweigt

Trotz Unmut und Protest bleibt die IDM ihrer Wachstumsstrategie verhaftet. Das lernt man aus einem Interview mit dem IDM-Marketingchef Wolfgang Töchterle.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Töchterle, Wolfgang
Foto: IDM
  • In einem ganzseitigen Interview darf der IDM-Marketingdirektor seine Sicht von möglichen Lösungs- und Marketingstrategien im Tourismus darlegen (Dolomiten, 24.10.24). Weil davon abweichende Meinungen wohl schwerlich so viel Raum erhalten, hier einige Passagen, die einem ungut aufstoßen können.

    Dass Südtirol an bestimmten Zeiten und Orten zu viele Touristen zählt, könne man nicht abstreiten, sagt Töchterle, dabei (…) „erkennt man 2 wesentliche Probleme: ein Verkehrsproblem und ein Verteilungsproblem.“ Man will bei der IDM immer noch nicht wahrhaben, dass die tourismusintensivste Region der Zentralalpen auch ein Mengenproblem hat und ihre bequeme Erreichbarkeit mit dem eigenen Kfz (80-86% aller Urlauber reisen je nach Herkunftsregion so an, inkl. Camper und Motorrad) weiterhin ein Strukturmerkmal bleiben wird.

    Daten zeigen, so Töchterle, dass wir Südtiroler rund 179 Millionen Fahrten im Jahr generieren, die Touristen rund 58 Millionen Fahrten. Das heißt zu 2 Dritteln sind wir selbst Verursacher des Verkehrsproblems. Zum ersten sollte Töchterle irgendeine andere Region nennen, wo das Verkehrsaufkommen zu einem Drittel aus touristischem Freizeitverkehr besteht (Millionen von Kfz im Transit gar nicht mitgerechnet). Das Argument ist zum zweiten stark dehnbar: wäre der Verkehr zur Hälfte touristisch bedingt, würde Töchterle vermutlich sagen: aber 50% des Verkehrsaufkommens produzieren immer noch wir Einheimische.

    Bei der Bewältigung der touristischen Verkehrslast setzt auch die IDM auf die Bahnanreise und die Kooperation mit DB, ÖBB und Trenitalia. „Für die Christkindlmärkte zum Beispiel“, so Töchterle, „gibt es heuer in Zusammenarbeit mit dem Ressort Mobilität und dem Verkehrsamt einen Charterzug, der tausende Autos von der Straße holen soll,“ 2023 wurden nur zu diesem Anlass in Südtirol 900.000 Ankünfte gezählt. Es kommt dem Marketingchef nicht in den Sinn, dass man Megaevents auch wieder zurückfahren kann, wenn das Land es sich zum Ziel gesetzt hat, den motorisierten Individualverkehr bis 2035 um 30% zu senken. Oder gilt dieses Ziel nur für die Kfz der Ansässigen?

    Wer als Tourist nach Südtirol kommt, soll nicht dem Zufall überlassen bleiben. „Wir hingegen holen Gäste,“ sagt Töchterle, „die einmal anreisen und dann im Idealfall 6 oder 7 Nächte bleiben, die Küche schätzen und unsere regionalen und bäuerlichen Produkte konsumieren.“ Wobei letztere, statistisch gesehen, nur einen sehr sehr geringen Anteil der im Massenbetrieb umgesetzten Lebensmittel bilden. Warum bewirbt IDM dann die Christkindlmärkte, bezahlt Influencer, flutet die social media? Warum bewirbt IDM dann die Nebensaisonen, wo Gäste ohnehin als Zweit- oder Dritturlaub nur mehr kurz anreisen?

    Weil der deutsche und italienische Gast nicht mehr die finanzielle Kaufkraft hat wie einst, muss die IDM in neue Märkte reingehen. „Wir sind seit Jahren in Belgien, in den Niederlanden, in Polen und in Tschechien unterwegs, und zusätzlich werden wir in den Markt Großbritannien wieder einsteigen“, so Töchterle. Zuerst betont der IDM-Mensch, wie wichtig es sei, die Touristen auf die Bahn zu bringen. Dann die IDM-Bemühungen, neue Kunden aus Ländern anzuwerben, die notorisch nur mit Auto oder Flieger anreisen. Flugreisen nicht nachhaltig? Töchterle hat die Lösung parat: „Wenn man diesen CO2-Ausstoß bei Nutzung des entsprechenden Flugzeugs kompensieren müsste, dann sind wir bei 13 Euro pro Person an Kompensation“. So einfach geht das: Flugverkehr ausbauen, Gäste aus Übersee herholen, Umweltsensible zahlen die Kompensation oder etwa die IDM selbst mit dem nächsten Werbegeschenk? Dass die Kompensation weder funktioniert noch offiziell im Klimaschutz so akzeptiert wird, verschweigt Töchterle. Inzwischen man bei IDM schon über den passenden Werbespruch dazu nachdenken, wie etwa: „Fliegen Sie in den begehrtesten nachhaltigen Lebensraum Europas!“

    Schließlich die Frage, über welche Kanäle geworben wird. Überraschende Antwort des Marketingdirektors: die IDM bewirbt keine Hochsaison, sondern die verschiedenen Nebensaisonen. Allein in der warmen Jahreszeit gäbe es 4 Randsaisonen bis in den „mediterranen Herbst“ hinein, weil Südtirol bekanntlich am Mittelmeer liegt. Dass die Hauptsaison nicht mehr beworben wird, ist ein Märchen (vgl. neue Märkte) und die angepeilte Streckung der Saisonen bedeutet unter dem Strich nicht weniger, sondern zusätzliches Wachstum. Kurz: die IDM wird wie bisher ihren Job tun („Die Besucherzahlen leicht anheben“, O-Ton Töchterle), was man ihm auch nicht übelnehmen kann, denn der Auftrag von Land und Tourismusindustrie lautet eben, mehr Umsatz und Gäste nach Südtirol zu schaufeln und nicht weniger.