Economy | Raiffeisen
Die Spielverderber
Foto: Salto.bz
319 Stimmzettel wurden abgeben. Auf nur zweien davon stand: „Raiffeisen Bankgruppe Südtirol“. Das ist das Ergebnis der entscheidenden Wahl der Vollversammlung der Raiffeisenkasse Ritten am vergangenen Mittwoch. Fast einstimmig (neben den zwei Verbandsstimmen gab es nur fünf Enthaltungen) votierten die Mitglieder der Raiffeisenkasse dafür, dass sie sich in Zukunft der „Cassa Centrale Banca“ mit Sitz in Trient anschließen werden. Es ist das neue Zentralinstitut der Trentiner Casse Rurali.
Die Wahl ist ein Erdbeben im Raiffeisenkosmos. Seit rund einem Jahren schwört man alle Kassen auf die neue „Raiffeisen Bankengruppe Südtirol“ ein. Dass eine Südtiroler Kasse einen anderen Weg geht, ist im Planspiel der Führung von Raiffeisen-Verband und Raiffeisen-Landesbank dabei erst gar nicht vorgesehen.
Doch genau das haben die Rittner am Mittwoch beschlossen. Es ist ein Erdbeben, das vorhersehbar war.
Ungehorsame Rittner
Seit gut zehn Jahren ist das Klima zwischen der Raika Ritten auf der einen sowie dem Raiffeisenverband und der Raiffeisen-Landesbank auf der anderen Seite vergiftet. Der Grund dafür ist einfach: Die Rittner nehmen den Subsidiaritätsgedanken von Friedrich Willhelm Raiffeisen wörtlich und sie pochen auf ihre Autonomie. Genau das ist aber im hierarchisch und zentralistisch organisierten Verband, in dem sich jahrelang der Verbandsdirektor und die Landesbank-Führung gestritten haben, wer das Sagen über die Kassen hat, eine Art Todsünde.
Die Rittner Genossen sind deshalb als Rebellen im grünen Raiffeisengarten abgestempelt. Verbandsdirektor Paul Gasser und die Führung der Landesbank um Generaldirektor Zenone Giacomuzzi haben in den vergangenen Jahre mehrmals gegen die Rittner Raikaführung mobilisiert. „Man hat die Rittner wie Buben behandelt, die nicht folgen wollen“, sagt ein Raika-Obmann.
Doch der Vorstand und die Geschäftsführung der Rittner Raika haben sich weder einschüchtern noch von ihrem selbstständigen Weg abbringen lassen. Was dabei in der Bozner Raiffeisenstraße am meisten aufstößt: Die Rittner sind nicht nur ungehorsam, sondern auch noch erfolgreich.
Bozner Filiale
Wann das Auseinanderdriften zwischen der Zentrale und den Rittnern genau begonnen hat, ist Ansichtssache. Sicher ist, dass das Jahr 2003 eine Zäsur war. Die Raiffeisenkasse Bozen schloss ihren Schalter in Bozen Dorf. Böse Zunge behaupten, dass die Filiale eigentlich nur eröffnet worden war, weil sie der damals mächtige und dort wohnhafte Verbandsdirektor Konrad Palla unbedingt wollte. Tatsache ist, dass die Raika Ritten kurzerhand die Filiale in der Bozner Weggensteinstraße übernahm.
Diese territoriale Expansion bewertete die Bozner Raiffeisenkasse als einen unerlaubten Übergriff in ihr Geschäftsgebiet. Aber auch die Landesbank und der Raiffeisenverband goutierten diese Expansion nicht. Vor allem der Verband wacht darüber, dass eine Raiffeisenkasse nicht in der Domäne der anderen wildert. Allein die Raiffeisen-Landesbank nimmt sich die Freiheit heraus, überall in der Südtiroler Raiffeisenwelt auf Kundenfang zu gehen. Dass andere Kassen sich das aber auch erlauben, gehört nicht zum Selbstverständnis der Landesbanker.
Mehrmals versuchte man deshalb die Rittner aus Bozen zurückzupfeifen. Doch das war vergeblich.
Eigenes Rechenzentrum
Die Raiffeisenkasse Ritten bewegt sich aber auch in einem anderen zentralen Bereich autonom.
Das technische Herzstück des Raiffeisenverbandes ist das Raiffeisen-Rechenzentrum „Raiffeisen Information System“ (RIS). Das RIS mit über 100 Mitarbeitern ist das Informatikzentrum alle Südtiroler Kassen. Es übernimmt für die Raiffeisenkassen, aber auch für Dutzende Genossenschaften die Erstellung und Wartung aller EDV-Dienste. Die Kassen zahlen für diese Leistungen.
Dabei gibt es seit langem eine sehr kontroverse Diskussion, die in den vergangenen Jahren immer heftiger wurde. Das RIS ist sehr teuer. Im Vergleich zu anderen auswärtigen Dienstleistern kosten manche Dienste die Banken das Doppelte. Formell ist zwar jede Raiffeisenkasse autonom und kann entscheiden, wem sie ihre EDV anvertrauen will, doch der Druck des Verbandes hält die Kassen bisher an der RIS-Stange.
Es gibt nur drei Raiffeisenbanken, die nicht beim Rechenzentrum des Verbandes sind: Die Raika Meran, die Raika St. Martin im Passeier und die Raika Ritten. Die Rittner waren erst gar nicht dem RIS beigetreten. Sie bauten sich ein eigenes, äußerst funktionales Rechenzentrum auf. Nur gewisse Dienstleistungen – etwa die Anbindung an den nationalen Markt – laufen über das RIS.
„Eine Eingliederung ins Rechenzentrum würde uns so viel kosten, dass es sich nie auszahlt“, sagt jetzt ein Funktionär der Raika Ritten. Allein die Umstellungskosten werden mit 2 Millionen Euro beziffert.
Die Expansion
Bereits um die Jahrtausendwende begann die Rittner Raika, ein besonderes Augenmerk auf das Internetbanking zu legen. 2011/2012 startete die Bank dann mit einem besonderen Service: Das Onlinekonto „4more“. Es ist für Südtirol eine bisher einmalige, niederschwellige Initiative auf dem Bankensektor. Man kann dieses Konto relativ einfach online eröffnen und zahlt weder einen Cent für die Eröffnung oder Schließung des Kontos, noch hat man Überweisungs- oder Führungsspesen.
„4more“ schlug im Raiffeisenverband wie eine Bombe ein. Denn die Initiative untergräbt die territoriale Absteckung der Märkte, wie sie Verband und Landesbank zum Dogma erhoben haben, völlig. Die Verbandsführung sprach von „einer Gefahr für die ganze Gruppe“ und versuchte alles, damit die Rittner diese Initiative zurückfahren.
„Man behandelte die Rittner fast wie Aussätzige“, sagt ein Raika-Funktionär.
Das Sperrfeuer aus der Zentrale dürfte den Ehrgeiz der Banker am Bozner Hochplateau nur noch mehr angestachelt haben.
Nummer 1
Trotz des Widerstandes des Verbandes und der Raiffeisenbank entwickelte sich das Online-Konto „4more“ zum wahren Renner. Und nicht nur das. Die Führungsmannschaft um den Rittner Raika-Direktor Oswald Mair versteht ihr Geschäft. Das Geschäftsvolumen der Raika Ritten wuchs so schnell und massiv wie das keiner anderen Bank. Das zeigt der Vergleich der Bilanzen. Das Kundengeschäftsvolumen, das sich aus Einlage und Krediten zusammensetzt, hat in den vergangenen zwei Jahren um 23,9 Prozent zugenommen. Ende 2013 hatte die Raika Ritten ein Volumen von 1.429 Millionen Euro. Ende 2015 waren es 1.764 Millionen Euro.
Zum Vergleich: Die Vorzeigebank im Raiffeisensektor ist die Raika Bruneck. Die Pusterer Kasse hatte 2013 ein Kundengeschäftsvolumen von 1.604 Millionen Euro und Ende 2015 von 1.662 Millionen Euro. Das ist eine Steigerung von 3,6 Prozent. Die Raika Bozen wuchs in den selben zwei Geschäftsjahren nur um 2,6 Prozent.
Die Ironie des Schicksals will es, dass sich amit ausgerechnet die in der Raiffeisen-Familie ungeliebten Rittner Genossen zur größten Südtiroler Raiffeisenkasse mauserten. Die Rittner fuhren im Geschäftsjahr 2015 einen Gewinn von 8,5 Millionen Euro ein.
Logische Folge
Wie weit sich die Raiffeisenkasse Ritten, der Verband und Landesbank auseinandergelebt haben, wurde spätestens zum Jahreswechsel deutlich. Die Kartellbehörde leitet 2015 ein Ermittlungsverfahren gegen den Raiffeisenverband und zwei Dutzend Südtiroler Raiffeisenkassen ein. Der Vorwurf: Abreden, die mit dem freien Wettbewerb nicht vereinbar sind. In der Zeit zwischen 2007 und 2014 soll es Absprachen zu den Zinsen für Privatkredite gegeben haben. Im März 2016 verhängte die Autorithy dann Strafen in der Höhe von insgesamt 26 Millionen Euro gegen den Verband und 14 Südtiroler Raiffeisenkassen verhängt .
„Die Raika Ritten hat sich in den vergangenen zwei Jahren zur größten Raiffeisenkasse Südtirols gemausert.“
Auch die Raika Ritten war von den Ermittlungen betroffen. Doch die Bankenführung konnte Schreiben und Protokolle vorlegen, die eindeutig beweisen, dass der Verband nicht mit der Rittner Raika, sondern gegen sie gearbeitet hat. Aus den Unterlagen ging hervor, wie aggressiv sich die Landesbank- und Verbandsspitze gegen die Rittner Initiativen und Geschäftspolitik geäußert hatten.
Damit wurde das Ermittlungsverfahren gegen die Rittner Kasse archiviert.
Los nach Trient
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass sich die Rittner Mitgliederversammlung am Mittwoch so einhellig der Trentiner Bankengruppe um die die „Cassa Centrale Banca“ angeschlossen hat.
An der Spitze des Verbandes und der Landesbank geht jetzt die Angst um, dass das Rittner Beispiel Schule machen könnte. Außer Ritten und St. Martin haben zwar alle Kassen beschlossen, sich der „Raiffeisen Bankgruppe Südtirol“ anzuschließen. Formal sind es bisher aber nur Absichtserklärungen. Jede Vollversammlung könnte bis zur endgültigen Genehmigung der neuen Bankengruppe durch die Banca d´Italia noch Meinung und Beschluss ändern.
Immerhin hat sich die Nummer 1 der Südtiroler Raiffeisenkassen am Mittwoch von Verband und Landesbank endgültig verabschiedet.
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Bravo! Kann den Rittnern nur
Bravo! Kann den Rittnern nur gratulieren, dass sie gegen staatliche und verbandliche Zentralisierung kämpfen und das erfolgreich. Je weiter die Banker von den Kunden weg sind und je größer die Bilanzen desto unmoralischer und ferner einer genossenschaftlichen Idee wird "gemanagt". Gut zu sehen bei SK und VB.
Die Tageszeitung zitiert die
Die Tageszeitung zitiert die Rittner folgendermaßen: "Wir verstehen die Mutualität [~ Raiffeisengedanke der Gegenseitigkeit statt Gewinnstreben] im Sinne der Mitglieder und Kunden und nicht als Kooperation zwischen den Banken". Das bringt exakt auf den Punkt, wie der Raiffeisengedanke in Südtirol im Laufe der Zeit zum Wohle der Banken umgedeutet worden ist.