Culture | Salto Afternoon

Japanische Freundschaft

Erfolg und Skandal: Der in Bozen aufgewachsene Marcello Farabegoli hat die gestern zu Ende gegangene Ausstellung "Japan Unlimited" im Wiener "frei_raum Q21" kuratiert.
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Foto: Pablo Chiereghin

salto.bz: Heuer werden 150 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Japan und Österreich gefeiert. Sie haben dazu eine Ausstellung in Wien gestaltet. Wie ist diese Idee entstanden?

Marcello Farabegoli: Ich habe eine enge Beziehung zu diesem Land und habe früher in Berlin eine auf zeitgenössische japanische Kunst spezialisierte Galerie geführt. Nicht zuletzt konnte ich dank der Ausstellungen, die ich in der Botschaft von Italien im Palais Metternich Wien kuratiert habe, eine gewisse Erfahrung im Bereich der Diplomatie sammeln. Also habe ich Lust bekommen eine auf das Land Japan sich beziehende Ausstellung auf die Beine zu stellen und kontaktierte einige Wiener Ausstellungsstätten.

Am Ende wurden Ihre Ideen im Wiener MuseumsQuartier wohlwollend aufgegriffen…

Die  künstlerische Leiterin vom „frei_raum Q21 exhibition space“, Elisbeth Hajek, wählte erfreulicher Weise mein Projekt für die Herbstausstellung 2019 aus. Dieser Raum wird direkt vom MuseumsQuartier Wien betrieben, das nicht nur eines der größten Kunstareale der Welt, sondern auch eine der größten Kulturinstitution Österreich ist. Ein idealer Ort also, um die Ausstellung zu realisieren.

Die von Ihnen kuratierte Ausstellung ist seit gestern Geschichte. Wie viele Besucher waren in „Japan Unlimited“?

Die Ausstellung hatte über 21.000 Besucher.

 

Nun ist Ihre Ausstellung aber beim „offiziellen“ Japan nicht so gut angekommen. Was ist passiert?

Bis Mitte Oktober lief alles bestens. Der japanische Gesandte hatte sowohl die Ausstellung an sich als auch zwei Rahmenveranstaltungen von Japan Unlimited bereits besucht. Am 15. Oktober moderierte ich im MuseumsQuartier Wien einen Talk zwischen der feministischen Künstlerin Yoshiko Shimada und Felicitas Thun-Hohenstein, einer bekannten Professorin der Akademie der bildenden Künste Wien und insbesondere Kuratorin des Österreich-Pavillon auf der diesjährigen Biennale in Venedig. Beim Talk stellte der Gesandte einige Fragen und kam nach dem Talk mit uns zum Abendessen, wo er sich fröhlich mit uns unterhielt, insbesondere auch mit einem Mitglied von Chim Pom, einem bekannten und kontroversen Künstlerkollektiv aus Japan.
Gegen Ende Oktober teilte mir der Gesandte am Telefon mit, dass es in Japan wegen der von mir kuratierten Ausstellung mehrere Proteste gegeben hatte und das japanische Auswärtige Amt die Anerkennung der Veranstaltung als offizielle Jubiläumsveranstaltung 150 Jahre Freundschaft Österreich - Japan prüfen würde. Am 30. Oktober, etwa fünf Wochen nach der Eröffnung von Japan Unlimited, kam der Brief von der Japanischen Botschaft mit der Rücknahme der Anerkennung. Ich zitiere aus der Begründung: „Bei der erneuten Prüfung mussten wir zur Beurteilung kommen, dass die Ausstellung Japan Unlimited dem Zweck von Jubiläumsveranstaltungen, die freundschaftliche Beziehung zwischen Österreich und Japan zu fördern, nicht entspricht.“

 

Welche der ausgestellten Kunstwerke stören die freundschaftliche Beziehung?

Die Botschaft an sich bezieht sich auf keine spezifischen Werke. Im Netz, vor allem auf Twitter, wird das Video des großen Makoto Aida vom japanischen „right wing“ attackiert. In diesem Video spielt Aida die Rolle eines fiktiven japanischen Premiers, der mit gebrochenem Englisch eine absurde Rede vor einer internationalen Versammlung hält. Es ist klar, dass Aida den aktuellen japanischen Premier Shinzo Abe und die nationalistischen Tendenzen seiner LDP-Partei parodiert, aber es handelt sich um subtile, total witzige politische Satire, wie sie in Europa gang und gäbe ist. Oder das Video von Chim Pom, in welchem das Künstlerkollektiv eine Art Kraftritual mit einer Gruppe von Jugendlichen in einer vom Tsunami zerstörten Stadt ausführt. Diese Stadt befindet sich in der Nähe des havarierten Reaktors Daiichi und somit fallen beim Ritual auch die Worte Fukushima und Radioaktivität, die von der japanischen Regierung nicht erwünscht sind. Weitere auf Fukushima bezogene Werke wurden im Internet unter Beschuss genommen. Nicht zuletzt Arbeiten, die mit dem Kaiser Hirohito zu tun haben, jenem Kaiser, der mit Hitler und Mussolini kooperierte. Auch in diesem Fall handelt es sich aber um subtile Kunstwerke, die eher Fragen aufwerfen: etwa über die tatsächliche Rolle und Verantwortung des genannten Kaisers im zweiten Weltkrieg, über die Beziehung zwischen Japan und USA, sogar über die Beziehung zwischen Männer und Frauen in Japan. Weitere Kunstwerke, die andere japanische Tabus bzw. in Japan heikle Themen wie etwa Nacktheit, Homosexualität, Menstruation und die Todesstrafe behandeln, wurden zum Glück verschont.

Warum ist Kunst in Japan dermaßen „unfrei“?

Das hat wahrscheinlich mit tatemae zu tun, die in Japan besonders ausgeprägt ist. Auf den Spuren von tatemae – „Maskerade“, die den Erwartungen der Öffentlichkeit entspricht – und honne – die der Öffentlichkeit gegenüber verborgenen Gefühle – untersucht die Ausstellung nämlich, in welcher Form dieses die japanische Gesellschaft prägende Prinzip in der zeitgenössischen japanischen Kunst eine Rolle spielt. Tatemae und honne regeln das Verhältnis zwischen Gemeinschaft und dem/der Einzelnen, definieren, wie über bestimmte Verhaltensregeln, Gesetze, Traditionen, Konventionen das Zusammenleben gestaltet ist, – wie das auch auf unterschiedliche Art und Weise in allen Gesellschaften der Fall ist. Parallel dazu spiegeln sich in tatemae und honne ästhetische Fragestellungen wider, die das Verhältnis von Form und Inhalt, Realität und Repräsentation, Kritik und Affirmation reflektieren.
Wenn also tatemae bzw. die strengen japanischen gesellschaftlichen Konventionen gebrochen werden, auch auf künstlerischer Ebene, dann regt sich des öfteren die japanische Bevölkerung auf und Institutionen sowie der Staat stellen sich dann meistens gegen die Kunst.

 

Wie haben Sie als Kurator versucht in Japan Unlimited dieses Spannungsfeld zu untersuchen?

Die Ausstellung beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, welche poetischen Praxen, Subtexte und Metaphern gerade aus diesem Spannungsverhältnis gesellschaftlicher Konfliktvermeidung und Kritik entstehen. Tatemae reguliert nicht nur das, was unausgesprochen bleiben soll, sondern auch die Form des Indirekten oder wie etwas umschrieben oder umgangen werden kann. Welche Kontrollmechanismen entstehen dadurch, wie geht man damit um und welche Stellung kann Kritik bzw. gesellschaftskritische Kunst im öffentlichen Diskurs einnehmen? Die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten stellen indirekte Regelsysteme und damit verbundene Machtstrukturen offizieller Narrative neu zur Disposition.

Sie wollten bewusst provozieren?

Nein, eigentlich nicht. Als ehemaliger Naturwissenschaftler sehe ich Ausstellungen auch immer ein wenig wie Experimente. Die Reaktion des Publikums und der Presse stellen die Messung dar. Mit einer „vermeintlichen Harmlosigkeit“ von Japan Unlimited habe ich eine besondere Situation hergestellt, die auch tatsächlich „harmlos“ hätte bleiben können. Das japanische „right wing“ und schließlich die japanische Regierung haben die Lage gekippt und den „Skandal“ in die Wege geleitet...


Die Medienaufmerksamkeit nach der Aberkennung führte zu noch mehr Aufmerksamkeit Ihrer Ausstellung. Eigentlich müssten sie zufrieden sein…

Ja und nein. Vor dem „Skandal“ war die Ausstellung bereits sehr erfolgreich und hatte sehr gute Rezensionen. Nach dem „Skandal“ tauchten plötzlich auch die größten japanischen Medien in der Ausstellung auf, sie flogen sogar aus Paris ein. Sogar die New York Times griff den Fall auf. Ich gestehe, dass in mir auch eine gewisse Angst aufkam, denn ich wollte unbedingt nicht noch mehr Hass gegen die Ausstellung, einige Künstler*innen und mich in Japan schüren. Hinter japanischen Medien stehen oft starke politische Interessen, Konzerne, Atomkraftlobby…

Nicht bei salto.bz…

In der Rangliste für Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen schaut es für Japan mit Stelle 67 nicht gut aus – dazu liegt Italien im Vergleich auf Position 43, Österreich an Stelle 16 und Deutschland nimmt den 13. Platz ein.


Haben Sie Japan unterschätzt?

Ich glaube, dass niemand sich hätte vorstellen können, dass Japan Unlimited insbesondere in Japan so bekannt geworden wäre und dass sogar der Sprecher vom japanischen Premier bei Pressekonferenzen mehrmals zur Wiener Ausstellung eindringlich befragt würde.
Ich wollte eine etwas andere Seite von Japan zeigen, die man in der Regel nicht so gut kennt, die seltener in Europa zu sehen ist. Das MuseumsQuartier Wien und ich dachten, dass im Sinne der Meinungs- und Kunstfreiheit aber auch gerade aufgrund der guten „Freundschaft“ zwischen Japan und Österreich mittels Kunst auch Kritisches problemlos angesprochen werden könnte.