Culture | Texte

Cinema

Der Textauszug aus "Cinema" zeigt ein besonders spannendes Kapitel Südtiroler Kinogeschichte auf, den Schmuggel von deutschsprachigen Filmstreifen über die Berge.

Für den Textauszug aus dem "Cinema"-Buch von Renate Mumelter in Zusammenarbeit mit  Martin Kaufmann bedanken wir uns beim Raetia Verlag; das Buch geht der Kulturgeschichte von Film und Kino in Südtirol seit 1945 nach.

 

Die Kinolieferanten
„Dreck, immer voll Dreck war man. Die Boten warfen die Filme auf den Lastwagen, ob es da regnet oder schneit oder staubig ist, du musst sie herumtragen, und dann bricht der Spagat. Die Kundschaften behalten den guten Spagat. Kaum habe ich den Film aufgehoben, bumms, war der Spagat kaputt. Ich habe einen Zettel beigelegt, ‚si chiede di ritornare il film con lo stesso spago‘ (Man bittet, den Film mit derselben Schnur zurückzugeben), und alle haben mich gehanselt“, erinnert sich der Filmverleiher Guido Lorenzoni. Kinoarbeit kann sehr schön, sie kann aber auch sehr mühsam sein. Guido Lorenzoni hat es mit seinem „Dreck“-Sager 1988 auf den Punkt gebracht: Die Filmbeschaffung in Südtirol war ein schmutziges Geschäft, nicht nur wegen der brüchigen Schnüre. Die deutschsprachigen Filme kamen auf abenteuerlichen Wegen ins Land, im Lebensmittel-Lieferwagen, im Sportflieger, im Kofferraum oder aber gar nicht, denn die Rahmenbedingungen für den Filmimport waren für die deutschsprachige Minderheit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges komplex und schwer durchschaubar. Schwere Kartons mussten geschleppt werden und es waren ausgefuchste Bestimmungen einzuhalten. Seit der Digitalisierung der Kinos 2013 haben die schweren Kartons weitgehend ausgedient. Filme werden auf Festplatten in kleinen Köfferchen geliefert. Vorher waren die 35-mm-Streifen auf mehreren großen Rollen in schweren Kartons zu den Kinobetreibern gekommen.
Der technische Fortschritt ermöglicht es nun, Filme digital zu speichern. Auch gesetzliche Hürden wurden Schritt für Schritt abgebaut, 1972 mit der Einrichtung einer autonomen Zensurbehörde in Bozen, 1973 mit der Abschaffung der Zollgebühren für Filme, 1993 mit der Öffnung der
Handelsgrenzen. Heute ist alles etwas einfacher geworden, als es in den Jahren zwischen 1945 und 1993 war. „Mit einem Bein war man immer im Loch“, sagt Martin Kaufmann, der mit seiner Latemar-Film einer der Südtiroler Verleiher war. Seine Mitbewerber waren Guido Lorenzoni (Condor-Film), Sepp Innerhofer (Apollo-Film), Bruno Schöpf (Dolomit-Film) und Max Pörnbacher vom Alpen-Kino in Sand in Taufers. Sie alle besorgten die italienischen Filme und einige wenige Filme in deutscher Sprache von den Verleihern in Padua, und das lief bis auf die üblichen Alltagssorgen problemlos. Da man in Südtirol aber auch deutsche Filme sehen wollte, mussten diese aus dem Ausland geholt werden, und da begannen die Schwierigkeiten.

Die Geschichte des deutschsprachigen Nachkriegskinos in Südtirol begann mit Altbeständen der Wehrmacht. Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg gab es einen Fundus an deutschen Filmen, die in Italien geblieben waren. Südiroler Verleiher hatten natürlich Interesse daran. So kam es, dass das staatliche Ufficio Recuperi beim Aufräumen der beschlagnahmten Bestände Interessierten neben Autos, Flugzeugen, Motorrädern und Pistolen auch Filme anbot. „Zwei Geometer hatten das Ufficio in Pacht“, erinnert sich der Verleiher Guido Lorenzoni. Die Geometer hätten ihm Filme angeboten. „Da habe ich angefangen. Zuerst italienische Filme. Das hat nichts getragen.“ Erst danach habe er begonnen, deutsche Filme zu verleihen. „Von einem Geistlichen drunten im Rovigotto habe ich deutsche Filme gekauft, die die Wehrmacht zurückgelassen hat.“ Es sei aber „keine Reklame dabei gewesen“, bemängelte er. Es fehlten Plakate und Fotos für die Schaukästen der Kinos. Unter diesen alten Filmen, die weitergereicht wurden wie Alteisen, gab es nicht nur Filme wie Die Schrammeln (1944) und Der Postmeister (1940), sondern auch einen Jud Süß (1940) und ähnliche Brocken. Sowohl die Dolomit-Film von Bruno Schöpf als auch die Condor-Film von Guido Lorenzoni haben ihre Verleihtätgkeit mit diesen Beständen begonnen. Das war aber nur eine Grundlage. Aktuellere Filme mussten aus dem deutschsprachigen Ausland importiert werden, und das war umständlich und bisweilen gefährlich. Noch 1987 sah die Importprozedur folgende Etappen vor: Gesuch an das Außenhandelsministerium in Rom, Warten auf Genehmigung, Einfuhr via Spedition, Zensurverfahren in Bozen (bis 1972 musste das Zensurverfahren in Rom und auf Italienisch abgewickelt werden), nach spätestens sechs Monaten wieder Export.

Der Austausch mit dem Nicht-EWG-Land Österreich war noch schwieriger. Kosten waren damit natürlich auch verbunden. Die Südtiroler Kinounternehmer mussten sich also arrangieren und griffen auf ein Mittel zurück, das in einem Grenzland durchaus gebräuchlich ist: den Schmuggel. Damals, vor der Öffnung der Grenzen, passierten also nicht nur Zigaretten, Schnaps und Schokolade heimlich die Grenze, sondern auch Filme. Diese hatten allerdings den großen Nachteil, wenig handlich zu sein. Vielleicht ranken sich auch deshalb jede Menge Geschichten um den aufregenden Filmschmuggel. Der italienischen Filmwelt in Südtirol blieb diese Problematik erspart und daher auch verschlossen.

 

Schmuggelware Film
Jeder Schmuggel brauchte gewogene Kollaborateure im Ausland. Ein Verleiher musste sich bereit erklären, dem deutschen Süden eine Filmkopie abseits der üblichen bürokratischen Wege zur Verfügung zu stellen. Mit dem Südtirolbonus, ein paar Flaschen Wein oder etwas Speck ließ sich das arrangieren. Dann war der Transport der großen Kisten vorbei an den Grenzern im Norden oder Osten zu bewerkstelligen. Für diesen Transport entwickelte jeder seine eigenen Strategien.
Besonders nonchalant soll Maria, die Frau des Meraner Kinobetreibers und Verleihers Sepp Innerhofer, die Kartons über die Grenze gebracht haben. Frauen wurden beim Zoll eher durchgewinkt.

Max Pörnbacher, der Kinobetreiber aus Sand in Taufers, erwies sich als talentierter Film-Transporteur. Das Wort „Schmuggel“ hört er in diesem Zusammenhang nicht gern, er spricht lieber von „Notwendigkeit“. Meistens kam Pörnbacher mit entwaffnender Ehrlichkeit am ehesten ungeschoren über die Grenze. Auf die übliche Zöllner-Frage nach mitgeführten Waren antwortete er wahrheitsgemäß, dass er nur zwei, drei Filme mitführe. Und weil die Grenzer beim Wort „Film“ nur an die kleinen Fotofilme dachten, ging alles glatt. Nur einmal, erzählt Pörnbacher,
ging es wirklich eng her. „Wir hatten fünf schwere Filmkartons in unseren gut gefederten Opel geladen, der hatte dadurch eine verdächtige Tieflage. Gefährlich. Deshalb beschlossen wir, doch lieber über die Felbertauern statt über den Brenner zu fahren. Am Brenner waren die Kontrollen nämlich besonders streng. An der Grenze im Pustertal wurde die übliche Frage nach zu verzollenden Gütern gestellt, und darauf gab es unsere übliche Antwort. Alles gut – dachten wir. Wäre da nicht, gerade als wir losfahren wollten, ein Finanzbeamter aus dem Grenzhaus gestürmt. Schrecksekunde. Wir mussten stehen bleiben, der Grenzer bat uns, ihn mitzunehmen. Er müsse einen schwedischen Lkw verfolgen. Wir stürzten uns hilfsbereit in die Verfolgungsjagd. Im Kofferraum klumperten die Filmkartons verdächtig. Wir erreichten den Lkw, der Grenzer stieg aus und bat uns, auf ihn zu warten. Diesen Wunsch konnte ich ihm nicht erfüllen. Ich startete durch.“
Max Pörnbacher ist heute der Meinung, dass das geschickte Schmuggeln von Filmen, das man so nicht nennen sollte, das wirtschaftliche Überleben seines Kinos in Sand in Taufers wohl um zehn Jahre verlängert hat. 

„Schmuggler“ will auch Hubert Prast, Kinobetreiber und Zahntechniker aus Klobenstein, nicht genannt werden. Er habe Filme lediglich unorthodox transportiert, sagt er. Die Filme, die er in seinen Sportflieger packte, waren alle mit den erforderlichen Papieren (dem sogenannten Carnet) ausgestattet. Prast ist heute noch leidenschaftlicher Sportflieger. Als Kinobetreiber beschaffte er sich seine Filme über den Verleih von Sepp Innerhofer in Meran. Allerdings dauerte es stets eine Weile, bis die Filme im Land waren. Als Innerhofer von Prasts Flugleidenschaft
erfuhr, schlug er ihm vor, die Filme einzufliegen. „Den Flugplan musste ich sowieso machen, das war eine ganz normale Sache, in 32 Minuten war ich von München in Bozen“, erinnert sich Prast. „Die Spedition am Verdiplatz hat die bürokratische Prozedur erledigt, ich habe das Zeug mit hereingenommen, man hat mir das Benzin bezahlt, und die Sache hatte sich.“ Bis dann plötzlich „der Teufel los war“. Es war Anzeige erstattet worden. Prast wurde mit seinen drei, vier Filmkartons am Flughafen in Bozen aufgehalten, die geliehene Maschine wurde beschlagnahmt, das war das Schlimmste an der Sache. Prast musste sich einen Anwalt nehmen. Das Flugzeug wurde erst nach vier, fünf Wochen freigegeben.
„Angezeigt hat mich ein neidischer Mitbewerber“, vermutet Prast. „Den hat es wohl irritiert, dass die Konkurrenz die Filme plötzlich so schnell im Land hatte.“
Martin Kaufmann erinnert sich, dass er immer schon auf der Fahrt ins Ausland begann, darüber nachzudenken, mit welcher faulen Ausrede er auf die Fragen der Grenzer antworten könnte. Filme mussten auch retour geschmuggelt werden. Das Auto des Filmclub-Mitbegründers und Lebensmittelhändlers Benedikt Gramm hatte auf Auslandsfahrten zwischendurch nicht nur Streichzartes wie Margarine geladen, erzählt man sich. Fassbinders Händler der vier Jahreszeiten (1971) bekam die Rückreise im Margarine-Auto besonders schlecht: Der Film wurde auf dem Weg nach Deutschland entdeckt, beschlagnahmt und verschwand lange in den Lagern der Grenzbehörden. Der deutsche Verleih musste Verluste hinnehmen, und der gute Ruf des Importeurs Martin Kaufmann war vorübergehend angeschlagen.

Auch das deutsche Kulturkino tat sich schwer. Bis die Grenzkontrollen 1997 aufgrund des Schengenabkommens wegfielen, führten unzählige Brenner-Fahrten zu geheimen Treffen zwischen Leuten des Filmclubs aus dem Süden und jenen des Cinematographen, eines Programmkinos in Innsbruck. Bei einem Glas Wein und einem kurzen Plausch wechselten Filmkartons das Auto und reisten weiter. Teilaspekte des Imports sind trotz aller Grenzöffnung noch immer nicht geklärt. „Es geht um die Grundsatzfrage, ob aufgrund der Südtiroler Autonomie, und zwar insbesondere des Staatsgesetzes Nr. 118/1972, Artikel 1 bis 5, eine Verleihfirma in Südtirol das Recht hat, deutschsprachige Filme direkt aus dem deutschen Sprachraum frei zu importieren, oder ob dies nur mit der Zustimmung des jeweiligen italienischen Verleihers möglich ist“, schrieb Kulturlandesrat Anton Zelger am 25. November 1987 an Landeshauptmann Silvius Magnago und an Giovanni Salghetti Drioli, den Chef des Rechtsamtes des Landes. Einer von vielen Versuchen, etwas Klarheit in diese komplexe und – zugegeben etwas trockene – Angelegenheit zu bringen. Welche konkreten Auswirkungen diese Frage haben kann, musste Martin Kaufmann mit seiner Latemar-Film gleich mehrmals erfahren. „Mir hat eine Produzentin in Rom einen Prozess angehängt, weil ich Kommando Leopard (1985) von einem deutschen Verleih hereingeholt habe. Ich hatte den Film legal mit Genehmigung des Außenhandelsministeriums über die Grenze gebracht, er wurde aufgeführt und gut. Danach drohte mir die Frau mit allen Teufeln, weil sie die Aufführungsrechte für Italien habe und mir erklärte: ‚Fino a prova contraria l’Italia va fino al Brennero‘.“ („Solange nicht das Gegenteil bewiesen wird, reicht Italien bis zum Brenner.“) Auch heute kann es noch vorkommen, dass ein US-Film, der seinen Kinostart in Österreich und Deutschland im Jänner des Jahres hat, in Südtirol erst dann gezeigt werden kann, wenn der Italienstart vorgesehen ist. Das kann manchmal Monate dauern und der Werbeeffekt aus den deutschen Medien ist inzwischen verpufft. Es gibt aber auch Filme, für die eigene Aufführungsrechte in Südtirol reserviert werden konnten; etwas hat sich also doch getan seit 1945.