Culture | Bücherregal

Heu und Stroh

Kristian Sotriffer schafft mit ARUNDA 28 eine „Spur des Verschwundenen“ und zeigt in Bildern, was unser Landschaftsbild und die Arbeit in der Natur einmal geprägt hatte.
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Sie haben uns schon fast überall verlassen: Die auf Wiesen und Feldern während der Sommermonate aufmarschierenden Reihen und Kolonnen der Heupuppen und Kornmännchen, die uns vereinzelt bis in den Spätherbst vor allem an Gebirgshängen begleitet haben. Aus den Ebenen hat man sie vertrieben und wie die einst vor eindringenden Fremdlingen Flüchtenden in entlegenen Bergtälern Zuschlupf suchen lassen. Aber auch dort sehen sie keiner sicheren Zukunft entgegen: Überall sind sie von der endgültigen Ausrottung bedroht, die unsere Freunde von Kindheit an waren und die unsere Kinder und Enkel nicht mehr kennenlernen dürfen. Sie können nur mehr Abgepacktes, Eingerolltes, für den raschen Abtransport bestimmtes Einförmiges wahrnehmen und nicht mehr das wesenhaft Vielfältige, das von Region zu Region, von Landschaft zu Landschaft eigene Bewegungen verursachte, einen jeweils wechselnden Reigen aufführte in uns anthropomorph anmutenden, freundlichen, einer Kultur Ausdruck gebenden Gebilden und Gestalten.

Diese Kultur verschwindet vor unseren Augen. Mit ungeahnter Geschwindigkeit auch dort, wo sie sich wenigstens partiell noch in die achtziger Jahre des auslaufenden 20. Jahrhunderts herein retten konnte. Die armen Bauern, die einmal unten in den Tälern ihre sumpfigen, sauren Wiesen mähten und während der Heumahd auf die Alm zogen; jene anderen, die das Korn schnitten und sichelten, es banden, aufluden, droschen; die so hart arbeiten mussten: Sie standen in einer anderen Fron als jene, die das Gras nicht mehr mähen, weil es sich nicht „lohnt“; die es auf den Feldern mit Traktoren wenden, mittels Maschinen paketieren und abführen; die das mit Hilfe der Chemie vermehrte, so prächtig „stehende“ Getreide mit ihren knatternden Monstern greifen, schneiden, dreschen und bündeln lassen, während der Boden auslaugt, das Wasser verunreinigt, Lebensbereiche für das Getier vom Wurm bis zum Vogel und von der Feldmaus bis zum Feldhasen zerstört werden. Kulturlandschaften haben sich in öde Distrikte verwandelt, in denen nichts anderes mehr gedeihen und leben darf, als das unmittelbar Nutzbare. Das alte Handeln, Hantieren, Formen und Stellen, Bewahren und Schützen, Nutzen und Verwenden war von vielen Gedanken über das Wachsende, Lebenserhaltende, das Absterbende und Wiederkehrende in einer Art „offenem Fließgleichgewicht“ begleitet, von Festen, von Gesängen und Dichtungen, von den Bildern der Maler und jenen, die mit ihren Photoapparaten viel von dem eingefangen haben, was noch vor einem halben Jahrhundert überall „der Brauch“ war und seitdem mehr und mehr verschwunden ist. Oder eben in sehr entlegene Ecken verdrängt, wo Menschen an alten Verrichtungen und Hantierungen mit Heu und Stroh nicht immer nur aus Not noch immer festhalten, weil es ihnen opportun und richtig erscheint, nicht aufzugeben, was sie und jene, die ihnen vorangegangen waren, als sinngebende Arbeit geprägt hatte.