Economy | Mindeststundenlohn

Ein Allheilmittel?

Die Debatte über die Einführung eines gesetzlichen Mindeststundenlohns in Italien ist eine Gelegenheit, darüber nachzudenken wie man die Löhne am besten schützen kann.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: Fabio Petrini

In Italien gibt es ohne Zweifel eine "Lohnfrage". In ganz Europa nimmt in Folge wirtschaftlicher Veränderungen die vertragliche Absicherung für Arbeitnehmer ab. Aus diesem Grund haben die Gewerkschaften dort einen gesetzlichen Mindestlohn gefordert, um bedeutende Bereiche des Arbeitsmarktes zu schützen, die nicht unter die Kollektivverträge fallen, aber auch, um ArbeiterInnen mit extrem niedrigen Mindestlöhnen abzusichern.

Das in Italien geltenden Tarifverhandlungssystems weist viele Besonderheiten auf. In Italien haben die nationalen Tarifverhandlungen ihre allgemeine Gültigkeit nicht verloren. Fast jeder Arbeitnehmer fällt unter einen nationalen Tarifvertrag und auch LeiharbeiterInnen haben dieselben Lohnrechte wie andere Arbeitnehmer. Bedenklich ist allerdings die Zunahme jener Verträge, welche die von den Sozialpartnern abgeschlossenen Abkommen unterlaufen. Daher wäre es dringend notwendig, den nationalen Arbeitsvertrag als rechtlich bindend festzulegen. Arbeitnehmer, die nicht von den nationalen Kollektivverträgen abgesichert sind (10-15% der Erwerbstätigen), arbeiten oftmals schwarz oder sind stark unterbeschäftigt. In diesem Bereich würde auch die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns kaum eine Besserung bringen. Man muss jedoch nicht nur die Rechtskräftigkeit der nationalen Tarifverträge stärken, sondern auch mehr Kontrollen durchführen. Notwendig sind daher Investitionen in die Humanressourcen jener Behörden, die für Inspektionstätigkeiten zuständig sind. Heute müsste jeder Inspektor durchschnittlich 456 Unternehmen pro Jahr überprüfen, was wohl kaum realisierbar ist. Eine Stärkung des rechtlichen Werts der von den repräsentativsten Organisationen festgelegten Verträge, würde die Arbeit der Inspektoren zusätzlich erleichtern.

Die alleinige Definition eines gesetzlichen Mindeststundenlohns, ohne die rechtliche Absicherung des nationalen Arbeitsvertrages vorzusehen, würde eine "gesamtwirtschaftliche Behandlung" nicht garantieren. Die derzeitigen Gehälter bestehen nämlich aus mehreren Gehaltsbestandteilen (13. und in einigen Fällen 14. Monat, Einstufungen usw.) und nicht nur aus einem fixen Stundenlohn. Dazu kommen noch andere Leistungen wie Krankheit, Unfall usw. Der tatsächliche Stundenlohn eines Arbeitnehmers laut nationalem Kollektivvertrag liegt daher deutlich über einem einfachen Mindestlohn. Daher würde es genügen die Kollektivverträge und den dort ausgehandelten Lohn als den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn zu bestimmen. Die Einführung eines gesetzlichen Mindeststundenlohns, der sich von den nationalen Arbeitsverträgen unterscheidet, ist gefährlich, da man damit deren Wirksamkeit untergraben könnte. Dies könnte sowohl die realen Löhne als auch den Schutz der Arbeitnehmer vermindern. Mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns riskieren wir, dass viele Unternehmen einfach keinem Berufsverband beitreten, um so den Verpflichtungen aus dem den nationalen Tarifvertrag zu umgehen.

Ein gesetzlicher Mindestlohn dürfte daher die Situation vieler Arbeitnehmer wohl eher verschlechtern als verbessern, falls er vom nationalen Kollektivvertrag abweicht. Außerdem sind in einigen Ländern, in denen der gesetzliche Mindeststundenlohn eingeführt wurde, spezielle Gruppen von Arbeitnehmern und bestimmte Vertragsarten davon ausgenommen. Das Problem ist dabei die genaue Definition was lohnabhängige Arbeit ist und was nicht. Ein positiver Ansatz im aktuellen Gesetzesvorschlag ist der Hinweis, dass eine angemessene Vergütung gemäß Art. 36 der Verfassung in erster Linie diejenige ist, die sich aus der Gesamtvergütung der nationalen Tarifverträge ergibt, die von den repräsentativsten Gewerkschaften ausgehandelt werden. Es wäre daher logisch, die wirtschaftliche Behandlung laut nationalem Kollektivvertrag als "erga omnes"- für alle Unternehmen und für alle Arbeitnehmer in jedem Sektor festzulegen, auch um den so genannten "Piratenverträge" entgegenzuwirken und dem Lohndumping vorzubeugen. Die Messung der gewerkschaftlichen Repräsentativität ist dabei natürlich unerlässlich, ebenso jene der Arbeitgeberverbände.

Wir sind davon überzeugt, dass das Parlament, bei Berücksichtigung der oben genannten Grundsätze, einen wichtigen Beitrag dazu leisten wird, eine für alle Arbeitnehmer gültige Mindestgarantie zu gewährleisten. Die rechtliche Anerkennung "erga omnes" der Kollektivverträge könnte das Vertragsdumping verhindern und dazu beitragen, ungerechtfertigte Niedriglöhne zu verhindern. Dadurch würde man den italienischen Gegebenheiten Rechnung tragen und die Arbeitnehmer auch ohne einen gesetzlichen Mindestlohn absichern.