Culture | Kulturwerkstatt

Neue Perspektiven für die Kultur

Sigisbert Mutschlechner, Präsident des Kulturzentrums Toblach spricht über die neue Veranstaltungsreihe, in der die Zukunft der Kultur in Südtirol diskutiert wird.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Sigisbert Mutschlechner
Foto: © Ulrike Rehmann

Artikel in Zusammenarbeit mit „Euregio Kulturzentrum Gustav Mahler Toblach“

 


 

Sigisbert Mutschlechner ist Präsident des Kulturzentrums Toblach. Er ist Initiator der Toblacher Kreativ-Gespräche, die in diesen Wochen auf dem Youtube-Kanal des Euregio Kulturzentrums online gegangen sind.

Bei drei Gesprächen begegneten sich zunächst Kulturveranstalter, dann Kulturschaffende und schließlich Kulturvermittler, um abzuwägen, wie es für die Kultur in Südtirol nach der Pandemie weitergehen könnte.

Beim Gespräch der Kulturveranstalter am 19.03. hat Sigisbert Mutschlechner gemeinsam mit Anna Heiss von der Dekadenz in Brixen und Klemens Riegler von Steinegg Live über Ideen für die Zukunft der Südtiroler Kultur diskutiert Im Gespräch mit salto.bz vertieft er einige von ihm angesprochene Aspekte, vor allem die Wichtigkeit von Vernetzung der Kulturschaffenden, die Vermittlung von Kultur auch an jüngere Generation und die dadurch entstehende Möglichkeit der Identifizierung mit Kultur.

 

 

salto.bz: Herr Mutschlechner, Sie waren aktiv bei der Idee der Gesprächsreihe zum Thema "Kultur neu denken" beteiligt. Woher kam diese Idee?

Sigisbert Mutschlechner: In erster Linie war mein Gedanke dahinter, das Kulturzentrum in Toblach sichtbar zu machen, nicht nur durch Kulturveranstaltungen wie Konzerte, sondern auch durch die Möglichkeit, über Kultur zu diskutieren. Uns ist aufgefallen, dass es bisher nicht viele Möglichkeiten gibt über Kultur zu sprechen und sie auch neu zu gestalten. Ich bin der Meinung, dass es so, wie es vor Corona gewesen ist, in Zukunft nicht mehr weitergehen kann.

War dafür Corona der notwendige Bruch? Oder hat es derartige Gedanken eines Wandels schon vorher gegeben?

Eigentlich schon. In Toblach hat es immer wieder solche Überlegungen gegeben, dass wir Kultur, die Organisation und das Angebot neu aufstellen müssten.

Aber Vieles in Südtirol und auch bei uns in Toblach ist alteingesessen. Es gibt mittlerweile Veranstaltungen, die seit 30, 40 Jahren existieren und immer gleich gestaltet werden. Das Angebot ist über die Jahre mehr geworden, aber das Publikum wächst nicht mit. Dahingehend haben wir vor Corona auch schon öfter überlegt, dass man eigentlich weniger anbieten müsste. Und auch, wie man das bestehende Angebot neugestalten könnte, damit wieder mehr Publikum kommt. Außerdem haben viel wir Kultur auf den Tourismus ausgelegt. Der Gast kommt, ist danach aber auch wieder weg. Und er kann sich vielleicht sogar das gleiche Konzert mit dem gleichen Orchester in München anhören. Corona kann uns jetzt als Chance der Neugestaltung zu Hilfe kommen. Aber den Gedanken hat es schon vor Corona gegeben.

Sie haben in der Diskussion der Veranstalter darüber gesprochen, dass versäumt wurde, das Publikum „mitzuerziehen “ mit dem Kulturangebot.

Das passiert, weil es so viel Kulturveranstaltungen in Südtirol gibt, die in den Siebziger- oder Achtzigerjahren (oder Neunzigerjahren) entstanden sind, wie die Meraner Festwochen oder die Gustav-Mahler-Wochen, die über die Jahre gewachsen sind. Aber man hat versäumt, über die Jahre junge Leute in die Organisationen zu integrieren, aber auch zu schauen, ob überhaupt neues Publikum nachkommt.

Sie sprachen ja auch über die Zusammenarbeit von alteingesessenen Institutionen und den jungen Kulturstätten und den wichtigen Austausch zwischen diesen. Welches Potential sehen Sie darin?

Ich persönlich sehe da ein großes Potential. Ich glaube, dass in Zukunft die der Kultur zugedachten Gelder in Südtirol nicht unbedingt mehr werden, auch wenn es offiziell heißt, dass die Kultur nicht beschnitten werden soll. Zwangsläufig wird es dort aber sicher Einschränkungen geben. Deshalb müssen wir uns untereinander besser absprechen. In der Diskussionsreihe ist das schon sehr gut gelungen. Die Reihe der Gespräche der Kulturwerkstatt braucht meiner Meinung nach auch unbedingt eine Fortsetzung. Unser Ziel war ja auch nicht, zu jammern, wie schlecht es der Branche momentan geht. Es war eher ein Aufzeigen davon, was man momentan braucht, was man sich überlegen könnte, um besser nach der Pandemie zu starten.

Das heißt, die Kulturgespräche helfen auch wirklich dabei, den Kulturwert neu zu definieren und eben zu Netzwerken?

Genau, das was wir in dem ersten Gespräch und in den Nachgesprächen von den Kulturveranstaltern gemerkt haben, ist, dass die Kultur in Südtirol schon eine Vernetzung untereinander braucht, ohne aufeinander neidisch zu sein. Man muss da viele Barrieren und Ängste außen vorlassen.

Sie haben ja in dem Gespräch am Freitag darüber geredet, dass es verschiedene Schauplätze mit verschiedenen Markenzeichen in Südtirol gibt, so dass jeder dann einzigartige Projekte auf die Bühne bringt, ohne das gleiche zu machen wie andere Einrichtungen. Wäre das eine Art der Absprache?

Ja, es wäre gut, wenn man Sachen nicht doppelt macht. Es kommt auch oft vor, dass in vielen verschiedenen Dörfern das gleiche Kulturangebot existiert. In den Kulturzentren ist es ähnlich. Man müsste sich überlegen, welche Merkmale einzelne Orte haben und diese wertschätzen, ohne sich ständig das Publikum gegenseitig zu nehmen.

Und wie ist es dann mit kleineren Schauplätzen und Kulturverbänden? Fakt ist ja, dass sehr viele Menschen im Ehrenamt in Kulturverbänden tätig sind und dadurch viele kleine Schauplätze entstehen, wo sicher oft Ähnliches gemacht wird?

Es ist wichtig, dass in den Dörfern Kultur gestaltet wird. Was aber schon wichtig ist, ist zu erkennen, was das Kulturzentrum Toblach macht, was dort die Kerninhalte sind und was in dem selben Moment ein Nachbardorf macht. So das man nicht sofort das Bedürfnis hat, ein Orchester noch einmal im Nachbarort spielen zu lassen. Ich kann als Kulturveranstalter die Veranstaltung aus dem Nachbardorf ja auch mittragen. Im Hochpustertal haben wir ja nicht so ein großes Einzugsgebiet, aber wenn jeder nur auf sich schaut, dann geht Toblach unter. Aber wenn man sich vernetzt und sagt, im gesamten Hochpustertal kann Toblach ein Kulturzentrum für Alle sein, dann hat das mehr Strahlkraft.

 

Wie war es denn vor der Pandemie? Gab es schon konkrete Kooperationen zwischen Konzerthäusern oder anderen Kulturstätten?

Es gab sie, aber zu wenig. Beispielsweise hat man dann ein Orchester aus dem Ausland nach Südtirol geholt. Um die Kosten zu reduzieren, hat man es dann einfach zweimal in Südtirol spielen lassen. Das ist prinzipiell nicht schlecht, aber so wird natürlich auch die Exklusivität einer Veranstaltung reduziert. Und die Konzerte sind dann an den einzelnen Orten je nicht ausverkauft. Da stellt sich die Frage, was ich als Konzertveranstalter möchte: Möchte ich, dass die Konzertveranstaltung für mich billiger wird, und ich dafür aber weniger Einnahmen habe, oder wäre es nicht besser, dass ich einen Künstler herhole, und das dann gemeinsam mit anderen Kulturstätten bewerbe? Aber das ist leider eine Eigenart von Südtirol, dass jeder auf seinen Kirchturm schaut.

Würden Sie sich eine Loslösung von den finanziellen Aspekten und eingekaufter Kultur wünschen?

Ja, ein bisschen schon. Wenn man Kulturvermittlung und –Erziehung betreiben will, dann muss ich den kulturschaffenden Menschen in Südtirol Auftrittsmöglichkeiten geben. Die Menschen hier müssen sich mit der Kultur identifizieren können. Wenn wir jetzt in Toblach die gesamte Kultur, die bei uns stattfindet aus dem Ausland einkaufen, dann kann es passieren, dass sich mit dem Kulturzentrum niemand mehr identifiziert. Es gibt auch viele Kulturveranstalter die sagen, es gibt zu wenig gute Qualität in Südtirol, aber das stimmt nicht. Es braucht die Kultur von außen auch, aber wir haben zu viel eingekauft.

Das Thema Identifikation kam ja auch im ersten Gespräch auf. Sie haben dort auch gesagt, dass sie bereit wären, irgendwann den „Platz freizumachen“ für neue Impulse, um fortlaufende Identifikation mit der Kultur zu ermöglichen. Ist es so einfach, irgendwann loszulassen?

Klar ist das nicht einfach. Ich war ja auch Landeskapellmeister in Südtirol, in einem Traditionsverein, wo man davon ausgeht, dass jemand sein Amt 30 Jahre lang belegen muss. Meine Philosophie ist aber diese: Es braucht nach einer gewissen Zeit einfach eine Veränderung. Es braucht neue Ideen. Wenn man keinen Wechsel zulässt, dann baut man gewisse Gewohnheiten auf und dann wird man irgendwann betriebsblind. Man braucht schon eine gewisse Zeit, um sich etwas aufzubauen und um sich gut einzubringen. Aber man darf es nicht versäumen, jungen Leuten die Chance zu geben, irgendwo einzusteigen und etwas zu gestalten.

Nachwuchsförderung und Kulturvermittlung scheint ein wichtiger Aspekt zu sein. In Toblach gibt es Aktionen wie „Mahlers Jugend“, wo versucht wird, ein jüngeres Publikum an klassische Musik heranzuführen. Mit welchem Erfolg?

Solche Aktionen haben dann einen Erfolg, wenn man sie regelmäßig betreibt. Man muss sich da schon eine Zeit von fünf bis zehn Jahren geben, dass irgendwann das Angebot eine Selbstverständlichkeit wird. Wir merken das jetzt mit unseren Kinder- und Jugendkonzerten, die das Kulturzentrum organisiert. Durch Corona muss das leider ausfallen, aber unser Publikum fragt schon nach, wann es die nächsten Familienkonzerte gibt.

Was könnte noch dafür sorgen, dass sich Familien und junge Leute wieder mit der Kultur in Südtirol identifizieren?

Als Kapellmeister in Toblach hatte ich das Gefühl, die Musikkapelle wird von jüngeren Generationen nicht mehr wahrgenommen. Dann haben wir eine Aktion gestartet, zusammen mit der Grundschule. Wir haben jedem Kind ein Musikinstrument zur Verfügung gestellt, somit sind die Kinder in Kontakt mit der Musik gekommen. Das machen wir inzwischen seit zehn Jahren und man merkt, dass die Bevölkerung, beispielsweise auch die Eltern und das ganze Umfeld begonnen hat, sich wieder mit der Musikkapelle zu identifizieren. Sie haben gemerkt, dass die Kapelle etwas für die Menschen vor Ort tut.

Vielleicht könnten jüngere Leute auch in der Pandemie eine neue Sensibilität für Kultur entwickeln, dadurch, dass man sich mit eigenen Gefühlen auseinandersetzen muss. Musik ist ja als Vermittlung und Ausdruck von Gefühl wirksam. Wenn man jetzt Aktionen mit Schulen startet, vielleicht könnte das auch in Zukunft einen veränderten Umgang dieser Generation mit Kultur bedeuten?

Ja, das glaube ich auch. Ich sehe auch momentan die ganze Auszeit, die wir durch die Pandemie haben, als eine große Chance für einen Neustart. Wenn ich an die Zeit vor Corona zurückdenke, da gab es immer mehr Veranstaltungen, immer mehr Angebot, es wäre irgendwann nicht mehr möglich gewesen, so weiter zu machen.

Wie fühlen Sie sich momentan in der Coronakrise von der Politik gesehen?

Ich unterstelle der Politik nicht, dass ihnen die Kultur egal ist. Ich glaube einfach, dass es andere Prioritäten gibt. Es ist halt so, dass die Wirtschaft momentan lauter schreit als wir. Aber das ist ja auch wieder das Problem, dass wir untereinander in der Kultur nicht gut genug vernetzt sind. Wir stehen nicht nah genug zusammen und üben somit auch keinen Druck auf die Politik aus. Dadurch bekommen wir ein anderes Gewicht und eine andere Sichtbarkeit als beispielsweise der HGV oder andere Wirtschaftsverbände. Deshalb bekommt man oft das Gefühl, dass man nicht gesehen wird. Es kommt einem vor, dass die Kultur als Letztes drankommt, dies merken sowohl Veranstalter als auch Vereine.

Wenn Sie an das Veranstaltungsjahr 2022 denken, was würden Sie sich wünschen? Was könnten Sie sich vorstellen, wie Kultur 2022 in Toblach ausschauen könnte?

Ich stelle mir das so vor, dass Toblach gefestigter aus der Krise hinausgeht. Wir machen schon viel Vorbereitungsarbeit in der Zusammenführung von den Vereinen, die die Veranstaltungen bei uns organisieren, also die Festspiele und die Gustav-Mahler-Wochen. Schon in diesem Jahr laufen die Vereine unter dem Dach der Euroregio-Stiftung. Wir wollen den Fokus jetzt auf die Kulturerziehung und -Vermittlung zu setzen. Das werden wir vor Ort starten, mit dem Dorf selber und den umliegenden Gemeinden. Den Ort Toblach wollen wir als Kulturstätte im Hochpustertal in den Köpfen zu verankern. Wir wollen gerade Kindern und Jugendliche auf uns aufmerksam machen, weil das ja die Konzertbesucher der Zukunft sind.

Die potenziellen Besucher und die potenziellen Kulturschaffenden.

Logisch. In der letzten Gesprächsrunde hat Lea Marie Steinwandter gesagt, dass man in Toblach immer irgendwann mit Kultur in Berührung kommt. Und das müssen wir ausbauen. Dass es einfach selbstverständlicher wird, auch einmal in ein Konzert zu gehen. Die Familien fallen bei uns ja auch im Publikum oftmals weg, weil die Konzerte alle zu spät beginnen. Und was auch interessant ist, ist das die Kultur mittlerweile in Konkurrenz mit vielen anderen Freizeitbeschäftigungen tritt. Kultur wird gleichgestellt mit Berggehen, Skifahren oder Schwimmen. Das macht es schwieriger.

Was ist für Sie der besondere Wert von Kultur, und was fehlt Ihnen gerade jetzt, wo sie nicht normal stattfinden kann?

Mir fehlt das Gefühl, das live mitzuerleben und die Emotionen mitzufühlen. Nicht live dabei zu sein ist so, als ob man im Fernsehen jemanden sieht, der ein Glas Wein trinkt, ohne selbst je eins getrunken zu haben. Sei es als Zuhörer oder eben auch, wenn man selbst Musik macht: Das Tolle an der Musik ist ja, dass sie berühren kann. Ich weiß nicht, ob der Mangel der Berührung und des Kontaktes untereinander nicht noch ein viel größerer Schaden ist, den die Pandemie mit sich zieht, als die Pandemie selbst.