Society | Wissenschaft

„Entwickelt eure Träume“

Die Uni Bozen startet eine Kampagne mit Kurzvideos, um mehr Mädchen und junge Frauen für Forschung zu begeistern – vor allem in der Technik und den Naturwissenschaften.
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Foto: unibz / Erlacher
In wenigen Ländern Europas ist die Frauenquote in der Wissenschaft so niedrig wie in Italien: Laut Daten von Eurostat aus dem Jahr 2022 ist nur rund ein Drittel aller Forschenden weiblich. Was passiert also mit all den Mädchen und jungen Frauen, die davon träumen, Neues zu entdecken und Lösungen für aktuelle Herausforderungen zu entwickeln? Die Freie Universität Bozen hat nun eine Kommunikationskampagne gestartet, die mit zehn ihrer Forscherinnen jungen Mädchen Mut machen soll, sich für eine wissenschaftliche Karriere zu entscheiden.
Initiiert wurde die Kampagne von der Präsidentin der Universität selbst: „Wir wollen jungen Schülerinnen Mut machen, in eine technische Schule zu gehen, einen naturwissenschaftlichen oder technischen Zweig zu wählen, auch im Studium. Entwickelt eure Träume in Richtung einer wissenschaftlichen Karriere, sie ist möglich“, sagt Ulrike Tappeiner, selbst Wissenschaftlerin und Institutsleiterin bei Eurac Research sowie Professorin an der Universität Innsbruck.
 
 
Sie möchte angesichts der Daten zur Frauenquote in der Wissenschaft, allen voran der Uni Bozen, einiges ändern: Von derzeit 4.488 Studierenden sind zwar 66 Prozent Frauen. Doch von 160 festangestellten Forscher*innen und Professor*innen sind nur noch 32,5 Prozent weiblich. „Das heißt, wir verlieren viele Frauen, die erfolgreich studieren und vielleicht auch noch mit Begeisterung ein PhD-Studium absolvieren. Das zu ändern und den Karrierewunsch in der Wissenschaft anzuregen, ist mir ein wichtiges Anliegen, denn die wissenschaftliche Gemeinschaft darf in Hinblick auf die globalen Herausforderungen keine Zeit verlieren, die Leistungen von Wissenschaftlerinnen anzuerkennen und zu fördern.“
 

Weibliche Vorbilder

 
Die Kampagne der Uni Bozen setzt sich aus Kurzfilmen, Postern und einer eigenen Podcast-Reihe von unibz insight zusammen. In den Kurzfilmen berichten die zehn ausgewählten Wissenschaftlerinnen der Universität von ihrem Werdegang und geben Einblicke in ihre jeweiligen Forschungsgebiete. Die Poster mit ihren Portraits werden an den Universitätsstandorten in Bozen, Brixen und Bruneck zu sehen sein. Eine von ihnen ist beispielsweise die Lebensmittel-Mikrobiologin und Professorin Raffaela di Cagno: „Mit einer Hypothese zu starten, ihre Richtigkeit zu belegen und dann zu sehen, dass andere die eigene Arbeit anerkennen, indem sie diese zitieren, bereitet große Genugtuung.“
 
 
Und auch die Wissenschaft profitiert von Frauen, unterstreicht Rektor Professor Paolo Lugli: „In den Teams, die ich geleitet habe oder mit denen ich zusammenarbeiten durfte, waren einige der besten Forscher*innen Frauen. Vor allem der Bereich der Ingenieurwissenschaften wird im Vergleich zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen immer noch als überwiegend männlich angesehen. Mit der Eröffnung der neuen Fakultät für Ingenieurwesen am NOI Techpark werden wir uns dafür einsetzen, dass sich immer mehr Mädchen aus der Region für unsere Studiengänge einschreiben. Unsere Universität braucht ihre Intelligenz und ihre Fähigkeiten.“
Die in seinem Team im Sensing Technologies Lab forschende Professorin Luisa Petti betont mit Blick auf ihren Lebensweg: „Als allererstes musst du an dich selbst glauben. Und dann umgib dich mit Leuten, die dich fördern.“ Das stellt mitunter eine Herausforderung dar, wie Präsidentin Tappeiner ausführt: „In einer traditionellen Gesellschaft, wie der in Südtirol, herrscht noch häufig die Annahme vor, dass Frauen vor allem für die Betreuung der Familie zuständig sind. Das ändert sich langsam. Meine Großmutter hat noch zu mir gesagt, dass ich für drei Jahre die Handelsschule besuchen soll, um später als Sekretärin mehr Zeit für meine Kinder zu haben. Das wird heute nicht mehr so gesagt.“
 

Vereinbarkeit von Beruf und Familie

 
Sie fordert deshalb genügend Betreuungseinrichtungen für Kinder, aber auch einen stärkeren Kulturwandel: „Es braucht auch den Mut zu sagen, ihr seid keine Rabenmütter, wenn Kinder in Betreuungseinrichtungen kommen. Denn es ist wichtig, dass Eltern, nicht nur Mütter, für die Kinder dann da sind, wenn es notwendig ist.“ Ein weiteres Hindernis, um als Frau in der Lohnarbeit erfolgreich zu sein, sei der Gender Pay Gap: „Solange Frauen im Beruf deutlich weniger verdienen als Männer, ist die Entscheidung klar, dass eher die Karriere des Mannes gefördert wird.“
 
 
Ein Blick in den Norden Europas zeigt, dass Gleichberechtigung und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie kein bloßes Wunschdenken sind: „Ich wurde in Finnland geboren und aufgezogen. Wie Sie wissen, ist Finnland eines der Länder mit der größten Geschlechtergerechtigkeit. Meine Mutter arbeitete Vollzeit, ich ging in eine Tagesbetreuung und ich genoss meine Kindheit sehr, auch wenn meine Mutter nicht zuhause war. Aber sie war immer für mich da und sie war auch das erste weibliche Vorbild für mich“, sagt Professorin Marjaana Gunkel, die sich mit Human Resource Management an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften beschäftigt.
Auch hier in Südtirol sei der Kulturwandel spürbar, sagt Ulrike Tappeiner: „Der Wille der Politik ist da. Es wurde mit mir nicht umsonst eine Präsidentin der Freien Universität Bozen gewählt. In einer Reihe von Verwaltungsräten werden Präsidentinnen gewählt oder vorgeschlagen. Aber auch wie bei der Gefahr des Klimawandels ist eine Transformation der Gesellschaft sehr schwierig. Wichtig wäre es da, gleich von Anfang an den Mädchen die Möglichkeit zu bieten, nicht nur mit Puppen, sondern auch mit Legotechnik zu spielen. Das gilt umgekehrt auch für die Buben, um Stereotype aufzubrechen.“