Politics | Europawahlen

Gernot Gruber: „Die SVP müsste eigentlich Grazie sagen“

Wer hat von der geringen Wahlbeteiligung bei den Europawahlen profitiert? Und was hat das Wahlbündnis der Freiheitlichen mit einem Sahnehäubchen zu tun? Nachwahlbetrachtungen von Meinungsforscher Gernot Gruber.

Herr Gruber, Sie haben vor den Europawahlen aufgrund von Umfragen eine Wahlbeteiligung von 51 Prozent prognostiziert. Der tatsächliche Wert liegt bei 52 Prozent. Wie hat diese Verweigerung vieler WählerInnen das Wahlergebnis beeinflusst?
Gernot Gruber: Die große Frage ist, wer blieb zu Hause und wer ging wählen. Dazu bräuchte es eine genaue Analyse auf Gemeindeebene. Doch eine interessante Beobachtung ist, dass es in mehreren Gemeinden, wo die Wahlbeteiligung massiv nach unten gegangen ist, plötzlich ein Plus der SVP gibt. Markantes Beispiel ist  Glurns – mit einer Wahlbeteiligung von 39 Prozent und einem Zuwachs der Volkspartei um zehn Prozentpunkte auf 74,7 Prozent. Das heißt, dort gelang es offensichtlich die SVP-Stammwählerschaft zu mobilisieren, die meisten anderen sind dagegen zu Hause geblieben.

Allen voran, die Wähler der Freiheitlichen?
Der korrekte Ausdruck wäre: Die WählerInnen, die bis vor kurzem freiheitliche Wähler waren.  

Und die nun – zumindest teilweise – wieder SVP wählten?
Nein, ich denke die SVP müsste eigentlich Grazie sagen, weil bei ihren Stimmen ein starkes italienisches Votum dabei ist. Die Italiener haben ihnen sicher sehr dabei geholfen, letztendlich doch noch auf ein ansehnliches Ergebnis kommen.

Und warum wählen ItalienerInnen SVP – aus ähnlichen Motiven wie sie auf nationaler Ebene PD gewählt haben?
Ja,  sie sind einfach stuff von diesen turbulenten Zeiten. Man will jetzt einmal Ruhe und Stabilität. Tendenziell wird von den italienischen Parteien nicht mehr viel erwartet und deshalb gilt dann die EU noch als die letzte Hoffnung, die aus dem Schlamassel helfen kann. Und dann wird eben geschaut, die seriösesten Parteien dorthin zu schicken.

Noch einmal zurück zu den Freiheitlichen. Wer sind dann WählerInnen, die bis vor kurzem Wähler der Freiheitlichen waren – und nun verstärkt zu Hause geblieben sind?
Das ist ein Proteststimmenpotential, das weiterhin da ist. Und zwar in einem nicht unbeträchtlichen Umfang zwischen zehn bis zwanzig Prozent. Das sind so die klassischen Law & Order-Stimmen, die zum Beispiel die Zuwanderung einbremsen wollen.

Und die wurden diesmal nicht ausreichend gereizt von Spitzenkandidat Pius Leitner ?
Ich denke, der größte in einer ganze Reihe von Fehlern der Freiheitlichen was sicher das Wahlbündnis mit der Lega Nord. Das war so wie das Sahnehäubchen oben drauf in der aktuellen Situation. Schließlich sind freiheitliche Wähler ohnehin schon am stärksten schockiert vom Politikrentenskandal. Und dann begeht man noch den Wahnsinn, mit einer Partei ein Bündnis einzugehen, die in den letzten Jahren vor allem mit Korruptionsskandalen und internen Geldproblemen massiv medial präsent war. Das vergisst der italienische Stammwähler der Lega noch eher als die Südtiroler, die nun plötzlich die Lega mitwählen sollten.

Beeindruckend, wie der strahlende Wahlsieger vom Herbst schon im Frühling zum großen Wahlverlierer wird...
Wie gesagt: Es wurden einfach eine ganze Reihe von Fehlern gemacht – und das Wahlbündnis war der vorerst letzte große.  

Die Aasgeier kreisen bereits um das bisherige Führungsduo. Wird es Ihrer Einschätzung nach zu einem Rücktritt von Pius Leitner und Ulli Mair von ihrem Landtagsmandat kommen?
Sicher ist in jedem Fall, dass es innerhalb der Freiheitlichen nun am meisten rund gehen wird. Andere Parteien haben nun einmal eine Verschnaufpause. Die SVP wird ihr Ergebnis gut als Sieg zwischendrin verkaufen – auch wenn die Prozentzahl ein paar Detailergebnisse verheimlicht und sicherlich die niedrige Wahlbeteiligung dazu geführt hat, dass es besser gegangen ist als vermutet. Nichtsdestotrotz wird dort jetzt einmal relative Ruhe einkehren. Bei Freiheitlichen kommt jetzt dagegen sicher die große Reinemache.