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Österreich: kein blaues Wunder

Der von vielen vorausgesagte und von anderen befürchtete Erdrutschsieg der österreichischen Freiheitlichen ist ausgeblieben. Und am Wahlabend sah man nur lachende Gesichter, denn eigentlich gab es ausschließlich Gewinner.

Die ÖVP gewinnt, weil sie trotz des Verlustes von 2,7% der Stimmen und eines Mandats den Platz 1 mit mehr als 27% halten konnte. Das verdankt sie so gut wie ausschließlich ihrem Spitzenkandidaten Othmar Karas. Obwohl ihn selbst Parteifreunde als „spröde und hölzern“ bezeichnen, überzeugte er durch seine lange Erfahrung im EU-Parlament, durch Kompetenz und seine geradlinige EU-Befürwortung. Außerdem hielt er von seiner eigenen Partei Distanz. Auf den Wahlplakaten war nur „OK“ (die Initialen seines Namens) zu lesen, das Parteilogo ÖVP musste man im Kleingedruckten mit der Lupe suchen.

Die SPÖ gewinnt, weil sie mit mehr als 24% den Stand der EU-Wahlen von 2009 halten konnte und die FPÖ klar distanzierte. Der Einsatz des allseits bekannten ex-ORF-Journalisten und Moderators Eugen Freund als Spitzenkandidat hat zwar nicht den erhofften 1. Platz gebracht, aber Kanzler Werner Faymann kann erleichtert sein. Hatten die Sozialdemokraten seit seinem Amtsantritt immerhin bei 11 von 13 Wahlen (Landtags-, Parlaments- und EU-Wahlen) Stimmeneinbußen hinnehmen müssen.

Die FPÖ gewinnt zahlenmäßig am deutlichsten – ein Plus von fast 8% im Vergleich zu 2009 – bleibt mit 20,5% aber deutlich unter den Erwartungen. Seit Monaten sagen nämlich sämtliche Meinungsumfragen, ÖVP, SPÖ und FPÖ seien de facto gleich stark. Und von den 27,5% unter Jörg Haider blieben die Freiheitlichen doch meilenweit entfernt, wobei doch gerade die große Vertrauenskrise  gegenübe rder EU  der FPÖ mit ihrem Anti-EU-Wahlkampf viel Zulauf bringen hätte können. FPÖ-Chef Heinz-Christian Straches erklärtes Ziel war ja immerhin der erste Platz bei dieser Wahl. Ein Grund dafür, dass das nicht gelang, ist sicher der Skandal um den ursprünglichen Spitzenkandidaten, den notorischen Rechtsaußen Andreas Mölzer. Er hatte erklärt, die Kontrollwut der EU sei schlimmer als zu Zeiten des Nationalsozialismus. Dass Mölzer dann aber auch noch dem einzigen heimischen und über alle Maßen bejubelten Fußballstar, den in Österreich geborenen und aufgewachsenen David Alaba, auf Grund seiner afrikanischen Wurzeln das Recht absprach, sich als „echter Wiener“ zu bezeichnen, war das Maß voll. Strache musste nur kurze Zeit vor der Wahl Mölzer zum Rücktritt zwingen. Ein weiterer Grund für das verhinderte „blaue Wunder“: es sind neben den Freiheitlichen zwei weitere rechte und eine linke EU-kritische Listen angetreten. Keine hat die 4%-Hürde geschafft, aber zusammen haben sie doch an die 6% der Stimmen geholt.

Spektakulär gewonnen haben die Grünen. Mit ihrer Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek - schon seit 5 Jahren im EU-Parlament sehr aktiv – erhielten sie mit knapp 14% im Vergleich zu 2009 4 Prozentpunkte mehr, errangen einen dritten Sitz in Brüssel und werden in der EU aller Voraussicht nach die prozentuell stärkste Grün-Partei. In Wien schafften sie gestern mit mehr als 20% den 2. Platz, hinter der SPÖ (28%) aber vor der FPÖ und der ÖVP.

Nur halb gewonnen haben die NEOS. Diese vom Unternehmer Hans Peter Haselsteiner stark unterstütze Jung-Partei hatte im vergangenen Jahr bei den Nationalratswahlen vom Stand weg mit 5% den Sprung ins Parlament geschafft. Eine echte Erfolgsgeschichte. Dezidiert pro-EU, wirtschaftsliberal und dynamisch sind sie die wirkliche Neuheit in der österreichischen Politlandschaft. Die Meinungsumfragen sahen sie teilweise schon mit prognostizierten 14% vor den Grünen. Die Ernüchterung war gestern deutlich spürbar, denn es wurden letztlich „nur“ 7,6% und 1 Mandat. Aber immerhin – anderthalb Jahre nach ihrer Gründung als „Das neue Österreich und das Liberale Forum“ (NEOS) haben sie sich als ernstzunehmende Kraft etabliert.

Und die Folgen?

Das Ergebnis der EU-Wahl wird innenpolitisch kaum Nachwirkungen haben. Die große Koalition aus ÖVP und SPÖ in der Bundesregierung bleibt fest im Sattel. Die geringe Wahlbeteiligung hält sich im EU-Schnitt. Nach ersten seriösen Umfragen zum Wahlverhalten unter 1.400 Wählern und Nichtwählern steht fest, dass man die Nichtwähler nur zu einem Teil als EU-Enttäuschte oder EU-Skeptiker bezeichnen kann. Viele von ihnen waren einfach nicht motiviert genug, weil sie nicht daran glauben, dass die 18 österreichischen Abgeordneten im EU-Parlament viel ausrichten können.                                                                                          

Was aber ganz eindeutig festzustellen ist: mit Ausnahme der Strache-FPÖ haben sämtliche Parteien (ÖVP, SPÖ, Grüne und NEOS) einen dezidiert EU-bejahenden Wahlkampf geführt.