Politics | Europawahlen 2014

Politisches Erdbeben

Die Europawahlen haben völlig unerwartet Italiens politische Landschaft umgepflügt. Renzi erhält doppelt so viele Stimmen wie Grillo, Berlusconi erreicht nur 16 Prozent, Alfano scheitert fast an der Sperrklausel.
Die EU-Wahl in Italien endet mit einer Sensation, die alle Umfragen Lügen straft. Matteo Renzi demütigt seinen Rivalen Beppe Grillo und erhält mit 42 Prozent genau doppelt so viele Stimmen wie sein lautstarker Gegenspieler, der nie Zweifel am Erfolg seiner Bewegung gelassen hatte. Seit Jahrzehnten ist es in Italien keiner Partei gelungen, die 40 Prozent-Hürde zu erreichen.  

Renzi knüpft mit dem Triumph seines Partito Democratico an die Wahlergebnisse der einst allmächtigen Democrazia Cristiana an. Für die siegessichere Fünfsterne-Bewegung gestaltete sich die Wahl mit 21 Prozent zu einem  Debakel. Die Vertreter der Bewegung gaben keinen Kommentar ab, Grillos angekündigte Pressekonferenz wurde abgesagt. Es kursierten bereits Gerüchte über seinen möglichen Rückzug aus der Politik. Die lange Wahlnacht hielt weitere Überraschungen bereit: Berlusconis Forza Italia stürzte von 35 auf 16 Prozent ab, schon werden Rücktrittsforderungen laut. Angelino Alfanos Partei schaffte die Vier-Prozent-Hürde nur mit Mühe. Der linken Tsipras-Partei, die in Italien nach Umfragen seit Wochen unter der Sperrklausel lag, gelang mit 4,1 Prozent hauchdünn den Einzug ins Europaparlament. Die LegaNord wird mit sechs Prozent zur viertstärksten Partei Italiens. Die Rechtspartei Fratelli d'Italia, die mit acht Prozent gerechnet hatte, scheitert an der Vier Prozent-Hürde.

Die Wahl stärkt Italiens Rolle in der EU, der Partito Democratico steigt zur stärksten sozialdemokratischen Partei Europas auf. Vor Beginn der italienischen EU-Präsidentschaft verschafft Renzis Triumph dem 39-jährigen eine solide Verhandlungsposition in Brüssel. Der befürchtete Ansturm der euroskeptischen Parteien auf das Europaparlament hält sich in Grenzen: sie erobern 140 der 751 Sitze. Marine Le Pen steigt mit 26 Prozent zur stärksten Partei Frankreichs auf.  Das Wahlergebnis wird in Italien nicht ohne Folgen bleiben. Matteo Renzis Position ist massiv gestärkt, keine andere Partei wird angesichts des aktuellen Kräfteverhäntnisses auf Neuwahlen pochen. Renzis Koalititionspartner Angelino Alfano erscheint hingegen deutlich geschwächt.

In der Fünfsterne-Bewegung sind Turbulenzen zu erwarten. Der dialogbereite Flügel, der Grillos Rundumschläge und seinen Krawallpopulismus für schädlich hält, dürfte sich nach der Wahlkamphysterie wieder aus der Reserve wagen. In Parma, Italiens einziger Großstadt, in der mit Pizzarotti ein M5S-Bürgermeister amtiert, erhielt der PD 52 , die Fünfsterne-Bewegung 14 Prozent. Die Ergebnisse der Regionalwahlen in Piemont und in den Abruzzen sowie jene der Kommunalwahlen in 4.000 Gemeinden könnten Italiens politische Landschaft weiter verändern. Diese Auszählung beginnt erst morgen.