Society | Partizipation

Der Feinschliff-Prozess

Bürgerräte und ein Büro für politische Bildung sollen in Südtirol mehr Bürgerbeteiligung ermöglichen. Wie es bereits anderswo passiert.

Südtirol soll ein besseres Gesetz für Direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung bekommen. Seit Oktober 2014 bastelt eine Arbeitsgruppe im Landtag daran, mit breiter Partizipation der Bevölkerung und Interessengruppen. Und dem Resultat, dass inzwischen ein erster Gesetzentwurf ausgearbeitet ist. Um sich letzte Inputs für  zu holen, haben sich Magdalena Amhof, Brigitte Foppa und Josef Noggler in den vergangenen Wochen insgesamt sechs Mal mit interessierten Bürgern im ganzen Land getroffen. Den Abschluss bildete eine Expertenrunde, die heute Donnerstag im Palais Widmann stattgefunden hat. Mit dabei waren Stefano Longano vom Verein “Più democrazia in Trentino” und Karl-Ulrich Templ, stellvertretender Direktor der Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg.

Von ersterem holten sich die anwesenden Landtagsabgeordneten und das Publikum Ratschläge ab, wie die Regelung zur Direkten Demokratie, die im Gesetzentwurf enthalten ist, noch besser gestaltet werden könnte. Zweiterer berichtete über die Tätigkeit seiner Organisation, die 1952 in Westdeutschland ins Leben gerufen wurde, um die dunklen Jahre des Nationalsozialismus aufzuarbeiten und die Demokratieentwicklung zu fördern. Heute kümmert sich die Landeszentrale in erster Linie um die politische Bildung, “unabhängig und überparteilich, aber unter steter Beobachtung von Abgeordneten, Parteien und Medien”, wie Templ betonte. In Zukunft soll es auch in Südtirol ein Büro für Bürgerbeteiligung und politische Bildung geben. Einerseits, um den Promotoren von Bürgerinitiativen und Referenden beratend zur Seite zu stehen. Womit sich ein solches Büro darüber hinaus noch kümmern könnte, veranschaulichte Templ, als er davon berichtete, wie die Landeszentrale in Baden-Württemberg Initiativen zur Jugendbeteiligung fördert und aktiv Flüchtlingshilfe leistet, indem sie ehrenamtliche Helfer ausbildet und kommunale Dialoge in jenen Gemeinden durchführt, in der es besonders große Vorbehalte gegenüber Flüchtlingen und Asylbewerbern gibt.


Vorbild Vorarlberg

Was im Laufe der Diskussion deutlich wurde: Patentlösung gibt es keine, weder für direktdemokratische Instrumente noch für den Ablauf partizipativer Prozesse. Und es braucht vor allem eines: Zeit – um Vertrauen in die direkte und partizipative Demokratie zu fassen und nachhaltige Lösungen zu finden. Wie Bürgerbeteiligung aussehen kann – abseits von Abstimmungen, Referenden und Befragungen –, zeigt das Beispiel Vorarlberg. Dort werden in regelmäßigen Abständen Bürgerräte abgehalten. Auch dieses Organ ist im Gesetzentwurf von Amhof, Foppa und Noggler für Südtirol vorgesehen, in Anlehnung an das kleine Vorarlberg, das am 31. Jänner ein Bekenntnis zur Bürgerbeteiligung in seiner Landesverfassung verankert hat: “Das Land bekennt sich zur direkten Demokratie in Form von Volksbegehren, Volksabstimmungen und Volksbefragungen und fördert auch andere Formen der partizipativen Demokratie”, heißt es in dort Art. 1, Abs. 4.


Fragen für die Bürger

Im Fall der Bürgerräte arbeiten Bürger, die per Losverfahren ermittelt werden, eineinhalb Tage lang Lösungsvorschläge zu thematischen Schwerpunkten oder offenen Fragen aus. So hat es 2015 einen landesweiten Bürgerrat zum Thema Flucht und Asyl gegeben. Auf der Grundlage der Tatsache, dass die Anzahl der Asylbewerber 2015 in Vorarlberg massiv angestiegen war, wurde die Frage “Was brauchen wir, um mit dieser Entwicklung gut umgehen zu können?” im Bürgerrat diskutiert. Professionell vom Büro für Zukunftsfragen begleitet und moderiert, wurden die zentralen Fragen, die sich aus den Arbeiten des Bürgerrats ergeben haben, in einem zweiten Moment vertieft und mit Experten besprochen. Anschließend gab es einen Auswertungsprozess mit den Akteuren (Caritas, Wirtschaftskammer u.a.), bevor man in die Umsetzungsphase ging. Ergebnis des gesamten Prozesses sind die Forderungen nach einer besseren Informationspolitik und Abstimmung zwischen den Akteuren. Als Maßnahme wurden regelmäßige Austauschtreffen zwischen allen Akteueren (Politik, Wirtschaft, Interessenverbände, Hilfsorganisationen usw.) vereinbart, die nun seit 2016 stattfinden.


Bild für Südtirol wird klarer

Als “extrem wichtig” bezeichnete Brigitte Foppa im Anschluss an das Expertentreffen dasselbe. Bisher sei der Gesetzentwurf nämlich eher abstrakt konzipiert worden, vor allem was den Teil zur Bürgerbeteiligung anbelange. “Wir haben heute viele Informationen und eine Vorstellung bekommen, wie es auch bei uns funktionieren könnte”, sagt Foppa. Insbesondere sei ihr bewusst geworden, “welch immensen Vorteil Partizipation nicht nur für die Politik, sondern in erster Linie für die Gesellschaft hat”.

Mit den heute erhaltenen Inputs macht sie sich gemeinsam mit Magdalena Amhof und Josef Noggler an die Überarbeitung ihres Gesetzentwurfs. Sie rechnen damit, ihn im August fertig gestellt zu haben. Dann soll der Entwurf einen Monat lang aufliegen und die Bürger die Möglichkeit bekommen, Anmerkungen und Korrekturen vorzuschlagen. “Diese werden wir als Anregung für die Arbeiten in der I. Gesetzgebungskommission verwenden”, kündigt Foppa an, “voraussichtlich im September”. Im Oktober soll sich dann der Landtag mit dem Gesetzentwurf befassen. Zwei Jahre werden dann seit dem Auftakt der Arbeiten daran vergangen sein. Doch wie gesagt, gut Ding braucht Weile. Vor allem wenn es um die Bürgerbeteiligung geht.