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Das verlorene Paradies

Unter dem Titel „Südtirol – Eine Elegie“ stand die ARUNDA-Ausgabe Nr. 9 von 1979, verfasst vom gebürtigen Bozner Autor und Kunstkritiker Kristian Sotriffer (1932 – 2002).
Note: This article is a community contribution and does not necessarily reflect the opinion of the salto.bz editorial team.

„Das verlorene Paradies“ ist ein weiteres Thema des Buches, das ich wiedergeben darf.

„Südtirol … ein Land mit dem letzten Widerschein des Paradieses. Geht eilig hin, sonst ist der Segen verflogen! „ Kurier, Wien, 3.12.1978

Einen Marktflecken und seinen Umkreis, wo es viele wenig Begüterte, aber keine so Wohlhabende gab, dass sie daran hätten denken können oder müssen, zu erbauen, was jetzt so viel vernichtet hat. Eine Gemeinde, in der es ein paar Italiener gab und in der man den Kriegseintritt Italiens dennoch mit Glockengeläute einstimmte. An den Markt schloss sich ein Gelände an, wo die Kinder ihren Spielen nachgingen, dann in ein von Trockenmauern und kleinen Wegen, von Berberitzen und anderem Gesträuch durchzogenes Areal überging. Ein Bach durchschnitt den Ort, an ihm gab es eine Schmiede und Mühlen. Der Bach trat durch eine Waldschlucht heraus, die zwei Berge trennte.

Ludwig Steub hat vor über hundert Jahren diese Landschaft so beschrieben:

„ In diesem Taleinschnitt bietet sich eine ungemein malerische Schau. Die Häuser stecken da alle ihre Hinterteile traulich zusammen und zeigen sich so unbefangen, als wenn sie gar niemand beobachten könnte. Düngerhaufen, Laubengänge, Treppen, Vorbauten, Erker, Dachrinnen, Vogelnester, Blumentöpfe, trocknende Wäsche bilden zusammen einen bunten Wirrwarr von Farben und Linien, der zum heitersten Gemälde Anlass geben könnte.

Hier werden Berge abgegraben, dort Höhen aufgeschüttet, alte Häuser niedergerissen, neue aufgebaut, alte Felsen zerbröckelt und neue zusammengesetzt, Bäche abgeleitet oder in steinerne Betten gefasst, überhaupt alle die wunderbaren Arbeiten unternommen und durchgeführt, welche die Herstellung einer Alpenbahn erfordert“.

Was Steub damals, als das technische Zeitalter auch diesen Bereich erstmals zu verändern begann, als „wunderbar“ bewunderte, ist später weit weniger wunderbar fortgesetzt worden.

Das Umfeld des Ortes hat sich gründlich in etwas umgewandelt, was man überall haben und mit Unlust betrachten kann. Begonnen hat es mit dem Bau des Kraftwerkes am Fluss und mit den Bunkern. Aber das „Paradies“ zerstörten sie erst in den letzten Jahren. An seine Stelle trat eine in der üblichen Form brutal in den Hang nicht eingefügte, sondern eingemessene Siedlung und eine weiterführende Straße. Die alte gotische Kirche im Ort wurde durch einen entsetzlich modernistischen Zubau mit ihm adäquaten künstlerischen Zutaten um ihre Reize gebracht. Der Weg zur Burg hinüber ist einem mit gewaltigen Stützmauern versehenen Straßenbauwerk gewichen, in seiner Art ebenso überflüssig wie die überdimensionierte Straße. Im weiteren Umkreis ist die große Festung durch den Autobahndurchschnitt um ihre Wirkung gebracht.

Vor zehn Jahren feierte man an diesem Orte, gemeint ist Mühlbach im Pustertal, die 700 jährige Wiederkehr der Markterhebung. In diesen siebenhundert Jahren ist dort weniger Unheil angerichtet worden, selbst durch Feuersbrünste und Überschwemmungen, als innerhalb der letzten zehn Jahre. Nicht nur, was das „Paradies“ betrifft, von dem man nicht einmal mehr eine Ahnung gewinnen kann. Es ist ein Beispiel für viele.