Economy | Inflation

Die Armen trifft es besonders hart

In solch schwierigen Zeiten die Regierung Draghi zu Fall zu bringen, war wohl kaum im Interesse der Bürger dieses Landes.
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Es geht nicht nur um die Inflation, es braucht dringend auch strukturelle Maßnahmen, damit sich die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter öffnet. 

Die Interessen eines ganzen Landes wurden den Parteiinteressen untergeordnet. Obwohl die Entscheidung bereits getroffen war, hatten drei der Mehrheitsparteien nicht einmal den Mut, der Regierung Draghi das Misstrauen auszusprechen. Im Grunde ging es letztlich nur mehr darum, nicht das brennende Streichholz in der Hand zu halten. Die Familien mit ihren Problemen können hingegen getrost bis zum Spätherbst warten.

Der Krieg in der Ukraine geht weiter, die Pandemie ist noch nicht besiegt und die Verbraucherpreise für fast alle Arten von Produkten, (in Bozen fast um 10 %) sind rasant gestiegen, für die Lebensmittel tendenziell um 8,8 %. Für Energieprodukte hingegen braucht man nur die Rechnungen von Gas oder Strom bzw. den Preis an der Zapfsäule beobachten, um mehr als besorgt zu sein.

Eine aktuelle Umfrage von Altroconsumo unter den italienischen Haushalten ergab, dass 16 % sich die notwendige Zahnpflege nicht leisten können und für 13 % sind die Kosten für einen Facharztbesuch zu hoch. Für 10 % der Befragten ist der Kauf von medizinischen Geräten wie Brillen oder Hörgeräten unerschwinglich geworden. Dies ist nur die Spitze des Eisberges, denn 80 % der Befragten haben ihre Verbrauchsgewohnheiten bereits geändert, um Geld zu sparen.

Die Umfrage zeigt auch, dass 25 % Schwierigkeiten haben, ihre Rechnungen zu begleichen. Dies ist zwar das Gesamtbild von Italien, es dürfte aber zum Teil auch bei uns in Südtirol zutreffen. Ein Umdenken bei den Verbrauchsgewohnheiten ist zwar nicht unbedingt negativ, allerdings darf dies nicht aufgrund wirtschaftlicher Probleme der Familien geschehen.

Das tragische ist, dass die Inflation die Armen stärker trifft, als die Reichen. Zum Teil sind die Unterschiede gravierend. Der Grund liegt darin, dass erstere mehr Waren als Dienstleistungen kaufen. Und besonders die Preise für unverzichtbare Waren wie Lebensmittel und Energie sind am meisten gestiegen. 

Auf europäischer Ebene galoppiert die Inflation ebenfalls, was auf keine schnelle Entspannung hinweist. In vielen Länder Europas gibt es allerdings höhere Löhne und auch die Lohnforderungen berücksichtigen den Preisanstieg. In Italien hingegen sind die Löhne seit Ende des letzten Jahrhunderts sogar gesunken (-4,3 %).

Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer wartet auf die Erneuerung des nationalen Tarifvertrags und die Unternehmen sträuben sich strikt gegen mehr Lohn. Ein besonderes Kapitel sind die Renten, deren Anpassung gesetzlich geregelt ist, die aber erst ab 1. Januar 2023 zum Tragen kommt.

In dieser dramatischen Situation sind Ratschläge oder Anleitungen zu einem preiswerteren Lebensstil und weniger Konsum sicherlich keine Lösung.

Es kann nicht sein, dass Millionen von Italienern, die in Armut leben, weitere Opfer bringen müssen. Die Politik darf sich nicht ihrer Verantwortung entziehen und die Probleme, die durch ihre Entscheidungen geschaffen wurden, auf die Schwächsten in der Gesellschaft abwälzen. Politikverdrossenheit ist die Folge davon und mit der Verschlechterung der Lebensbedingungen für die Mehrheit der Bürger steigt die soziale Wut. In Ermangelung angemessener Antworten droht sie zu explodieren.

Italien ist ein Land mit niedrigen Löhnen und einer hohen Zahl an erwerbstätigen Armen.  Ein Grund ist der Abbau der Rechte der Arbeitnehmer, wie letzthin beim Jobs Act. Noch mehr prekäre und unterbezahlte Arbeit sind das Ergebnis. Paradoxerweise wurde aber das Bürgergeld zur Zielscheibe seitens einiger Unternehmer und Politiker.

Zwar handelt es sich um ein Mittel zur Armutsbekämpfung, das überdacht werden muss, aber um es zu verbessern und an ähnliche Maßnahmen in anderen Ländern anzupassen, wie es die Kommission unter dem Vorsitz von Chiara Saraceno gefordert hat. Bevor man von einem Anreiz zum Faulenzen spricht, sollte man zumindest nachfragen, ob es vielerorts überhaupt Arbeitsplätze gibt und unter welchen Bedingungen diese angeboten werden. Anscheinend möchten bestimmte Kreise noch mehr Menschen, die bereit sind, noch billiger zu arbeiten.

Ungleichheiten sind nicht etwas Unvermeidliches, sondern auch die Folgen von Entscheidungen. Diese hängen stark von den Machtverhältnissen zwischen den verschiedenen sozialen Gruppen und Weltanschauungen ab. Heute gilt es, den Mittelstand und jenes Drittel der Gesellschaft, das in die Armut abgerutscht ist, abzusichern.

Es braucht sicherlich höhere Löhne und Renten, es braucht aber auch ein Angebot an qualitativ hochwertigen sozialen Dienstleistungen, eine Rentenreform, eine Reform des Arbeitsmarktes und ein gerechtes Steuersystem, in dem die Hinterziehung keine große Rolle mehr spielt.

Das Recht auf Wohnen ist durch strukturpolitische Maßnahmen zu unterstützen, mit dem Ziel, den öffentlichen Wohnbau zu stärken. Auch hat die Pandemie bewiesen, dass die Neugestaltung des nationalen Gesundheitsdienstes durch Investitionen in eine wohnortnahe Medizin notwendig ist.

Ein künftiger Mindestlohn hingegen sollte mit den vertraglichen Mindestlöhnen übereinstimmen, um nicht zu einem Instrument zu werden, das den Arbeitsvertrag ersetzt. Zuletzt braucht es einen ökologischen Umbau, der öffentlich geplant und partizipativ ist. Dadurch könnte man gute Arbeitsplätze schaffen und die ambitionierten Klimaziele erreichen. Letztlich geht es also um mehr, als nur um die Bekämpfung der Preissteigerungen.

Alfred Ebner