Society | Notaufnahme

Zuviel an Erster Hilfe?

Kann der Notstand in der Ersten Hilfe über eine Reform der Basisversorgung gelöst werden? Martha Stocker sagt Ja, der Präsident der Ärztekammer hat Zweifel.

Notstand in der Ersten Hilfe des Krankenhaus Bozen: Ein Dauerbrenner, der in den vergangenen Tagen über Facebook neu entfacht wurde. „Zündlerin“ war in dem Fall Grünen-Chefin Brigitte Foppa, die am Wochenende neun Stunden mit einer Verwandten im Wartesaal der Bozner Notaufnahme verbracht hatte und ihre Beobachtungen über überfordertes Personal und unzureichende Strukturen über das Soziale Netzwerk teilte.  Ein unhaltbarer Zustand, wie auch der zuständige Primar Mario La Guardia findet.  „82 Prozent der PatientInnen, die alltäglich den Wartesaal überfluten, gehören eigentlich zum Hausarzt“, erklärt er die Überlastung seiner Station am Dienstag in der Tageszeitung Alto Adige. Dort lanciert er einen Appell an Gesundheitslandesrätin Martha Stocker, mit der nun anstehenden Reform zur Lösung des chronischen Problems beizutragen. Im Vordergrund müsse dabei die Umverteilung von jährlich rund 30. bis 40.000 Leistungen der Notaufnahme auf die Gesundheitssprengel und Hausärzte stehen.  

Konkrete Zusicherungen gibt Martha Stocker in diesen letzten Wochen vor der Vorstellung der intern erarbeiteten Vorschläge zur Sanitätsreform zwar nicht. „Die gesamte Reorganisation des Territoriums war einer der zentralen Punkte unserer internen Diskussionen“, verrät sie aber immerhin. Und: Zumindest einiges sollte damit auch in Sachen Notaufnahme gelöst werden.

Preis-Leistungsverhältnis besticht

Wie viel dies tatsächlich sein kann, bezweifelt aber ausgerechnet jemand, der sich seit langem für eine Reform des Territoriums einsetzt. „Es braucht eben darüber hinaus auch eine Reform der Ersten Hilfe“, sagt Ärztekammerpräsident Andreas von Lutterotti. Allein mit verlängerten Öffnungszeiten und ausgebauten Nacht- und Wochenenddiensten der Hausärzte oder Sprengel werde man dem Problem kaum bekommen. „Ich kenne Ärztepraxen, die bestens funktionieren und lange Öffnungszeiten haben, und dennoch ziehen die Leute bei ihnen vorbei in die Erste Hilfe“, sagt der Kalterer Hausarzt.

Als Hauptgrund dafür sieht Lutterotti das optimale Preis-Leistungsverhältnis, das die Notaufnahmen bieten. „Selbst wenn die Leute lange warten müssen, hier finden sie einen Service, der seinesgleichen sucht.“  Zumindest laut Ansicht des Ärztekammerpräsidenten auch ein Zuviel an Service. „In vielen Fällen wären  komplette fachärztliche Untersuchungen überhaupt nicht nötig“ sagt er. Statt PatientInnen sofort zu Röntgen, EKG oder ins Labor zu schicken, könnten sie erfahrene HausärztInnenin in vielen der Fälle einfacher und ohne entsprechenden Aufwand behandeln.

Kein Warten im echten Notfall

Ein wesentlicher Schritt zur Lösung des Notstands ist für Andreas von Lutterotti deshalb ein Mentalitätswandel bei den PatientInnen. „Auch bei der steigenden Zahl an MigrantInnen, die nicht einmal wissen, dass sie statt in die Erste Hilfe auch zum Hausarzt gehen könnten“, sagt er. Ob dazu auch die seit langem diskutierte höheren Ticketbeträge für nicht-dringende Fälle beitragen können? Auch hier hält sich die Gesundheitslandesrätin vorerst bedeckt. „Es braucht eine Gesamtsicht der Dinge, die wir demnächst vorstellen werden“, sagt Martha Stocker. 

Warten also nicht nur in Bozner Notaufnahme, sondern warten auch auf den 11. September, der als Frist für den Abschluss der internen Reformdiskussion vorgegeben wurde.  Zumindest in einem Aspekt  kann der Ärztekammerpräsident in der Zwischenzeit beruhigen. Andreas von Lutterotti:  „Wir wissen aus unseren Erfahrungen, dass zumindest die echten Notfälle auch in Bozen in sehr kurzer Zeit behandelt werden.“