Der Blick über den Tellerrand lohnt sich
Es ist ein bekanntes Bild: Im Juni werden die Nächte kürzer, die Tage heißer und die Urlauber mehr. Die Sommersaison in Südtirols Tourismusbranche hat in diesen Tagen ihren Zenit überschritten und es bestätigen sich bereits die vielversprechenden Prognosen für das Tourismusjahr 2022, mit Zahlen, die dem Vor-Pandemieniveau ähneln.
Das Tourismusgeschäft im Alpenraum
Den Daten des lokalen Statistikinstitut ASTAT zufolge, betrug die Zahl der Gästeankünfte im Sommerhalbjahr 2021 rund 4,5 Millionen, während sich die Zahl der Nächtigungen auf etwa 20,6 Millionen belief. Im Euregio-Vergleich belegt Südtirol damit den ersten Platz, gefolgt vom Bundesland Tirol mit fast fünf Millionen Ankünften und etwas weniger als 20 Millionen Nächtigungen auf Platz zwei. Das Trentino registrierte als Schlusslicht indes zwei Millionen Ankünfte bei 9,3 Millionen Nächtigungen.
Vergleicht man diese Daten mit jenen des Pandemie-Jahrs 2020, war in der lokalen Tourismusbranche 2021 ein deutliches Plus von über 40 Prozent zu verzeichnen. Der stärkste Monat war auch im vergangenen Jahr der August mit 6,4 Millionen Nächtigungen, gefolgt vom Juli mit rund 4,8 Millionen Übernachtungen. Spitzenreiter bei den Südtiroler Gemeinden war Kastelruth mit 885.000 Nächtigungen. An zweiter und dritter Stelle liegen die im Burggrafenamt liegenden Gemeinden Schenna (813.000) und Meran (744.000). Besonders beliebt war Südtirol bei den bundesdeutschen Gästen, die mit insgesamt 10,4 Millionen registrierten Übernachtungen den Kernmarkt des lokalen Tourismus bildeten. Auch die Nächtigungszahl italienischer Gäste nimmt kontinuierlich zu und knackte im Sommer 2021 die Sieben-Millionen-Marke.
Befristete Aussichten
Aller positiven Prognosen zum Trotz, ist die Stimmung unter den Tourismusbetreibenden alles andere als euphorisch. Der Grund: Den Hotels und Gastbetrieben im Land fehlt das Personal. Obwohl der Tourismussektor bereits in vorpandemischen Zeiten zu den Branchen mit den meisten befristeten Arbeitsverhältnissen und demzufolge mit der höchsten Fluktuationsrate gehörte, spitzt sich die Lage auf dem touristischen Arbeitsmarkt immer weiter zu.
Obwohl der Tourismussektor bereits in vorpandemischen Zeiten zu den Branchen mit den meisten befristeten Arbeitsverhältnissen und demzufolge mit der höchsten Fluktuationsrate gehörte, spitzt sich die Lage auf dem touristischen Arbeitsmarkt immer weiter zu.
Die Faktoren dafür sind vielfältig: Zum einen führten die pandemiebedingten Schließungen der Hotel- und Gastbetriebe zu einer sogenannten Branchenflucht. Dieser Begriff bezeichnet den Zustand während der Pandemie, als viele ursprünglich im Tourismus tätige Fachkräfte auf andere Branchen ausweichen mussten, um sich über Wasser zu halten. Einige sind nicht mehr zurückgekehrt. Das andere Problem betrifft das Alter von Tourismusfachkräften: Dieses liegt im Vergleich zu anderen Sektoren deutlich unterhalb des Gesamtdurchschnitts. Das Durchschnittsalter von Arbeitnehmenden, die im Tourismussektor tätig sind, beträgt 38 Jahre. Umfragen des Arbeitsförderungsinstituts | AFI bestätigen, dass sich nur jede/r zweite im Tourismus Beschäftigte vorstellen kann, auch mit 60 noch derselben Tätigkeit nachzugehen. Hierbei fällt vor allem die körperlich anstrengende Arbeit ins Gewicht: Stundenlanges Stehen, monotone und sich ständig wiederholende Bewegungen (z.B. Arbeiten an der Kaffeemaschine) sowie wetterabhängige Arbeitsbedingungen zehren an den Kräften der Angestellten.
Hinsichtlich der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit gibt es ebenfalls große Branchenunterschiede: Die durchschnittliche Arbeitswoche von Hotel- und Gastronomiefachkräften beträgt rund 46 Stunden, in Südtirol im sektorenübergreifenden Schnitt nur 38 Stunden. Das entspricht einem ganzen Arbeitstag mehr pro Woche. Für viele Angestellte fallen auch Aspekte wie die Saisonalität sowie die Wochenendarbeit ins Gewicht. Vor allem Mitarbeiter*innen mit Kindern haben Schwierigkeiten, die Arbeit an Sonn- und Feiertagen mit dem Familien- bzw. Privatleben zu vereinbaren und kehren der Branche eher früh als spät den Rücken zu.
Wo liegt der Hund begraben?
Das Gastgewerbe ist schon seit schon Jahrzehnten für einheimische Arbeitskräfte nur bedingt attraktiv, weshalb man sich bereits seit den 90er-Jahren mit Personal aus den osteuropäischen Ländern bedient. Inzwischen fehlt auch dieses, da sich die wirtschaftliche Situation in dessen Heimatländern verbessert hat und somit kein Grund mehr besteht, das eigene Land für die Arbeit zu verlassen.
Unbefristete Verträge und Festanstellungen gehören innerhalb der Tourismusbranche eher zur Ausnahme, wogegen befristete oder Saisonsverträge die Norm bilden. Diese Umstände führen zu erhöhter Jobunsicherheit bei Tourismusangestellten, bei denen arbeitspsychologische Belastungen wie hoher Zeitdruck oder erhöhte Stressbelastung zum Alltag gehören. Diese können langfristige Folgen auf die psychische Gesundheit von Beschäftigten haben. Hinsichtlich der betriebsinternen Hierarchie ändert sich im Gegensatz zu anderen Sektoren wenig, da die Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten im Hotel- und Gastgewerbe begrenzt sind.
Unbefristete Verträge und Festanstellungen gehören innerhalb der Tourismusbranche eher zur Ausnahme, wogegen befristete oder Saisonsverträge die Norm bilden.
Obwohl sich der Fachkräftemangel auch in anderen Sektoren zu einem zentralen Thema entwickelt hat, sind Tourismus-Mitarbeitende im Unterschied zu anderen Branchen (z.B. Industrie) nicht so einfach durch Maschinen oder technische Hilfsmittel zu ersetzen. Man ist also darauf angewiesen, Menschen zu beschäftigen.
Die Macht liegt bei den Arbeitnehmenden
Vor einigen Jahren lag die Macht über die Beschäftigtenverhältnisse noch bei den Arbeitgeber*innen, in den letzten Jahren verzeichnete man jedoch eine deutliche Machtverschiebung in Richtung der Beschäftigtenseite. Wer unattraktive und prekäre Beschäftigungsverhältnisse bietet, wird angesichts der derzeitigen Situation am Arbeitsmarkt nur schwer fündig. Um diesem Phänomen zu begegnen, hat das AFI Mitte 2022 einige Vorschläge ausgearbeitet, die das Jobangebot im Tourismussektor attraktiver gestalten sollen. Zu den Tipps gehört beispielsweise eine Entsaisonalisierung, die mit unbefristeten Arbeitsverhältnissen Hand in Hand geht. Saisonarbeit basiert unweigerlich auf befristeten Arbeitsverträgen, weshalb eine Abkehr der traditionellen Tourismussaisonen zu stabileren Jobverhältnissen führen würde. Ein weiterer Faktor könnte die Einführung mehrerer Erholungstage sein. Tatsächlich bieten immer mehr Betriebe ihren Angestellten eine Fünf- oder sogar 4,5-Tage-Woche, die sowohl die individuelle Erholung als auch die Resilienz am Arbeitsplatz deutlich begünstigen. Weiterbildungsangebote können sei es für den oder die Angestellte selbst als auch für die Führungskräfte klare Vorteile bieten. Die Fachkraft kann dabei ihr volles Potenzial ausschöpfen, fühlt sich bestätigt und in ihrer täglichen Arbeit unterstützt.
Wer unattraktive und prekäre Beschäftigungsverhältnisse bietet, wird angesichts der derzeitigen Situation am Arbeitsmarkt nur schwer fündig.
Tourismusfachkräfte entwickeln sich zunehmend zur Mangelware. Gerade deshalb muss auf der Arbeitgeberseite ein Umdenken stattfinden. Denn in einem Sektor, in dem Menschen nicht mit Maschinen ersetzt werden können, sind das wahre Kapital die Mitarbeiter*innen - sowohl für die Arbeitgebenden als auch für die Gäste.
Ein Artikel der freien AFI-Mitarbeiterin Karin Inama
Gut geführte Betriebe decken
Gut geführte Betriebe decken ihren Mitarbeiter-Stab schon seit Längerem, mit unbefristeten Arbeitsstellen und geregelten Arbeitszeiten.
Bei den Energie-Kosten bekommen vor Allem jene 4 - und 5 Sterne-Betriebe "die leichtfertig verdiente Rechnung," die recht sorglos "Schwimmhallen bis in den Außenbereich, übertrieben verglaste Fassaden, Sauna`s in allen Varianten und überdimensionierte Welnesslandschaften e r f u n d e n haben," um die vernünftig agierenden Mitbewerber zu übertrumpfen.