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Eggentaler Holzwege

Eine Studie der Historikerin Karin Pattis bietet einen guten Einblick in die wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten einer Bergregion. Ihr Buch ist soeben erschienen.
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Foto: Salto.bz

salto.bz: Warum ist der Karerpass, aus dem Blickwinkel der Holzwirtschaft betrachtet, ein geschichtsträchtiger Ort?

Karin Pattis: Dieses Gebiet um Rosengarten und Latemar mit den Siedlungsgemeinschaften Welschnofen, Tiers und Fassa, pflegte bereits im 15. Jahrhundert intensive Handelsbeziehungen mit dem Bozner Talkessel, der mit Brenn- und Weingartholz sowie Produkten aus der Viehwirtschaft beliefert wurde. Die Bewohner waren aufgrund eines chronischen Getreidemangels auf die Kommerzialisierung ihrer Wirtschaft angewiesen, nur so war ein Überleben auf einer Meereshöhe von 1.100 bis 1.400 Metern überhaupt möglich. Das Gebiet von Welschnofen und Tiers fand im 15. und angehenden 16. Jahrhundert ein wichtiges Zusatzeinkommen im Verkauf von Brenn- und Weingartholz. Das Weinanbaugebiet im Überetsch (Kaltern, Altenburg) wurde mit Holz zur Errichtung von Rebstecken und für die Fässerherstellung beliefert, der Bozner Talkessel mit Weinbau- und Brennholz versorgt. Da es sich dabei um existenzsichernde Einnahmen handelte, hatte die Obrigkeit den Untertanen die Nutzung der Wälder ohne Einschränkung gewährt. 
 

Die Nachfrage war so groß, dass finanzkräftige Holzkaufleute nicht nur im Herrschaftsgebiet der Seerepublik ihre Geschäfte abwickelten...


Auch Venedig wurde mit Holz beliefert. Was weiß man dazu?

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts zeichnet sich zusätzlich die Entwicklung eines überregionalen Marktes ab: Neben der Belieferung des Bozner Talkessels steigt die Nachfrage nach Merkantilholz im norditalienischen Raum. Die Lagunenstadt Venedig benötigte enorme Mengen der Ressource Holz für den Schiffsbau und die Errichtung bzw. Sanierung von Gebäuden, aber auch für den Export. Dadurch entstand eine enge Verbindung zwischen lokaler Ökonomie am Berg und globalem Handel. Die Nachfrage war so groß, dass finanzkräftige Holzkaufleute nicht nur im Herrschaftsgebiet der Seerepublik ihre Geschäfte abwickelten, sondern weiter in den Norden vordrangen, um lukrative Geschäfte abzuschließen. 
 

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Ökonomische Vernetzung: Holzwirtschaft in den Dolomiten im 16. Jahrhundert – Tiers, Welschnofen und Fassa. Erschienen im Böhlau-Verlag / Foto: Salto.bz

 

Wie gewinnbringend war der Handel?

Veränderungen bahnten sich an, als um die Mitte des 16. Jahrhunderts der Verkauf von Merkantilholz für die Obrigkeit, die Tiroler Landesherren und die Fürstbischöfe von Trient und Brixen zu einem immer lukrativeren Geschäft wurde, da sie über die Veräußerung von Schlägerungskonzessionen und über den Einzug von Zöllen bei Grenzüberschreitungen mit beträchtlichen Einnahmen rechnen konnten. Ein zunehmender Warenaustausch führte zudem zur Errichtung mehrerer Zollstationen, an denen Beamte den Export genauestens kontrollieren und die Zölle einnehmen sollten.
Diese Entwicklung wurde durch das Interesse mächtiger Holzkaufleute vorangetrieben, da sie über die finanziellen und organisatorischen Voraussetzungen verfügten, um noch viel größere Mengen an Holz von den Schlägerungsgebieten ins Tal zu den Absatzmärkten zu bringen. 

Wie gestaltete sich der Transport zu Wasser?

Eine wichtige Rolle spielten dabei die Holzwege, die Möglichkeit die Stämme über die Wasserverbindung Biois-Cordevole-Piave nach Venedig zu bringen. Das Holzgeschäft war so lukrativ, dass man auch äußerst umständliche Holzwege nicht scheute: Um 1600 wurden große Kaufverträge für Holz aus dem Wald Fratta Scura, dem Karerwald und dem Latemarwald zwischen den Holzbaronen Giovanni Someda und Giovanni Maccarini mit den Grafen von Tirol und den Bischöfen von Brixen geschlossen.
Die Stämme wurden mit Ochsenfuhrwerken zum Karerpass gebracht, über Riesen nach Moena hinabgelassen dann wieder mit Ochsenfuhrwercken auf den San Pellegrinopass transportiert, wo sie dann etwas unterhalb des Passes aufs Wasser gingen und nach Venedig gebracht wurden. 
 

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Vortrag im Rahmen der "Sternfahrt": Karin Pattis führte nach ihrem Abschluss in Venedig ihre Studien zum Thema Ökonomie am Berg in der Frühen Neuzeit an der Universität Zürich fort und veröffentlicht ihre Erkenntnisse in diesem Buch. / Foto: Salto.bz


Welche Rechte, welche Pflichten hatten Waldbesitzer? 

Eine Holznutzung war nur für den Eigengebrauch erlaubt, jeglicher Verkauf musste genehmigt werden, um angeblich einem Raubbau durch die Bevölkerung und der Gefahr einer Holznot vorzubeugen. In Wirklichkeit stand aber die Absicht der Obrigkeit dahinter, den Bewohnern den Zugang zur Ressource Holz nur so weit zu gestatten, wie es unbedingt notwendig war. Denn Verträge mit den Holzhändlern waren nur möglich, wenn die Untertanen in ihrer Nutzung eingeschränkt wurden. 
Trotz strenger Reglementierung hielten sich die Bewohner nicht an die Waldordnungen, sie nutzten die Wälder, wie sie es immer getan hatten, und sie fanden Möglichkeiten, Amtspersonen und Behörden zu überlisten. Diese waren selbst involviert, da sie für Kontrollen und Genehmigungen für den Verkauf zuständig waren, was Spielraum für die eigene Bereicherung am Holzgeschäft schuf. Die Bewohner beriefen sich auf schriftliche Nutzungsrechte und klagten über die Missachtung von Vereinbarungen durch die Holzkaufleute, die die Wälder zerstörten und ihre Existenz bedrohten. Sie ließen sich auch nicht davon abhalten, ohne Erlaubnis Schlägerungen von teilweise beträchtlichen Mengen an Bauholz durchzuführen und zu verkaufen. Der Bozner Talkessel fürchtete um die Belieferungen und beklagte sich über den Holzverkauf an die „ausländischen“ Holzkaufleute, der der lokalen Wirtschaft schade.

Wie spiegeln sich Ihre Recherchen im Hinblick heutiger Holzwirtschaft?

Es zeigt, dass wir eine Form von Globalisierung mit ihren Auswirkungen schon vor 500 Jahren hatten und dass es wichtig war um die wertvolle Ressource Holz zu kämpfen, den eine unkontrollierte Ausbeutung durch die Holzbarone hätte einige wenige bereichert und die Menschen vor Ort aber um ihre Existenz gebracht. Es lassen sich durchaus Parallelen zur heutigen Zeit erkennen: Die Ressource Wald aber nicht nur, ich würde sagen die Ressource Natur bietet wichtige Einnahmemöglichkeiten, es gilt aber achtsam damit umzugehen, dass die Menschen vor Ort nicht den Preis dafür zahlen, dass einige wenige sich bereichern.
 

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Foto: Salto.bz