Culture | Salto Weekend

Jean Seberg - Against All Enemies

Kristen Stewart ist Jean Seberg. Ein Film über die erste Ikone der Nouvelle Vague, ihrem politischen Engagement und der daraus resultierenden Hetzjagd des FBIs.
Seberg
Foto: Prokino

1960 drehte Jean-Luc Godard seinen ersten Spielfilm. Dessen Name war „Außer Atem“, und er gilt heute als Meilenstein und Wendepunkt des Kinos. In der Hauptrolle neben Jean-Paul Belmondo: Die US-Amerikanerin Jean Seberg. Der Film machte Regisseur und Hauptdarsteller schlagartig berühmt. Ohne Mühe setzte die zierliche Jean Seberg mit dem ikonischen Kurzhaarschnitt ihre Karriere fort und lebte mit Mann und Kind zwischen Los Angeles und Paris. Dann jedoch kam das Jahr 1968, heute bekannt als das Jahr der großen Unruhen, der Proteste und des Widerstands. Und hier setzt der Film ein. Die ruhmreiche Zusammenarbeit mit Godard liegt weit zurück, Seberg ist längst nicht mehr an großen Filmrollen interessiert, nein, vielmehr liegt ihr der Kampf gegen den Rassismus und die Ungerechtigkeit in der Welt am Herzen. Sie trifft am Flughafen auf den Bürgerrechtsaktivisten Hakim Jamal und posiert kurzerhand mit dessen Anhängern, die Faust kämpferisch in den Himmel gestreckt. Prompt landet sie damit auf den Titelseiten der Zeitungen – und auf der Abschussliste des FBIs. Das ist nicht wörtlich zu nehmen, doch die Hetzjagd, die im Folgenden gegen Seberg veranstaltet wurde, hatte es in sich. Abhöraktionen, psychischer Terror… die Methoden des amerikanischen Geheimdienstes sind und waren vielfältig und in hohem Maße menschenverachtend. Sowohl die Privatsphäre als auch der Ruf eines Menschen mussten (oder müssen?) hinter den Interessen der Mächtigen zurückstehen. Jean Seberg war als Weiße an der Seite der diskriminierten Schwarzen, noch dazu in Verbindung mit der Black Panther-Bewegung eine Bedrohung für die Regierung. All das erzählt der Film von Benedict Andrews, der bereits im letzten Jahr im Rahmen der Filmfestspiele von Venedig Premiere feierte. Man darf an dieser Stelle kein klassisches Biopic erwarten. Der Film beschränkt sich auf etwa vier Jahre im Leben der Seberg und in erster Linie auf ihren Kampf im Sinne der Bürgerrechtsbewegung. Ihre Vergangenheit als Ikone der französischen Nouvelle Vague wird nur kurz in Form eines Bildzitats angeschnitten.

Gerade durch diese Verdichtung des zeitlichen Rahmens erhalten wir eine Momentaufnahme der Protagonistin. Der Film zeigt die verletzliche, aber niemals hoffnungslose Seberg. Selbst in den schlimmsten Momenten gibt sie nicht auf und kämpft weiter, koste es was es wolle. Ihre Karriere ist ihr an diesem Punkt längst egal. Sie ist bereit, die Schauspielerin in ihr sterben zu lassen. In Hollywood bekam sie nie mehr eine Rolle, so viel sei verraten.

 

Seberg - Official Trailer

 

Formal gibt sich Regisseur Andrews keine Mühe, an die experimentelle Inszenierung eines Godards anzuschließen. Im Gegenteil hält er sich deutlich zurück und gibt der Hauptdarstellerin den benötigten Raum. Als Jean Seberg brilliert Kristen Stewart, die in den letzten Jahren große Mühe hatte, sich von der nun mittlerweile mehr als nur verjährten Hauptrolle in den „Twilight“-Filmen zu emanzipieren. Das hat sie längst geschafft, bloß hat dies noch nicht jeder verstanden. „Jean Seberg“ sollte der letzte, unumstößliche Beweis für das Talent der Stewart sein. Sie spielt Seberg so wie man sich Seberg vorstellt. Unaufgeregt, nachdenklich, eine stille Revolutionärin. Feine Nuancen zeugen von einer zunehmend fragiler werdenden Psyche.

Die Bilder, die abseits der im Mittelpunkt stehenden Figur gezeigt werden, wecken Erinnerungen an die jüngste Zeit. Tausende, die protestierend durch die Straßen ziehen, im Namen der Gleichberechtigung und im Kampf gegen den Rassismus, der sich in seiner extremen Form als brutale Polizeigewalt äußert. Wenn man sich das so anschaut und dabei die Bilder von den jüngsten Protesten aus den USA des Jahres 2020 vor Augen hat, ist das sicherlich kein Zufall. Jean Seberg hat gekämpft, hat vielleicht einiges bewirkt, doch wirklich verändert haben sich die Dinge nur an der Oberfläche. Der strukturelle Rassismus geistert noch immer durch unsere Gesellschaft. Seit 1968 hat sich weniger verändert, als manch einer behaupten möchte. Interessant wäre zu erfahren, inwieweit sich die Rolle der Geheimdienste seitdem verändert hat. Würde eine Jean Seberg im Jahr 2020 für ihr Engagement ähnlich terrorisiert und ausgeforscht werden wie damals? Von ihrer Geschichte wissen wir heute, wohl nicht zuletzt wegen der ungebrochenen Popularität der Protagonistin. Ihr wird ein Film gewidmet. Doch wen gibt es sonst noch da draußen in der weiten Welt, wen, der für die Gerechtigkeit kämpft und dafür verfolgt wird, wen, der daran zerbricht und dessen Namen wir niemals erfahren?