Politics | Staatspräsidenten

Bilateraler Konsens

Anlässlich des Südtirol-Besuchs war eine gemeinsame schriftliche Erklärung von Sergio Mattarella und Alexander Van der Bellen geplant. Warum der Plan gescheitert ist.
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Foto: Othmar Seehauser
Es war der Arno Kompatscher persönlich, der den Südtirol-Besuch der beiden Staatspräsidenten Sergio Mattarella und Alexander Van der Bellen gewünscht und letztlich auch zustande gebracht hat. Die beiden Staatsoberhäupter haben – in Absprache mit dem Landeshauptmann - dabei den Termin bewusst bestimmt.
Denn ursprünglich war angedacht worden, den Südtirol-Besuch der beiden Staatspräsidenten zum „Tag der Autonomie“ am 5. September und damit indirekt auch zum hundertsten Jahrestag des Vertrages von Saint Germain (10. September 1919) zu organisieren. Aber sehr schnell war man sich einig, einen anderen Termin zu wählen: den 50. Jahrestages der Paketschlacht im Meraner Kurhaus und der Annahme des Pakets durch die Landesversammlung der Südtiroler Volkspartei in den Morgenstunden des 23. November 1969.
Es war keine Terminfrage, sondern eine bewusste inhaltliche Entscheidung der Staatskanzleien. Der Quirinal wie auch die Wiener Hofburg wollten nicht das Trennende betonen, sondern das Vereinende und das Gemeinsame. Nicht die Abtrennung Südtirols von Österreich sollte der Anlass des Treffens Mattarella-Van der Bellen sein, sondern die Annahme des Pakets und der Meilenstein zur friedlichen Lösung des Südtirol-Problems.
 

Gemeinsame Geschichte

 
Die gemeinsame Geschichte war dann auch der rote Faden, der sich durch die drei Reden bei der offiziellen Feierlichkeit auf Schloss Tirol zog. Arno Kompatscher wiederholte dabei das, was er am selben Ort bereits vor über vier Jahren (am 5. September 2015 auf der Tagung „Autonomie und Widerstand") gesagt hatte - diesmal aber noch deutlicher. Der Südtiroler Landeshauptmann betonte offen die Rolle der Südtiroler Täter und Mitläufer im nazifaschistischen Machtwahn. Er rückte damit Südtirols offizielle Opfergeschichte zurecht. 
Hinzu kam aber eine Ansprache von historischer Bedeutung. Denn mit Sergio Mattarella redet zum ersten Mal überhaupt ein italienisches Staatsoberhaupt über die Option 1939. Der Quirinal hatte sich vorab zwar erbeten, am offiziellen Bühnenbild neben den Jahreszahlen 100 und 50 nicht wie Anfang September im Palais Widmann auch die Jahreszahl 80 anzubringen (als Jahrestag der Option), doch Sergio Mattarella spricht in seiner Rede dann genau diesen Jahrestag an.
 
 
Der Staatspräsident redet über die Option, detailreich, historisch perfekt vorbereitet, spricht von den „Dableibern“ und „Optanten“ (auf Deutsch). Vor allem aber verurteilte er das Optionsabkommen als verbrecherischen Akt zweier totalitärer Regimes. Und er entschuldigte sich für das faschistische Unrecht, das den Südtirolern angetan wurde.
Der vergangene Samstag war und ist ein historischer Tag für Südtirol. Es ist ein politischer und persönlicher Erfolg für Arno Kompatscher.
Auch Alexander Van der Bellen spricht dieselbe Botschaft in einem bekannten, aber eindeutigen Bild aus. „Wir müssen das Gemeinsam vor das Trennende stellen“, sagt der österreichische Bundespräsident im Rittersaal von Schloss Tirol.
Der Besuch der beiden Staatsoberhäupter am Ansitz Stillendorf und an der Gedenkstätte für das Durchgangslager Bozen rundet die Botschaft eindrucksvoll ab. Wobei es vor der Gedenktafel für Franz Innerhofer zu seiner vielsagenden Szene kam, die kaum jemand mitbekommen hat. 
Alexander Van der Bellen wollte zur Geschichte des von den Faschisten ermordeten Marlinger Lehrers Genaueres wissen. Es war Sergio Matterella persönlich, der seinem österreichischen Amtskollegen die dramatische Geschichte schilderte und dabei auch ein Detail erwähnte, das bisher so nicht bekannt war. Die Täter seien – laut dem Staatspräsidenten - nicht nur straffrei ausgegangen, sie sollen nach dem Mord sogar befördert worden sein.
 

Die Erklärung

 
Der vergangene Samstag war und ist ein historischer Tag für Südtirol. Es ist ein politischer und persönlicher Erfolg für Arno Kompatscher.
Was aber Wenige wissen: Der Staatsbesuch startete für den Südtiroler Landeshauptmann mit einer herben Enttäuschung.
Denn Arno Kompatscher hatte im Vorfeld einen ehrgeizigen Plan verfolgt. Seit Monaten bereitet man eine gemeinsame Erklärung vor, die die beiden Staatspräsidenten anlässlich ihres Südtirolbesuches unterzeichneten sollten.
Die Erklärung sollte aufbauend auf die Notenwechsel Matteo Renzi – Werner Fayman und Paolo Gentiloni – Christian Kern eine „gemeinsame Verantwortung“ Italiens und Österreichs für Südtirol und seine Autonomie festschreiben. Alle Schritte sollen in einem „bilateralen Konsens“ erfolgen. Aus der historischen Schutzfunktion Österreichs wäre so eine Art gemeinsame Willenserklärung zur Bewahrung und zum Ausbau der Südtirol-Autonomie geworden. 
Lange Zeit sah es so aus, als würde die Erklärung auf Schloss Tirol auch so unterzeichnet werden. Doch vor drei Wochen kam dann bei einem Rom-Besuch des Landeshauptmannes überraschend die Absage. Der Grund für die Entscheidung: Ein negatives Gutachten aus dem italienischen Außenministerium.
 
 
Es gibt vor allem zwei Gründe für das Nein. Mit dem Regierungswechsel wechselte auch der Außenminister. Auf Enzo Moavero Milanesi folgte Luigi Di Maio. Während der Jurist, Europarechtler und Techniker Moavero die geplante Erklärung begrüßte und auch den Hintergrund teilte, ist das Ganze für den Kopf der 5-Sterne Luigi Di Maio kein Thema.
Zudem haben die absurde Affäre um die angebliche Streichung der Bezeichnung „Alto Adige“ und die neue Doppelpass-Initiative der Patrioten das Klima in Rom so vergiftet, dass man es zu diesem Zeitpunkt nicht für angebracht hielt, eine solche Erklärung zu unterschrieben. 
Arno Kompatscher hält sich rund um die Geschichte bedeckt. „Ich arbeite kontinuierlich an der Stärkung und Festigung unserer Autonomie weiter“, sagt er zu salto.bz. 
Dass die anfängliche Enttäuschung über das Scheitern der geplanten Erklärung inzwischen verflogen ist, hat einen klaren Grund. Sowohl Sergio Mattarella als auch Alexander Van der Bellen haben in ihren Reden explizit und mehrmals die „gemeinsame Verantwortung“ für Südtirol betont. 
Vor allem aber war der gesamte Besuch ein eindrucksvolles Zeichen, dass Italien und Österreich zur gemeinsamen Geschichte und Zukunft Südtirols stehen. Das wiegt fast so viel wie eine Unterschrift.

Fotos: Othmar Seehauer

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Stephan Rossi Tue, 11/26/2019 - 21:21

Persönlich habe ich den Anschein, dass Salto.bz und allen voran der Autor im Bezug zu LH Kompatscher in letzter Zeit immer stärker zur Hofberichterstattung neigen. Die kritische Distanz zur Macht scheint der Autor zumindest bei der politisch mächtigsten Person im Land zunehmend verloren zu haben. Auch im im parteiinternen Machtkampf der SVP zwischen Kompatscher und Achhammer wurde zum Beispiel einseitig zu Gunsten des LH berichtet und kommentiert.

Zur offiziellen Opfergeschichte: Alle deutschsprachigen Südtiroler waren in aller erster Linie Opfer des italienischen Faschismus. Das Unrecht, dass den Südtirolern vom italienischen Faschismus angetan wurde, sollte nicht immer dadurch relativiert werden, dass die Täterrolle einiger Südtiroler im Nationalsozialismus zu wenig beleuchtet wurde, genauso wenig wie es als Entschuldigung herhalten sollten.

Tue, 11/26/2019 - 21:21 Permalink
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alfred frei Wed, 11/27/2019 - 16:37

Auf die Waagschale sollte man auch die Verantwortung des Nationalsozialismus in der "Option für Deutschland" legen; "so reißet vom sonnigen Erker die letzte brennende Lieb; die Treu zu Deutschland war stärker, das heiligste was uns blieb" Karl Felderer. Leid und Opfer messen, können sie das Herr Rossi ?

Wed, 11/27/2019 - 16:37 Permalink