Economy | Gastgewerbe

Entrechtete Beschäftigte?

Wie prekär sind die Arbeitsbedingungen in Südtirols Gastgewerbe? Die Fachgewerkschaft UILTuCS spricht von Knebelschreiben, nicht bezahlter Arbeit und getretenen Rechten.
Gastgewerbe
Foto: upi

Es ist das bereits zweite Mal in einer Woche, dass die heimischen Tourismusbetriebe in der Kritik von Gewerkschaften stehen. „Die Arbeitskräfte im Tourismus werden oft mit doppelten und manchmal dreifachen Turnussen ausgebeutet“, klagte der Landessekretär der Fachgewerkschaft Filcams Cgil Antonella Costanzo Mitte vergangener Woche und sprach von mindestens 100 Streitfällen, die allein seine Gewerkschaft jährlich betreue. Am Montag legte nun die UIL nicht nur einen Scheit nach. Bei der dortigen Fachgewerkschaft  UILTuCS lieferte man einerseits konkrete Fakten für das eben vom AFI aufgeworfene Thema der Working Poor.  In einem der stärksten Wirtschaftssektoren des Landes seien die Beschäftigten der Armutsgefährdung besonders ausgesetzt, kritisiert die Gewerkschaft. „Die Erwerbstätigenquote mit armutsgefährdeten Haushalten ist mit 25% nach der Landwirtschaft in Südtirol an zweiter Stelle.“ Fast die Hälfte der Arbeiterinnen und Arbeiter würden unter 1.000 Euro im Monat verdienen. Nur knapp 47 Prozent haben laut UIL einen unbefristeten Arbeitsvertrag, 24 Prozent arbeiten Teilzeit. Und: Ausländische Arbeitskräfte würde mittlerweile mit 38 Prozent mehr als ein Drittel des gesamten Personals stellen.

Das ist aber nur die Hintergrundmusik für die Missstände, die von der Fachgewerkschaft auf einer Pressekonferenz aufgezeigt wurden. Auch bei der UIL spricht man – auf regionaler Ebene – von rund 200 Streitfällen pro Jahr wegen Verletzung von vertraglichen Bestimmungen. Vor allem geht es dabei um geleistete, aber nicht beglichene Überstunden, die laut Kollektivvertrag mit einem Aufschlag von 30 Prozent entlohnt werden müssten, oder nicht bezahlte andere Entgelte wie Abfertigung, Ferien oder Freistunden, sagt Gewerkschaftsfunktionärin Angelika Carfora. Die Arbeitszeiten würden in der Tourismusbranche mit 50 bis 60 Wochenstunden vielfach über den gesetzlich vorgesehenen 40 Stunden liegen. Der Ruhetag, der eigentlich gesetzlich vorgeschrieben ist, werde oft nicht eingehalten, da das Arbeitspensum sehr hoch ist. Doch statt die gesundheitlich und auch aus Perspektive der Arbeitssicherheit gefährdenden Arbeitsbedingungen zumindest entsprechend zu entlohnen, gibt es laut Carfora laufend Fälle, in denen die kollektivvertraglich vorgesehenen Rechte missachtet werden. „Oft bekommen die Arbeitskräfte mündlich etwas versprochen, doch am Ende der Saison folgt dann das böse Erwachen, weil das Versprechen nicht eingehalten wird.“

"Viele wehren sich aus Angst, ihre Arbeit zu verlieren, doch nicht."

Wie verbreitet solche Fälle sind, lässt sich auch für die Gewerkschaft schwer abschätzen. Sicher ist man aber, dass die betreuten Streitfälle nur die Spitze des Eisbergs sind. Denn wie Angelika Carfora aus ihrem Arbeitsalltag weiß. „Gerade ausländische Beschäftigte kennen ihre Rechte viel zu wenig. Viele kommen auch zu uns, wehren sich dann aber aus Angst, ihre Arbeit zu verlieren, doch nicht.“ Dabei zeige die bisherige Erfahrung der Gewerkschaft, dass die Chancen gut stehen, die ausständigen Beträge in solchen Fällen – meist in einer außergerichtlichen Einigung – zu erhalten.

Erzwungener Verzicht

Zumindest wenn die ArbeitnehmerInnen nicht jenes Dokument unterschrieben haben, das nun bei der UIL das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Im vergangenen Herbst wurde man dort erstmals darauf aufmerksam, dass ein Vier-Sterne-Hotel, das der Gewerkschaft bereits wegen nicht gezahlter Überstunden bekannt war, Saisonarbeitern am letzten Arbeitstag einen vorgefertigten Brief zur Unterschrift vorgelegt hatte. Noch vor Erhalt der noch ausständigen Beträge sollte sie damit bestätigten, dass all ihre Ansprüche wie Lohn, Ferien, Ruhetage und Abfertigung vergütet wurden. Zusätzlich enthält das Schreiben eine Verzichtserklärung auf das gesetzliche vorgeschriebene Vorrangsrecht. „Ein hart erkämpftes kollektivvertragliches Recht, das den prekär Beschäftigten zumindest die Sicherheit gibt, in der darauffolgenden Saison vorrangig wieder in den Betrieben beschäftigt zu werden, in denen sie in vergangenen Saison gearbeitet haben“, erklärt Gewerkschaftsfunktionärin Angelika Carfora. Statt dessen sollen die Beschäftigten laut dem Brief am Ende der Saison unterschreiben, dass sie oder er „aus persönlichen Gründen und familiären Erfordernissen in der kommenden Saison einen Dienst im Betrieb nicht antreten kann“.

 

Eine Forderung, die nicht nur in Einzelfällen an Beschäftigte in der Tourismusbranche gestellt wird, fand die Gewerkschaft in den vergangenen Monaten heraus. Denn durch weitere Fälle und aktives Nachfragen habe man erkannt, dass es sich bei dem Standard-Schreiben vielmehr um eine verbreitete Praxis handle, klagt die Fachgewerkschaft der UIL an. „Und zwar landesweit, vom Eisacktal bis ins Vinschgau“, wie Carfora sagt. Besonders beunruhigend finden die Gewerkschaft die Tatsache, dass mehrere Beschäftigte den Brief unterschrieben haben, weil „ihnen im Betrieb angedroht wurde, dass sie sonst nicht ausgezahlt würden“. Auch die juristisch fachkompetente Formulierung des Schreibens lässt bei der Gewerkschaft die Frage aufkommen, wer solche Vordrucke verteilt. Dass der Hoteliers- und Gastwirteverband (HGV) selbst dahinter stehen könnte, will man ihm nicht unterstellen. „Wir gehen aber davon aus, dass sich die Betriebe, die das Schreiben an ihre Angestellten verteilen, auf eine professionelle Beratung stützen“, meint Angelika Carfora.

Vom HGV erwartet man sich bei der Gewerkschaft nun eine klare Distanzierung von einer solchen Praxis. Die UILTuCS selbst will in diesem Bereich eine Informationskampagne mit Versammlungen in den Hotels und breiter Aufklärungsarbeit starten. Denn sei die Verzichtserklärung erst einmal unterschrieben, sei sie nur sehr schwer anfechtbar, wurde bei der gestrigen Pressekonferenz erklärt. Deshalb werde die Gewerkschaft alle rechtlich nötigen Schritte unternehmen, um diese Briefe zu beanstanden und die ArbeitnehmerInnen zu schützen. „Wenn immer geklagt wird, wie schwierig es ist, für das Gastgewerbe Personal zu finden, sollte man eben auch die Arbeitsbedingungen überdenken“, sagt Angelika Carfora. Und zumindest gesetzlich garantierte  Regelungen einhalten.