Culture | Salto Afternoon

Illusion oder Bestand?

Einzigartig im Meraner Theater in der Altstadt: “Illusionen” von Iwan Wyryapjev, als “Trugbilder der Liebe mit Musik, Musik Musik” dargestellt

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Foto: A. Marini

Weihnachtsähnliche, schneeweiße, fuzzlige Girlanden hängen von der Decke und gestalten einen Raum, wo sich mitten drin ein Hänge- oder Schaukelbett, mit genauso schneeweißer Decke ausgestattet, befindet. In der linken Ecke, von der Zuschauertribüne aus gesehen, steht ein kleiner Tisch, mit zwei kleinen Spiegeln und sämtlichem Schminkmaterial; die gesamte Hinterwand ist mit schneeweißen netzartigen Vorhängen bedacht. Bühne und Saal sind eins, räumlich, zeitlich und lichtgemäß. Dann dunkelt es ab und die Magie beginnt: Illusionen von Iwan Wyrypajev, russischer Autor, geboren 1974 in Sibirien, der seit 2016 im polnischen Warschau lebt und arbeitet. Er kennt seine und unsere Mitmenschen samt ihren emotionalen Stärken und Schwächen sehr gut, denn nicht umsonst gilt er als einer der erfolgreichsten und poetischsten Dramatiker heutzutage.

Licht auf vier junge Schauspieler, zwei Männer und zwei Frauen, die uns – laut Programmheft – die Geschichte von zwei befreundeten Paaren erzählen wollen: Danny und Sandra, Albert und Margret. Sie sind alle in hohem Alter und wollen nun kurz vor dem Sterben, nach jeweils über fünfzigjähriger Ehe, noch eine Dosis von Wahrheit und Wahrhaftigkeit in ihr gegenseitiges Zusammenleben bringen...

 

Ein Reigen von Er-Innerungen tut sich vor unseren Augen auf, wobei das Rad der Zeit hin und her, aber auch nach vor und wieder zurück gedreht wird, sei es in der Fiktion als auch immer wieder in unserer jetzigen Gegenwart. Wie kann das denn funktionieren? Danny, hervorragend von Frederick Redavid interpretiert, stirbt als erster und beichtet Sandra nach einer langen Dankesrede für ihre liebevolle Umsorgung, dass er sich in Wirklichkeit immer nur von Margret angezogen gefühlt hatte und deshalb durch Sandra begriffen habe, dass Liebe viel Arbeit sei... Dann stirbt Sandra und bittet ihren gemeinsamen Freund Albert um den letzten Beistand. Hier erfährt dieser nun, dass eigentlich er der Adressat der vorher beschriebenen, ach so intensiven Liebe gewesen war, und nun beginnt in ihm die Flamme zu brennen, die auch scheinbar immer schon geglüht habe.

Das Hängebett, das zentraler Schau- und Spielplatz aller kleinen Szenen ist, fungiert nun als doppelter Sessel, wo Albert seiner Ehefrau seine wahren Gefühle offenbart und dieselbe ohne Scheu ihren Mann in die jahrelange, heimliche Beziehung zu Danny einweiht. Der Kreis scheint geschlossen, jedoch Wyrypajev hält in seinem Text noch viele weitere Überraschungen und unerwartete Wendungen bereit, die der Regisseur Torsten Schilling (der schon öfters im Theater der Altstadt Stücke in Szene gesetzt hat) auf sehr erfrischende Art mit zeit- und themengerechten Songs in deutscher und englischer Sprache ergänzt oder bricht. So zum Beispiel kommen Don’t Hurt Me von Dj Mustard oder Für dich und immer für dich von Pio Reiser zur ironisch-schnulzigen Geltung. Aber aufgepasst, selbst superromantisch anklingende Momente werden durch die Schillingsche Regie gerade durch akustische wahrlich klingende Töne entdramatisiert: Castagnetten betonen bestimmte Aussagen oder Worte, während schon ein winziger Schlag auf ein Klangspiel die geeignete Atmosphäre für jene Bilder schafft, die sich das Publikum selbst im eigenen Kopf bildet oder bilden soll.

 

Ja, hier geht es um wahres Theater, wo Details zum Ganzen erhoben werden und winzige Momente zu ganz großer Geschichte aufgehen. Ein Beispiel? Der bekannte Song Someone like you von Adele, hier meisterhaft von Petra Rohregger alias Margret mithilfe aller anderen, aber besonders der um eine Oktave tieferliegenden Stimme von Viktoria Obermarzoner alias Sandra, gesungen, verweist auf zeitlose Liebesenttäuschungen, die seit eh und je in Film und Theater reichlich Erzählstoff liefern. Oder: „der runde Stein“ auf den sich Danny setzt, da er endlich „seinen“ Platz in dieser Welt gefunden hat, wie jedes Lebewesen im Universum, vom Baum bis zum Vogel in seinem Territorium...

Liebe. Alles dreht sich um die immer, ach so zentrale Liebe. Aber, wer nun wen mehr oder intensiver geliebt hat, das spielt nicht nur in Illusionen letztendlich keine Rolle mehr, denn - sind wir nicht alle auf der Suche nach etwas, das uns beglückt und/oder Halt gibt? Bzw., wie uns hier gesagt wird, nach dem einzigen was Be-Stand hat in dieser stets unbeständigen Welt? Wir wollen hier nicht alles verraten, wohl aber, dass in der schon genannten Fusion der Zeit, Gesten und Mimik ein genauso volles Repertoire darstellen wie Worte und Gesang. Übrigens: fast alle vier Darsteller haben vor diesem Stück noch nie auf der Bühne gesungen, außer Daniel Clemente, der meistens die instrumentale Begleitung am Klavier innehat, sowie auch die gesamte musikalische Leitung auf dem Programm zeichnet.

Neben diesem eher klassischen Schauspielkönnen kommt noch ein nicht so unwichtiges Detail zum Zug: während der gesamten Spielzeit setzen sich alle vier Schauspieler immer wieder ohne größerem Zutun an den anfangs erwähnten Schminktisch, um sich die Haare grauweiß einzufärben und schwarze Augenringe ins Gesicht zu malen. So wird die szenische Jetztwirklichkeit immer mehr zur fiktiven Szenenwirklichkeit bis sich beide in der letzten Szene komplett überschneiden. Im schrittweisen Altern der Figuren, die nun als gealterte Darsteller deren eigenes definitives Ende erzählen, verkörpert sich die (schrittweise) Identifikation des Zuschauers, um Schein und Dasein, Theorie und Erfahrung auf der Bühne eins werden und in manchen Momenten total aufleben zu lassen. Highlight ist dabei einmal mehr der „seltsame Moment“ von Margret oder jener von Danny, wo die veränderte Rezeption sogar in ein verändertes Licht eingetaucht wird. So kann selbst mit sparsamen Mitteln (Komplizin ist auch Andrea Kerner, die für die Ausstattung verantwortlich zeichnet) großes Theater gemacht werden. Zur Freude aller Mitwirkenden, auf der Bühne und im Saal. Denn gutes Theater gelingt, wenn der Austausch zwischen Schauspieler und Zuschauer gelingt und zu einem Ganzen verschmelzen.