Böse Welt, guter Claus
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Am 27. März 1924 wurde Claus Gatterer als ältestes von 9 Kindern in eine kleinbäuerliche Familie in Sexten hineingeboren. Er besuchte die italienische Volksschule in seinem Heimatort, dann das Gymnasium und Lyzeum im Vinzentinum in Brixen. Ab Herbst 1943 studierte der belesene Intellektuelle an der Universität Padua (lettere e filosofia), beendete das Studium nicht. Dennoch wird er rund drei Jahrzehnte später für seine umfassenden historischen Schilderungen mit dem Titel Professor akademisch geadelt.
Die wahre Geschichte, das sind die kleinen Geschichten. In ihnen lebt und wirkt die Wahrheit.
[Claus Gatterer] -
Hatte Claus Gatterer in den Jahren 1945 bis 1947 sogar politische Arbeit beim Aufbau der SVP und in der Redaktion des Volksbote und der Dolomiten geleistet, zieht es ihn 1948 nördlich des Brenners, zunächst nach Innsbruck und schon bald über Salzburg nach Wien. Unentwegt journalistisch aktiv, recherchierte er akribisch und schrieb unzählige Artikel, Briefe und Bücher, etwa über den Hochverräter Cesare Battisti, oder Im Kampf gegen Rom über Bürger, Minderheiten und Autonomien in Italien. Zu seinem wahren Best- und Longseller sollte hingegen sein Buch Schöne Welt, böse Leut werden. Auch seine Übersetzungen, z.B. Ein Jahr auf der Hochebene und Marsch auf Rom und Umgebung des großen Antifaschisten Emilio Lussu haben bis heute nichts an Glanz verloren.
Ab 1972 wurde Gatterer ständiger Mitarbeiter beim ORF und leitete von 1974 bis 1984 die Magazinsendung teleobjektiv. Für seine journalistische Arbeit erhielt er zahlreiche Preise. Auf eine Anerkennung aus Südtirol musste er allerdings lange warten. Bis 1981.Unmittelbar nachdem 1981 einem sichtlich gerührten Claus Gatterer (auf Vorschlag der Journalisten Gottfried Solderer und Gerhard Mumelter) die Verleihung des ersten Südtiroler Presse-Preis erfolgte, hagelte es nicht nur Kritik am Preisträger, sondern insbesondere an dessen Rede. „Und was geschieht?“ fragte sich Rai-Chefredakteur Hansjörg Kucera damals in einem Radio-Kommentar: „Es geschieht, dass Claus Gatterers Vortrag prompt von beiden Seiten unter Beschuss genommen wird [...] die italienischen Medien sprechen von der Enttäuschung der Zuhörer über die bitteren und oft auch schmerzlichen Wahrheiten, die Gatterer den Italienern ungeschminkt vorgehalten hat. Und die Dolomiten kann es sich nicht versagen, in einem dreispaltig aufgemachten Artikel in offenkundiger Verdrehung der Tatsachen Claus Gatterer als einen von linken Zuhörern Beifall umrauschten Volksgruppen-Vermischungsapostel zu verunglimpfen und diesen Vorwurf in der Ausgabe von Mittwoch noch einmal zu bekräftigen.“ Die journalistische Berichterstattung würde laut Kucera den „pessimistischen Schluss“ zulassen, „dass paradoxer- und bedauerlicherweise genau das Gegenteil von dem erreicht wurde, was Gatterer eigentlich vorhatte: Das Bemühen um mehr Information zwischen den Volksgruppen wurde von den angesprochenen Medien zur verfälschender Berichterstattung und folglich zur Fehlinformation degradiert.“ Wie Gatterer zum Buhmann gemacht wurde, offenbarte sich in einer nachfolgenden Fragestundensendung, bei welcher ein Kritiker meinte, Gatterer möge „lieber mehr in Österreich bleiben, als in Südtirol Vorträge halten und der angesprochene Jungparlamentarier Michl Ebner ihm beipflichtete.“
Wenn man aber wisse, „wie sehr Gatterer trotz oder gerade wegen seines langen Österreichaufenthalts mit allen Fasern seines Herzens an seiner Heimat hängt und sein gesamtes journalistisches und schriftstellerisches Schaffen ohne Bezug zu Südtirol gar nicht denkbar ist“, so Kucera, und „dass er ein Leben lang für die Rechte der Sprachminderheiten und besonders jene in Südtirol gekämpft hat“, sowie „in seinem Vortrag für nichts anderes plädiert hat als dafür, das Zusammenleben hier in Südtirol nicht als Verdammung, sondern als einen normalen Zustand zu empfinden, unter der Voraussetzung, dass alle drei Volksgruppen in ihrem Heimatrecht und in all ihren individuellen und gemeinschaftlichen Rechten ungeschmälert bleiben, wenn man das alles weiß und im Auge behält“, so Kuceras Konter mit Schelte: „dann muss es doppelt bestürzend wirken, wie das Tagblatt der Südtiroler in 45.000-facher Vervielfältigung den Vortrag eines um Südtirol verdienten Mannes verdreht und entstellt hat.“
Gab es auch immer wieder Kritik aus Südtirol (wie mitunter aus Kärnten oder auch vom ORF), so bemängelte Gatterer in einem nur wenige Monate vor seinem Tod notierten Tagebucheintrag [16.11.1983] insbesondere die Kritiklosigkeit "seiner" Landsleute, der Südtiroler und Südtirolerinnen, indem er sie folgendermaßen schildert: „Wir sind frei von Sünde, Übel, Fehler, - die andern sind das Übel, das Böse, die Sünde, die Tücke ... Es lässt sich wahrscheinlich sehr gut leben mit einer solchen Haltung; aber ob sie – seelisch und physisch – ‚gesund’ ist?“
Ich will nicht, dass durch den Fortschritt
die Reichen reicher werden.
[Claus Gatterer]
Auch über 4 Jahrzehnte später und hundert Jahre nach seiner Geburt steht der Name von Claus Gatterer weiterhin für einen sozial engagierten, kritischen und unabhängigen Journalismus. Außerdem ist er Vater einer neuen Tiroler Geschichtsschreibung, die lange Zeit durch ein Schwarz-Weiß-Denken geprägt, in Gatterer jenen "Historiker" finden sollte, der das Verbindende und nicht das Trennende der Geschichte herausarbeitete und damit eine nicht nur für Tirol und Südtirol neue Geschichtsschreibung etablierte, die aufklärend und selbstkritisch (nach-)erzählt und mit der alle Sprachgruppen leben konnten (und können).In einem letzten Gespräch – kurz nach der Einstellung der Sendung teleobjektiv und kurz vor seinem Ableben – wurde das journalistische Aushängeschild aus Sexten zu seiner politischen Einordnung befragt. „Sie bezeichnen sich als Linker. Haben Sie, wie Sie jung waren, auch einmal parteipolitisch gearbeitet?“, lautete da eine Frage. Daraufhin antwortete Gatterer: „In der Südtiroler Volkspartei. Ich war dort ein Linksaußen.“ Der Journalist des Wiener Wochenblattes FALTER hakte nach: „Könnten Sie sich heute noch vorstellen, für die Südtiroler Volkspartei zu arbeiten?“ Gatterers Antwort: „Eigentlich eher nein, es wäre doch zu eng.“
Am 28. Juni 1984 verstarb Claus Gatterer in Wien. Begraben ist er in seinem Heimatdorf Sexten. Seit Tennischampion Jannik Sinner ist Claus Gatterer zwar nur mehr der zweitbekannteste Sextner, aber der immer noch unbestritten beste Journalist aus Südtirol.Claus Gatterer 100Mit einem Film- und Diskussionsabend zum 100. Geburtstag von Claus Gatterer am heutigen 27. März, möchte SALTO und BARFUSS, das geistige Erbe des Historikers und Journalisten aufgreifen und seine Leistungen in Erinnerung rufen. Im Filmclub in Bozen.
Beginn 17.30 Uhr
EinführendIM ZWEIFEL AUF SEITEN DER SCHWACHEN – ein Dokumentarfilm von Thomas Hanifle und Kurt Langbein über das Leben von Claus Gatterer
Anschließend
Podiumsdiskussion über engagierten Journalismus und engagierte Journalist*innen
mit: Barbara Bachmann (Journalistin und Autorin), David Runer (Chefredakteur Südtirol Heute), Christoph Franceschini (Journalist und Claus Gatterer-Preisträger) Alessandro Costazza (Literaturwissenschaftler) / Moderation: Lisa Maria Gasser (freie Journalistin)
Abschließend
KERABAN DER STARRKOPF. EINE REISE NACH JULES VERNE DURCH ROTES BIEDERMEIER UND DRITTE WELT (99 Min.) Diesen Dokumentarfilm aus dem Jahr 1973 realisierte der später bekannt gewordene Hollywood-Regisseur Robert Dornhelm mit Drehbuchautor Claus Gatterer für den ORF. Das Filmteam um Dornhelm und Gatterer folgte der Reiseroute Kerabans ums Schwarze Meer rund 90 Jahre nach Veröffentlichung des Romans.
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