Economy | Mindestlohn

Spiel mit dem Feuer?

Die Diskussion über die niedrigen Löhne hat auch Südtirol erfasst. Auch bei uns stellt sich die Frage, eines gesetzlichen Mindestlohns.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: Fabio Petrini

Von Alfred Ebner


Geringe Löhne sind aber ein Problem, das heute fast den gesamten Kontinent betrifft. Die wirtschaftliche Erholungsfähigkeit der einzelnen Länder leidet ebenso darunter, wie der Sozialpakt, der letztendlich Europa zu einem wohlhabenden Kontinent gemacht hat. Nicht umsonst handelt es sich um ein in Italien heiß diskutiertes Thema, auch aufgrund mehrerer Gesetzesvorschläge. Es gab sogar einen Vorstoß für einen europäischen Mindestlohn, der aber am Widerstand von Angela Merkel gescheitert ist, auch weil die Arbeitsmärkte, die Produktionsstrukturen der einzelnen Länder und ihre sozialpartnerschaftlichen Traditionen sehr unterschiedlich sind. Ebenso sind sich die konföderierten Gewerkschaften in Italien einig, dass ein solches Gesetz dem Lohngefüge sogar schädlich sein könnte.


Der Gesetzentwurf sieht einen Mindeststundenlohn von 9 EUR für Arbeitnehmer vor, die von Erwerbsarmut betroffen sind. Aber im Gegensatz zu anderen Ländern sind in Italien fast 90% der Arbeitnehmer durch einen Tarifvertrag abgedeckt. Deshalb schlagen die Gewerkschaften vor, diese Verträge durch Gesetz als allgemein verbindend, („erga omes“) zu erklären. Dadurch würden neben den Löhnen auch andere Aspekte, wie z.B der Urlaub, auch weiterhin durch Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern geregelt. Diesbezüglich wäre ein gesetzlicher Mindestlohn pro Arbeitsstunde sicherlich ungenügend. Als Voraussetzung bräuchte es allerdings ein Gesetz zur Vertretungsstärke, auch für die Unternehmerverbände, das festlegt, wer solche Verträge abschließen kann. Eine derartige Norm würde auch die Verbreitung jener Piratenverträge verhindern, die eine der Ursachen für Hungerlöhne sind.


Wenn das Parlament einen Mindestlohn festlegt, der unabhängig von den Kollektivverträgen ist und der vielleicht noch niedriger ausfällt als die vertragliche Regelung, würde dies die Tarifverhandlungen ungemein erschweren. Wenn ein Unternehmen durch die Einhaltung eines gesetzlich festgelegten Stundenlohn rechtlich in Ordnung ist, welches Interesse hätte es dann an der Unterzeichnung eines Vertrages, der neben vermutlich höheren Löhnen auch zusätzliche Rechte beinhaltet und damit höhere Belastungen für die Unternehmen mit sich bringt? Die Gewerkschaften sind also nicht grundsätzlich gegen den Mindestlohn. Dieser sollte aber vertraglich vereinbart werden und nicht durch ein Gesetz und sollte für alle gelten die in einem bestimmten Wirtschaftsbereich arbeiten. Der Vorschlag beinhaltet Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern, die in Italien noch immer eine gute Basis haben. Ein konsolidiertes Verhandlungssystem aufzugeben, um eine Lösung für die 10% zu finden, die dadurch noch nicht abgedeckt sind, wäre strategisch falsch. Wir hingegen wollen das Gegenteil tun: diese Menschen ins Vertragssystem hereinholen.


Auch gilt das Argument, dass in der Europäischen Union von 27 Mitgliedstaaten 22 einen gesetzlichen Mindestlohn haben, nicht. Eigenartigerweise sind dies außer Italien, Länder wie Schweden, Dänemark, Finnland und Österreich, die sicherlich in der Behandlung der Arbeitnehmer zu den Besten gehören. Diese Länder haben eines gemeinsam: eine starke Mitgliederzahl und eine große Verhandlungsmacht der Gewerkschaften, was eine sehr hohe Abdeckung durch die nationalen Verträge garantiert. Auch liegt deren vertraglicher Mindestlohn gleich oder höher als in den Ländern, in denen das gesetzliche Minimum in Kraft ist. Auch ist selbst in den reichsten Ländern Europas das Niveau des gesetztlichen Mindestlohns fast immer unter der Schwelle jener Arbeiten, die als schlecht bezahlt einzustufen sind. Das Problem in Italien sind daher nicht so sehr die vertraglichen Mindestleistungen. 9 Euro die Stunde entspricht mehr oder weniger den Mindestbeträgen der meisten Verträge. Auch ist es noch unklar was in den gesetzlich vorgesehenen 9 Euro steckt: beinhalten sie auch Urlaub, Krankheiten, Mutterschaft und andere Einrichtungen? Ein Arbeitsvertrag, beinhaltet nämlich nicht nur den Stundenlohn.


Das echte Problem sind jene Bedienstete die unregelmäßig arbeiten, die prekär Beschäftigten und die Schwarzarbeit. Besonders bei der weit verbreiteten Schwarzarbeit hilft ein Mindestlohn wenig. Im Gegenteil: der Anreiz den Lohn der über 9 Euro liegt schwarz zu bezahlen, dürfte sogar zunehmen.In Italien sind Vertragsverletzungen in einigen Sektoren ohnehin relevant. In der Landwirtschaft, der Gastronomie und in bestimmten Dienstleistungen, insbesondere im Süden, stehen sie auf der Tagesordnung. Daher steht die Frage im Raum, warum Unternehmen, die bereits heute in der Lage sind, sich vor der Einhaltung von Tarifverträgen - und oft auch des Gesetzes - zu drücken, nun einen gesetzlich festgelegten Lohn einhalten sollten, insbesondere in einer Situation, in dem die Institutionen nicht in der Lage sind, die notwendigen Kontrollen durchzuführen, nicht zuletzt wegen der erheblichen Einsparungen beim öffentlichen Dienst in den letzten Jahren.


Dieser Aspekt betrifft selbst ein tugendhaftes Land wie Deutschland, das immer wieder zitiert wird. Zwischen den beiden Ländern gibt es allerdings markante Unterschiede: In Deutschland wurde der gesetzliche Lohn eingeführt, gerade weil es keine so große vertragliche Deckung gibt wie in Italien. Nur 2% der Tarifverträge sind wirklich verbindlich, bei uns haben 90% der Bediensteten eine vertragliche Absicherung. Sollte daher die Logik greifen, dass man mit 9 Euro seine Pflicht erfüllt hat, würde dies das gesamte Vertragssystem einfrieren, mit einem unkalkulierbaren Schaden, nicht nur für die Arbeitnehmer, sondern auch für die Steuerbehörden und die Rentenkassen.