Society | Urlauberinvasion

Wachsende Proteste gegen Massentourismus

In zahlreichen Städten und Tourismusregionen wächst der Protest gegen die als Invasion empfundene Touristenflut
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Foto: Ansa

Ada Colau sieht in Venedig "ein absolutes  Schreckgespenst". Eine Geisterstadt, in der knapp 50.000 verbliebene Bewohner  eine Flut von geschätzten 30 Millionen Touristen pro Jahr ertragen müssen. Um solchen Exzessen vorzubeugen, hat die kämpferische Oberbürgermeisterin von Barcelona bereits die Notbremse gezogen. Im Zentrum der katalanischen Hauptstadt dürfen keine neuen Hotels mehr entstehen. Über 30 bereits geplante Neubauten wurden ersatzlos gestrichen.  Der Wohnungsvermittler Airbnb musste eine Geldstrafe von 600.000 Euro berappen. In Zukunft darf die Internetplattform nur noch Wohnungen anbieten, deren Besitzer über eine reguläre Lizenz verfügen. Die Agenturen müssen in Zukunft Umsatzsteuer bezahlen.

Barcelona ist die europäische Grossstadt mit dem stärksten Touristenzuwachs der letzten Jahrzehnte - von 1,7 Millionen Übernachtungen im Jahre 1990 auf über 17 Millionen in diesem Jahr.  Die Demonstrationen aufgebrachter Bürger gegen die Touristenflut nehmen zu. Gegen den Massentourismus, der das Rattern der Rollkoffer in den traditionellen Stadtvierteln zur allgegenwärtigen Geräuschkulisse gemacht hat. Der die Wohnungspreise in der Innenstadt für Normalverbraucher in längst unerschwingliche Höhen getrieben und Einzelhändler durch Souvenirläden verdrängt hat. Der mit lauten Strandpartys und Exzessen angetrunkener Urlauber für empörte Reaktionen sorgt - wie jener Gruppe italienischer Männer, die nackt im Supermarkt einkaufen wollten.

 

Europaweit haben immer mehr Städte und Ferienregionen mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. In Venedig diskutiert der Gemeinderat in diesen Tagen über einen totalen Baustopp für Beherbungsbetriebe  und die Einführung eines numerus clausus für Tagesgäste:  "Disposizioni per tutelare la cittá antica di Venezia dalla pressione turistica, dal proliferare incontrollato di attivitá ricettive e dlela perdita d'Identitá del patrimonio edilizio storico."  Die Lagunenstadt verfügt über ein Gästebett pro Einwohner - obwohl die meisten Besucher gar nicht dort übernachten. Allein Airbnb bietet in Venedig fast 6000 Übernachtungsmöglichkeiten an. Von 2000 bis 2017 ist die Zahl der Betten um fast 300 Prozent gestiegen. Eine eigene Ermittlungseinheit der Stadtpolizei spürt nun illegale Vermieter auf.  70 neue Polizisten sollen den Schutz des "decoro urbano" überwachen und Touristen bestrafen, die in die Kanäle springen oder  in schmalen Gassen an die Häuserwände pinkeln. Die städtische Reinigung kommt mit der Müllbeseitigung kaum nach.

Mit der Heuschreckenplage des Massentourismus hat auch Florenz wachsende Probleme.. Um die "bivacchi" der Touristen zu verhindern, lässt Bürgermeister Dario Nardella mehrmals täglich die Stufen kunsthistorisch wichtiger Palazzi mit Wasserschläuchen reinigen, damit die  Urlauber nicht dort ihr Eis schlecken oder ihre panini verzehren. In Rom wurde die Fontana dei Trevi mit einem gelben Band eingezäunt, das Besucher nicht überschreiten dürfen. Wer ins Wasser steigt, muss mit einer Geldstrafe von 450 Euro rechnen. Die Spanische Treppe ist längst zu einer Art Heerlager verkommen, die berühmten Travertintreppen sind durch Fettflecken und Essensreste verunziert.

Die von Touristen überflutete Ferienregion der Cinque Terre hat nun als erste eine Art numerus clausus eingeführt. Mit einer App können sich Besucher anmelden. Auf den stark besuchten Küstenwegen sollen sich nicht mehr als 1200 Besucher gleichzeitig bewegen. Ein Drittel der historischen Terrassen wurde freilich in den vergangenen Jahrzehnten der Invasion asiatischer und amerikanischer Touristen geopfert und in eine Art Museumslandschaft umgewandelt. Die Zahl der überfluteten Urlaubsorte steigt unaufhörlich - von Capri bis Portofino, von Siena bis Taormina oder Riva del Garda. Vor der historischen Kleinstadt Gimignano parken täglich über 50 Busse und Hunderte PKW. Die Gemeindeverwaltung muss die Müllkörbe dreimal täglich entleeren. Das Gedränge in den engen Gassen ist längst unzumutbar.

Wo verläuft die Grenze, die den Tourismus von der Haupteinnahmequelle zur Bedrohung werden lässt ? Eine wachsende Zahl von Bewohnern lehnt sich auf gegen diese Form  täglicher Invasion. Protestkundgebungen gab es nicht nur in Venedig und Barcelona, sondern auch in Mallorca und Tenerife. Sogar im Pilgerziel Santiago de Compostela stöhnt der Bürgermeister: "Genug ist genug". Tourist go home-Slogans zieren Häuserwände in Mallorca und Ibiza. Sprüche wie Your tourism kills my neighbourhood! verraten in Dubrovnik und Lissabon das wachsende Unbehagen der Einwohner über die Exzesse der unerwünschten  "Mordi e Fuggi"-Besucher

Auch Südtirol bleibt davon keineswegs unberührt - vor allem im Dolomitengebiet. Das beweist die Diskussion um die zeitweise Schliessung der Dolomitenpässe für den Verkehr. Ein Blick auf die Parkplätze am Fuss der Drei Zinnen oder am Pragser Wildsee wirkt ebenso abschreckend wie das sommerliche Verkehrsgewühl zwischen Meran, Schenna und Dorf Tirol. Mit 31 Millionen Übernachtungen stösst auch Südtirol an seine Grenzen. Nicht in Schlinig oder Altrei, wohl aber in Gröden und und beim herbstlichen Törggele-Massenbetrieb, bei dem die beliebten Rippelen längst von aus Osteuropa importierten Schweinen stammen. Und bei den unzähligen Reisegruppen, die sich in Bozen und Meran über den  Obstmarkt und durch die Lauben schieben.

Mit über 120 Millionen Übernachtungen jährlich sind die Alpen längst zu einem der grössten Freizeitparks Europas verkommen. Immer neue Seilbahnen schaufeln Tausende in Höhen bis zu 3500 Metern und in sensible Gletscherregionen. Die riesigen Blechlawinen an den Talstationen zeugen ebenso von der Grössenordnung des Phänomens wie die regelmässigen Staus auf der Brennerautobahn.

Der Bürgermeister von Percha hat erst am Dienstag auf die Dringlichkeit einer Umfahrungsstrasse verwiesen. Durch das Pustertaler Dorf rollen täglich bis zu 25.000 Autos - eine schwere Beeinträchtigung der Lebensqualität. Es ist höchst an der Zeit, ernsthaft über die Grenzen des Tourismus und seiner schier unaufhaltsamen Expansion nachzudenken.