Economy | Forschung
“Regional” nicht gleich “nachhaltig”
Foto: Oswald Stimpfl
Vom Acker bis ins Gasthaus: So könnte man das Ziel des Projekts NEST - die Gestaltung eines nachhaltigen Ernährungssystems in Südtirol - kurz zusammenfassen. Die vom Land Südtirol geförderte, von Eurac Research koordinierte und von IDM unterstützte Initiative will Wege aufzeigen, wie der gesamte Kreislauf der Erzeugnisse in Südtirol – von der Landwirtschaft über die Verarbeitung und Logistik bis in die Gastronomie – nachhaltiger gestaltet werden kann. Erste Zwischenergebnisse aus dem Projekt sowie Beispiele und Erfahrungen aus der lokalen Landwirtschaft und Gastronomie wurden am Freitag, 23. Juni am Eurac-Sitz in Bozen im Beisein von Landeshauptmann Arno Kompatscher sowie Landwirtschafts- und Tourismuslandesrat Arnold Schuler vorgestellt.
Regionalität unter der Lupe
Aufgezeigt wurden die Zwischenergebnisse unter anderem am Beispiel Speckknödel, der stellvertretend für regionale Südtiroler Kost steht. Aber woher kommt das Getreide, aus dem das Brot für den Knödel hergestellt wird? Und stammt der Speck von Südtiroler Schweinen? "Regional" alleine bedeutet also nicht zwangsläufig auch "nachhaltiger", erklärten Christian Hoffmann und Thomas Streifeneder, Regionalentwicklungsexperten von Eurac Research. "Ein Produkt aus Südtirol beispielsweise, das lange gekühlt gelagert wird, kann eine schlechtere Ökobilanz aufweisen als ein frisch geerntetes Produkt, das von weit her nach Südtirol transportiert wird. Die Nachhaltigkeit der Bilanz würde aber wiederum kippen, wenn Arbeitende in der Erzeugerregion nicht leistungsgerecht entlohnt werden", sagte Streifeneder, Leiter des Instituts für Regionalentwicklung von Eurac Research. Will man die Nachhaltigkeit eines Ernährungssystems beurteilen, gehe es also nicht nur um den CO2-Fußabdruck, sondern auch um andere ökologische, sowie um soziale und ökonomische Gesichtspunkte.
Kaum Eigenversorung bei Getreide und Geflügel
Alle diese Faktoren beleuchtet das Forschungsteam deshalb im Projekt NEST für Südtirol. Eine wichtige Frage dabei: Wie weit ist Südtirol bei seiner eigenen Versorgung oder anders gefragt, welche Lebensmittel decken wir mit eigener Produktion in welchem Umfang bei einer ausgewogenen Ernährung ab? Denn auch das ist ein Kriterium für Nachhaltigkeit. Wie der erste Projektbericht nachzeichnet, ist besonders auffallend, wie wenig Getreide und Geflügelfleisch in Südtirol produziert wird: Die aktuelle Geflügelfleischproduktion deckt weniger als 0,5 Prozent des empfohlenen Bedarfs. Bei der Getreideproduktion werden weniger als zwei Prozent des Bedarfs gedeckt. "Angebaut wird Getreide in Südtirol auf einer Fläche von nur 221 Hektar. Dabei war Südtirol früher einmal ein bekanntes Anbaugebiet für Getreide", berichtete Christian Hoffmann. "Potenzielle landwirtschaftliche Nutzflächen mit Neigungen unter 20 Prozent, die für den Getreideanbau geeignet wären, werden heute jedoch für Weide- und Grünlandflächen und in den Tallagen im Vinschgau, Etschtal und Unterland vor allem für den Obstanbau verwendet." Die dort auf 18.033 Hektar intensiv kultivierten Äpfel gehören zu den wichtigsten Exportprodukten Südtirols.
Praxisbeispiele
"Setzt man als Gastronom vorwiegend auf regionale Küche, muss man manchmal Abstriche machen: Lokale Produkte sind nämlich in ihrer Vielfalt begrenzt und nicht jederzeit verfügbar", berichtet Elmar Dorigoni vom Rösslwirt in Barbian. Er bringt seit einigen Jahren den Barbianer Hornochs auf den Teller – das Fleisch liefert ein junger Landwirt aus der Nachbarschaft. "Um eine abwechslungsreiche Kost anzubieten, habe ich lernen müssen, auch andere Teile des Ochsenfleisches zu verarbeiten. Den etwas höheren Preis für fair produzierte, regionale Produkte zahlen insbesondere einheimische Gäste gerne, weil auch sie sich mit diesen Lebensmitteln besser identifizieren können", so Dorigoni.
Dass sich hinsichtlich der Kooperationen zwischen Landwirtschaft und Gastronomie auch in Zukunft noch viel zu tun sein wird, davon ist Gertraud Aschbacher von der Fachschule für Landwirtschaft in Dietenheim überzeugt. „Junge Menschen haben ein ganz neues Bewusstsein für nachhaltige Lebensmittel aus Südtirol. Häufig setzen die angehenden Landwirtinnen und Landwirte bereits während der Schulzeit ihre Ideen um und beliefern Gastronomiebetriebe mit selbst angebauten Gemüsesorten oder produzieren ihren eigenen Käse“, so die Direktorin der Fachschule.
Netzwerke stärken
Ausgangspunkt des Projekts NEST ist die Nachhaltigkeitsstrategie der Südtiroler Landesregierung. Darin wird eine krisenfeste Versorgung mit gesunden Lebensmitteln und eine nachhaltige und resiliente Landwirtschaft mit einer nachhaltigen Flächenbewirtschaftung zum Ziel erklärt. "Die Praxis zeigt, dass ein gut funktionierendes Netzwerk zwischen lokalen Lebensmittelproduzentinnen und -produzenten sowie Abnehmenden aus der Tourismusbranche zu einer Win-Win-Situation für alle Beteiligten führt“, sagte Landeshauptmann Arno Kompatscher im Rahmen der Projektvorstellung: "Daher ist es unser Anliegen, aufbauend auf die Ergebnisse entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um den Ausbau dieser Partnerschaften angemessen zu unterstützen."
Nächste Schritte
In den nächsten Schritten des Projekts führt Eurac Research Befragungen mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung und Logistik durch. Darauf aufbauend werden Lösungen und Handlungsempfehlungen dazu erarbeitet, wie eine nachhaltige Lieferkette in Südtirol umgesetzt werden kann.
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"nachhaltige Lieferkette in
"nachhaltige Lieferkette in Südtirol" ... sehr komische 4 Worte! was will da geliefert werden? wenn wir nichts produzieren. Außer den Apfelbedarf für halb Europa und Jogurt für halb Italien.
Aber JA, der Ansatz ist gut, und das Beispiel mit dem Speckknödel sagt eigentlich alles.