Sinicher Chemiebombe
Die negativen Nachrichten aus Sinich reißen nicht ab. Seit bald drei Wochen streiken die Arbeiter der Solland Silicon, doch Reaktion darauf gibt es weiterhin keine. Der 15. Oktober, die jüngste Frist für eine Nachzahlung der ausstehenden Gehälter und anderer finanzieller Leistungen, ist längst ohne Überweisung verstrichen. Das nächste Treffen im römischen Wirtschaftsministerium am 29. Oktober ist abgesagt, weil es beim versprochenen Lieferabkommen mit dem vorherigen Eigentümer SunEdsion ebenfalls keine Fortschritte gibt. Statt dessen müssen die Arbeiter nun fürchten, innerhalb Ende Oktober endgültig aus ihrer Zusatzkrankenversicherung rauszufallen, deren Raten der süditalienische Unternehmer bereits seit April nicht mehr zahlt. Und: Seit kurzem pickt auch noch ein Kuckuck auf einem Transformator des Betriebs, der nach dem Pfändungsantrag von einem der vielen Gläubiger Puglieses abtransportiert werden soll, wenn die Außenstände nicht innerhalb von 10 Tagen beglichen werden.
Eine zunehmend unerträgliche Situation für die mehr als 150 betroffenen Arbeiter. Dass das Problem aber weit über sie hinausgeht, belegte in den vergangenen Tagen ein Brief jener Arbeiter, die dazu abkommandiert sind, die Sicherheit des Betriebs zu garantieren. Immerhin sind in der Ex-Memc-Anlage teils hoch explosive Chemikalien gelagert. Trotz Streik und ausstehenden Zahlungen garantiert ein Turnusdienst, dass je sieben Arbeiter im 24-Stunden-Dienst in der Fabrik im Einsatz sind. Doch wie die Mannschaft in einem Schreiben aufmerksam macht, gehen langsam auch die nötigen Rohstoffe für den Betrieb jener Maschinen aus, die garantieren, dass die flüssigen und gasförmigen Chemikalien sicher gelagert sind.
Öffentliche Sicherheit gefährdet?
Sind durch die Zuspitzung der Situation in Sinich also nicht nur mehr als 150 Familien, sondern auch die öffentliche Sicherheit in Gefahr? „Wenn dort wirklich was passiert, hätte dies Auswirkungen auf das gesamte Burggrafenamt“, warnt Stefano Schwarze, Generalsekretär der Fachgewerkschaft Chemie des CGIL/AGB. Derzeit sieht er die Situation jedoch unter Kontrolle – wenn auch nur dank des Einsatzes von nicht bezahlten Arbeitern. Je wahrscheinlicher jedoch die Option Konkurs wird, desto drängender stellt sich die Frage, was in solch einem Fall mit den Chemikalien passiert. Und zwar auch jenen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten im Grund des Betriebs angesammelt haben. „Hier müsste der Grund im Rahmen einer Bonifizierung bis in eine Tiefe von sechs bis sieben Metern von Schadstoffen gereinigt werden“, sagt der Gewerkschafter. Die geschätzten Kosten dafür sind wahrlich astronomisch – „man spricht von 800 bis 900 Millionen Euro“, sagt Schwarze. Eine Summe, die den gesamten Abbau des Werks und die Sanierung des Geländes aufgrund der in dem Fall vorgeschriebenen Seveso III-Richtlinie beinhalten würde.
Zumindest beim CGIL sieht man den Verkauf des Werks von SunEdison an Massimo Puglieses Solland Silicon zunehmend unter diesem Aspekt. „Uns war immer unklar, warum Pugliese keinen Cent für das Unternehmen zahlen musste und statt dessen auch noch ein Darlehen im Höhe von 7,5 Millionen Euro von SunEdison gewährt bekam “, sagt Schwarze. Eine Erklärung, die als immer wahrscheinlicher gehandelt wird: Mit dem Kaufvertrag ging auch die Pflicht der Bonifizierung von SunEdsion auf Pugliese über. Doch wenn auch so mancher Arbeiter noch immer darauf hoffen mag, seinen Lohn von Pugliese zu erhalten. Sicher scheint bereits jetzt, dass bei solchen Summen nicht auf den äußerst dubiosen Unternehmer zu zählen ist.