Culture | Kunst

Diminishing Returns - Kunst und Übermaß

Wie werden wir als Individuen mit unseren Körpern und Ideen täglich verarbeitet und monetarisiert, während wir selbst (über)konsumieren? Eva Leitolf und Giulia Cordin berichten über die Ausstellung „Diminishing Returns“ der Bozner Fakultät für Kunst und Design
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Diminishing Returns
Foto: Fanni Fazekas
  • SALTO: Wie ist die Idee hinter der Ausstellung Diminishing Returns entstanden?

     Eva Leitolf und Giulia Cordin: Jedes akademische Semester laden wir im Studio Image – einem der vier Studios des Studienzweigs Kunst an der Fakultät für Design und Kunst – Studierende ein, ein Projekt zu einem bestimmten Themenfeld zu entwickeln. Anhand von gesellschaftspolitisch relevanten Themen untersuchen wir Praktiken der Bildproduktion und Kontextualisierung und erforschen umstrittene Phänomene wie die Gewalt von Bildern, die Auswirkungen von Fake News oder die Auswirkungen neuer Medien und technologischer Werkzeuge auf unsere Gesellschaft.

    Letztes Jahr haben wir mit den Studierenden am Thema „Exzess“ gearbeitet, mit dem Ziel, Interpretationen zu erarbeiten, die über konventionelle Darstellungen von Konsum und Überfluss hinausgehen. Wir diskutierten zum Beispiel Fragen wie: „Auf welche Weise werden wir, unser Körper, unsere Ideen, unsere Bilder und unsere Wünsche verarbeitet und monetarisiert, während wir selbst konsumieren?“ oder „Welchen Einfluss haben Narrativen des Überflusses darauf, wie wir uns selbst und unser Zusammenleben als Gesellschaft wahrnehmen?“

    Diminishing Returns versucht, die Besucher:innen des FotoForums durch eine Auswahl der im Semester entstandenen Werke mit diesen oder ähnlichen Fragen zu konfrontieren. Die Ausstellung konzentriert sich insbesondere auf die Rolle, die Bilder bei der Konstruktion von gesellschaftlichenErzählungen spielen.

     

  • "Diminishing Returns" untersucht und diskutiert kritisch das Konzept des Übermaßes und seine persönlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Implikationen. Drei KünstlerInnen bieten mutige Gegennarrative und performative Aktivitäten an, um stereotype Wahrnehmungen herauszufordern.

  • Diminishing Returns - Kunst zwischen Übermaß und Realitätsverlust Foto: Fanni Fazekas
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    Könnten Sie etwas über die Künstler:innen erzählen, die im Rahmen der Ausstellung ihre Werke präsentieren?  

    Die Ausstellung ist das zweite Kapitel des Formats Joints, einer Zusammenarbeit zwischen FotoForum und der Fakultät für Design und Kunst in Bozen. Das Projekt bringt junge und professionelle Künstler:innen zusammen und fördert einen thematischen, methodischen und künstlerischen Austausch, der durch die Begegnung ihrer Arbeiten mit Leben gefüllt wird. Die im Foto Forum vorgestellten Künstler:innen sind Matteo Antoniazzi (ein Alumnus unserer Fakultät), Melanie Kasal (eine Studierende des Studienzweigs Kunst) und die slowenische bildende Künstlerin Sara Bezovšek, deren Arbeit sich häufig mit Themen digitaler Kultur, Online-Bildern und der Nutzung digitaler Medien befasst.

    Trotz ihrer unterschiedlichen Herangehensweise beschäftigen sich alle drei Arbeiten mit der Idee einer Reduzierung – bis hin zum Verlust – der Realitäten, in denen wir leben. Dieser Realitätsverlust wird als Ergebnis eines Prozesses verstanden, in dem Bilder nicht mehr nur als Simulakren fungieren, sondern sich aus immensen Data-Sets selbst generieren. Matteo Antoniazzis CGI-Animation This Video beispielsweise bietet eine nihilistische Analyse des Wertes digitaler Bilder in Zeiten der Überproduktion und gibt den Betrachter:innen keine Gewissheit über deren Herkunft und Kontext. Melanie Kasal hingegen nutzt in Der Spiegel (The Mirror) Bilder als Mittel zur Versicherung ihrer selbst in einem Zustand der Derealisation, der die Welt distanziert und abstrakt erscheinen lässt. Sara Bezovšeks interaktive Website s-n-d.si präsentiert schließlich eine Vielzahl möglicher Szenarien, die zum Aussterben unserer Spezies führen. Diese werden durch Kollagen aus Memes, Filmausschnitten, Zeitungsschlagzeilen und allen möglichen visuellen Materialien generiert, mit denen Besucher:innen auch täglich interagieren.

     

  • Die Schöpfer:innen der ausgestellten Werke: Melanie Kasal, Matteo Antoniazzi und Sara Bezovšek Foto: Fanni Fazekas
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    Die Kunstwerke greifen das Konzept des Übermaßes in Zeiten globaler Krise auch visuell auf – welche Wirkung hat DiminishingReturns auf die Betrachter:innen?

    Da müssten Sie wahrscheinlich am besten die Besucher:innen fragen …

    Wie schon erwähnt, bestand das kuratorische Ziel der Ausstellung nicht darin, Antworten oder Lösungen für unsere komplexe Gegenwart zu liefern, sondern vielmehr darin, ein Spannungsfeld zu erzeugen und Fragen über den gegenwärtigen Moment aufzuwerfen, in dem wir leben. Die ausgestellten Arbeiten fordern auf unterschiedliche Weise das Engagement der Besucher:innen ein, um an der Entstehung von Bedeutung mitzuwirken. Es ist sowohl ein Angebot als auch eine Herausforderung, die wir dem Publikum präsentieren.

     

  • Auf der interaktiven Webseite s-n-d.si, kreiert von Sara Bezovšek, werden mögliche Zukunftszenarien der Menschheit beleuchtet - nicht alle sehen rosig aus, der Weg dorthin jedoch besteht immer aus klatschbunter Überstimulation. Foto: Fanni Fazekas
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    Wie positioniert sich die Ausstellung gegenüber den Phänomenen, die sie reflektiert? Handelt es sich um eine Kritik an den kulturellen und sozialen Auswirkungen von Überproduktion und Hyperkonsum, oder stehen wir einem Produkt unserer Zeit gegenüber, welches dem Übermaß als einfache Tatsache Ausdruck verleiht?

    Ausgehend von einer Untersuchung bestehender visueller Erzählungen haben wir versucht, diese zugunsten neuer Gegenerzählungen herauszufordern und aktuelle stereotype Darstellungen dessen, was als unwesentlich und überflüssig gilt, in Frage stellen. Dabei haben wir uns nicht auf ein enges Verständnis des Begriffs „Exzess“ beschränkt, sondern versucht, Konzepte des Übermaßes in unterschiedlichen Kontexten zu betrachten. Die Werke der ausgestellten Künstler gehen über die bloße Darstellung von Exzess oder seiner Auswirkungen hinaus; Sie führen die Reflexion einen Schritt weiter und regen zu einer Untersuchung alternativer Erzählungen an.

     

  • In Matteo Antoniazzis CGI-Animation „This Video“ lassen ein monotoner Vokal-Track und eine nahtlose Abfolge von Bildern die Frage nach deren Rolle in einer Zeit digitaler Überproduktion aufkommen. Foto: Fanni Fazekas
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    Inwiefern wird den Besucher:innen der Konsum als eine Handlung präsentiert und in welchem Maße taucht der Mensch in der Ausstellung selbst in die Position des Konsumobjekts?

    Mit jedem Mal, in dem wir Bilder im Netz ansehen, bewerten oder runterladen, werden gleichzeitig unsere Vorlieben und unser Konsumverhalten verarbeitet und monetarisiert. Es gibt also mehrere Aspekte und Ebenen von Konsum. Die ausgestellten Werke beleuchten einige dieser Verschränkungen und bieten kritische Diskussionen, aus verschiedenen Perspektiven, über die persönlichen, kulturellen und sozialen Auswirkungen exzessiver Bildproduktion und Konsumption. Diese Arbeiten fördern den Dialog, indem sie Formate verwenden, die die Besucher direkt einbeziehen und herausfordern.

     

    Die ausgestellten Werke bieten kritische Diskussionen über die Auswirkungen exzessiver Bildproduktion und Konsumption

     

    Welche Rolle nehmen Verzicht, Opfer und Widerstand als Gegenpol des Übermaßes in Deminishing Returns ein?

    Ein einprägsames Beispiel und einen Gegenpol zu den bildgewaltigen beiden anderen Arbeiten stellt Melanie Kasals Arbeit Der Spiegel (The Mirror) dar. Seit vielen Jahren erlebt die Künstlerin Phasen der „Derealisation“, in denen sie sich selbst und ihre Umwelt als nicht-real erlebt. Dem Diskurs über (fotografische) Bilder ist seit langem die Frage nach deren Realitätsgehalt eingeschrieben. Melanie Kasal entwickelte für ihre Arbeit eine Produktionsmethode, die einerseits ein langes, genaues Hinsehen erfordert und andererseits intuitives, „blindes“ Zeichnen umfasst. Als Betrachter:innen werden wir Zeug:innen eines sehr reduzierten Versuchsaufbaus: Vor einer Videokamera sitzend, beobachtet sich Kasal in einem hinter der Videokamera stehenden Spiegel und zeichnet sich selbst, ohne auf das Blatt zu sehen. Im Ausstellungsraum sieht sie uns in den dabei entstandenen Videos unverwandt an, und unter den Screens sehen wir die bei der visuellen Selbstbefragung entstandenen, fragmentierten Selbstporträts. Durch diese Praxis des Innehaltens und genauen Hinsehens erlebt sie sich als real.

     

  • Für ihr Werk „Der Spiegel (The Mirror)“ lässt sich Künstlerin Melanie Kasal in Phasen der Derealisation sinken und hält die dabei erreichte Selbstwahrnehmung auf Papier fest Foto: Fanni Fazekas
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    Gibt es noch etwas, das Sie noch hinzufügen möchten?

    Wir freuen uns besonders, dass wir bereits zum dritten Mal mit unseren Studierenden an den Bolzano Art Weeks teilgenommen haben. Für die beteiligten jungen Künstler:innen stellt es eine wertvolle berufliche Chance dar, sich mit kulturellen Realitäten und in der Region aktiven Akteuren zu vernetzen. Aber auch für unsere Partner ist es ein Zeichen dafür, dass die lokale Szene nicht nur überaus aktiv und lebendig ist, sondern auch offen für vielfältigen, internationalen Austausch.

     

  • Eva Leitolf und Giula Cordin, Dozentinnen an der Fakultät für Design und Künste an der Freien Universität Bozen und Kuratorinnen der Ausstellung Diminishing Returns Foto: Fanni Fazekas