"Dann fahren wir den Sanitätsbetrieb an die Wand"
Keine befürchteten Ausschreitungen der Wutbürger vor dem Landtag, keine verbalen Schlachten im Landtag: Wer sich am Donnerstag einen weiteren Höhepunkt der hochemotionalen Diskussion um die Sanitätsreform erwartet hat, wurde enttäuscht. Mehr als vier Stunden dauert die Anhörung zur umstrittenen Reform, doch statt lauten Tönen dominierte die Sachlichkeit. Vielleicht auch weil auf dem Podium ausschließlich Befürworter von Martha Stockers Vorschlag Platz fanden, wie die Grünen als Initiatoren der Anhörung bereits am Tag davor kritisiert hatten. Auch bei den Fragen und Einwürfen von Opposition und den VertreterInnen der Anrainergemeinden zeigte sich: Wenn die Emotion einmal draußen ist, sind die Positionen nicht einmal so weit voneinander entfernt wie bislang angenommen.
Das zeigte sich zum Beispiel beim heißesten Thema der Reform, der künftigen Rolle der Bezirkskrankenhäuser. Wie groß die Angst einer Aushöhlung einer umfassenden Grundversorgung vor Ort ist, zeigt der Appell einer Innichner Bürgerin und Mutter an das Hohe Haus: „Lassen Sie ein Einzelkind nicht allein, mit der Pflege von Eltern, Schwiegereltern und Kindern." Auch der Innichner Primar Gottfried Kühebacher sprach sich unter anderem dafür aus, den Kleinkrankenhäusern in Bereichen wie der Onkologie eine wichtige Rolle bei der kontinuierlichen Begleitung der PatientInnen zu belassen. Gerade das sei aber ohnehin geplant, unterstrichen nicht nur die Gesundheitslandesrätin, sondern auch Sanitätsdirektor Oswald Mayr. „Unser Stufenmodell sieht vor, dass Bezirkskrankenhäuser künftig zwei Standorte haben“, sagt er. Am eigentlichen Standort werde weiterhin die tägliche Grundversorgung stattfinden; an den Schwerpunktkrankenhäusern werden dagegen spezialisierte Dienste angeboten. Durch die enge Zusammenarbeit beider Krankenhäuser und die Zusammenlegung von Primariaten solle die Grundversorgung vor Ort sogar noch gestärkt werden; ebenso wie die Attraktivität der kleinen Krankenhäuser für die bereits heute schwer zu findenden Fachärzte, die künftig zwischen beiden Strukturen rotieren sollen. In Zusammenspiel mit der geplanten Stärkung des Territoriums werde die Grundversorgung vor Ort damit mittel- bis langfristig sogar ausgebaut, unterstrich Landesrätin Stocker.
Harte Fakten für Geburtenstationen
Einen harten Kurs fuhren dagegen vor allem die anwesenden ExpertInnen in Sachen Geburtenstationen. Sowohl in Österreich als auch in Deutschland sei ein 24-Stunden-Aktiv-Dienst längst vorgeschrieben und auch sinnvoll, betonte beispielsweise der Direktor der Innsbrucker Universitätsklinik für Gynäkologie und Geburtshilfe Christian Marth. „Jede 100. Gebärende braucht einen Notfallkaiserschnitt“, erklärte er. Entscheidend für die Gesundheit von Mutter und Kind sei dabei die Zeitspanne, die zwischen der Entscheidung und dem tatsächlichen Eingriff liege. „Wir sagen, viel mehr als 15 Minuten dürfen dafür nicht vergehen“, erklärte der Gynäkologe mit 30-jähriger Berufserfahrung. Doch diesen Wert würden in Österreich nur große Kliniken erreichen; in Kleinspitälern liege man im Schnitt bei 35 Minuten. Auch bei der steigenden Zahl von Haftungsklagen zeigt sich laut Marth, dass bei tatsächlichen Todesfällen oder Behinderungen von Kindern nur in zehn Prozent der Fälle sogenannte Kunstfehler ausschlaggebend seien. „Alle andere Fälle sind auf strukturelle Defizite zurückzuführen.“ In Österreich wurden deshalb mittlerweile 20 Prozent der Geburtenstationen geschlossen, sagte Michaela Moritz, ehemalige Vorsitzende der Gesundheit Österreich GmbH.
„Die Politik hat eben versucht, jenen Konflikten, die wir nun angehen müssen, so lange wie möglich aus dem Weg zu gehen.“
Die Fragestunde der Anhörung machte einmal mehr klar, wie viel politisches Kapital aus dem Thema geschlagen wird. Bernhard Zimmerhofer von der Südtiroler Freiheit stellte die Gelder, die Rom im Rahmen des Sicherheitspaktes „geschenkt“ würden, den Kosten der Kleinspitäler gegenüber oder empörte sich darüber, dass nur in Italien die Anrechnung von Facharzttiteln ein Problem sei. Pius Leitner von den Freiheitlichen warnte vor einer Zwei-Klassen-Medizin, auch der Sterzinger SVP-Bürgermeister Fritz Karl Messner nutzte die Bühne erneut, um davor zu warnen, dass Messer genau dort anzusetzen, wo sich die Patienten heute geborgen und sicher fühlen.
Klare Worte in Sachen Politik fand Sanitätsdirektor Oswald Mayr. Auf die Frage, warum Südtirol seinen Nachbarstaaten bei einer Reform des Sanitätswesens zehn Jahre hinten nachhinke, wie bei der Anhörung festgestellt wurde, verwies er ohne langes Fackeln auf den Eigentümer des Sanitätsbetriebs: „Die Politik hat eben versucht, jenen Konflikten, die wir nun angehen müssen, so lange wie möglich aus dem Weg zu gehen.“ Unmissverständlich war Mayr auch hinsichtlich eines möglichen Scheiterns des Reformvorhabens: „Wenn es uns diesmal nicht gelingt, die Reformen umzusetzen, fahren wir den Sanitätsbetrieb an die Wand.“
Modell Friaul Julisch Venetien?
Wohin die Reise im anderen Fall gehen könnte, illustrierten die Gesundheitsassessorin der Region Maria Sandra Telesca und der Generaldirektor der dortigen Gesundheitsversorgung Adriano Marcolongo. Dort werden derzeit einige allgemeine Krankenhäuser in Versorgungsspitäler für Nachbehandlung, Untersuchungen und kleinere Eingriffe umgewandelt; dafür werde das Angebot breiter gefächert, mit Augenmerk auf Versorgung vor Ort und Pflege. Gleichzeitig setzt man in Friaul Julisch Venetien stark auf Gemeinschaftspraxen mit mindestens sechs Ärzten, die wiederum mit Spezialisten in den Krankenhäusern vernetzt sind. So könne ein 24-Stunden-Dienst gewährleistet werden. Geburtenstationen mit weniger als 500 Geburten pro Jahr würden in Friaul nun geschlossen, wie zuletzt im Juli die Geburtshilfe von Görz mit 300 Geburten. Allerdings gäbe es dort nur 15 Kilometer entfernt die nächste Geburtshilfe, wie Maria Sandra Telesca betonte. „Die Schließung ist nicht schmerzfrei vor sich gegangen“, erklärte sie, „aber wir haben stark auf Kommunikation gesetzt und betont, dass es nicht um Einsparungen, sondern um Qualität und Sicherheit gehe.“ Parallel sei eine dezentrale Versorgung für die Zeit nach der Geburt geschaffen worden.
Schaffen es Martha Stocker und ihr Team bis Jänner eine Reform auf die Beine zu stellen, die auch wenige Monate vor den anstehenden Gemeinderatswahlen politisch durchsetzbar ist? Zumindest im Landtag schien die Wahrscheinlichkeit dafür an diesem Donnerstag höher als in den vergangenen Wochen.
Aus einer Ärztezeitung 2009:
Aus einer Ärztezeitung 2009:
"Insgesamt nimmt in Österreich die Zahl der Kaiserschnitte kontinuierlich zu. Mit 25,8 Prozent im Jahr 2007 liegt der Anteil der Kaiserschnitte an den Geburten weit über jenen 15 Prozent, die die WHO empfiehlt. Das AKH Wien hat die höchste Kaiserschnitt-Rate mit 42,9 Prozent, die Universitätsklinik Innsbruck liegt mit 39,1 Prozent knapp dahinter. Marth begründet diese Entwicklung mit einem „drastischen Absinken der Risikobereitschaft“ der Mütter, insbesondere bei Erstgebärenden, die keinerlei Risikofaktoren für eine natürliche Geburt aufweisen. „Auch in diesem Fall spielt Aufklärung eine wesentliche Rolle“, erläutert Marth. Zusätzlicher Druck pro Sectio kommt jedoch auch häufig von Gutachtern und der Sorge der Ärzte und Spitäler vor Klagen, wenn bei einer Geburt etwas schief geht."
Wollen wir uns nicht endlich fragen, wieso die Frauen Angst vor der Geburt haben? Wer redet Ihnen das ein? Wer klärt die Frauen wie auf? Ist uns klar, welche Auswirkungen eine immer steigende Sectiorate auf die Frauen, Kinder und Väter hat? Am Dienstag 25.11.14 war ein sehr interessanter Beitrag zu der steigenden Sectiorate auf ORF. Er ist noch online auf http://tvthek.orf.at/schedule.....