Postapokalypse zum Weihnachtsmarkt
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Wir schreiben das Jahr 4.000 irgendwas, das Christentum - bekannt als „Culto della Croce“ - und viele andere ideologische und technologische Eckpfeiler (wie Zement, genannt „la roccia grigia dell’anthropocene“) unserer Gesellschaft sind in Vergessenheit geraten. Eine Archäologin führt uns über als Audio eingesprochene Feldnotizen zu den Ausgrabungen in der „Valle dei Tesiani“ in diese fremde, virtuell über unserer Welt angelegten Vorstellung eines Bozner Talkessels ein. Beiläufig wird davon gesprochen, dass es „damals“ - gemeint ist die Gegenwart - rund 300 Mal so viele Menschen wie in der Zukunft gibt.
Das Projekt, das uns in diese durch einen nicht näher benannten Kataklysmus und radikale Klimaveränderungen gezeichnete Welt eintauchen lässt, wurde von Angela Disanto, Maria Galliani Dyrvik und Nuno Escuderio entwickelt. Als sogenannte Soundwalk verbindet man Storytelling über Kopfhöreraudio mit physischer Präsenz und Hörspielelementen. Die Wiedergabe erfolgt dabei über eine Smartphone-App, die uns auf einer Karte mit verschiedenen blauen Zonen rund um den Bozner Bahnhof - zwischen dem Waaghaus im Norden, dem Spielplatz, nahe der Pfarrkirche, zum Hl. Josef im Osten, der Kohlerer Bahn im Süden und dem Kapuzinerpark im Westen - die blau markierten Sektoren aufsuchen lässt. Bewegt sich unser GPS-Punkt innerhalb einer dieser Zonen, so können wir uns die von den 48 Aufnahmen diesem Ort zugewiesene anhören. Bislang ist, was wir dort hören, in italienischer Sprache aufgenommen worden, es gibt Pläne für eine deutschsprachige Version des Walks, für den die jungen Kreativen auch mit Bodenwissenschaftlern der Eurac gesprochen haben. Diese wurden in Bezug auf geologische und den Boden betreffende Veränderungen zu Rate gezogen. Gemischt mit einer 10-tägigen „Residency“ in der Stadt, während der Disanto, Galliani Dyrvik und Escuderio Ideen gesammelt haben, ist das Endresultat des Projekts ein etwa zweistündiger Rundgang - es empfiehlt sich daher, auf bequemes Schuhwerk und geladene Akkus zu setzen.
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Eine wirkliche Vorgabe zur Reihenfolge in welcher die Stationen abgegangen werden müssen gibt es nicht, wenngleich den Ausgrabungen unserer „Reiseleiterin“ eine grobe Chronologie nach Monden und Tagen zugrunde liegt. Es gibt auch keine speziellen Aufführungstermine: Auf „Echos“, die verwendete App, kann jede und jeder jederzeit kostenlos zugreifen. Unser Spaziergang als Teil einer kleineren Gruppe führte uns zuerst zur Baustelle des künftigen Waltherparks, der nicht nur als mysteriöse Struktur in Erscheinung tritt, sondern uns auch noch ein weiteres Prinzip dieser speziellen Form des Storytellings offenlegt. Zum einen dass, sich mit Blick auf die Schauplätze der Handlung unsere Fantasie einschaltet und zum anderen, dass diese Geschichte in Schichten freigelegt wird.
Die Blindgänger des Bombardements des 1943 zerstörten Stadttheaters kommen mit fatalen Folgen zurück ans Tageslicht. Mit im besten Fall Umgebungsgeräusche ausblendenden Kopfhörern führt der „Walk“ dann in die entgegengesetzte Richtung der Touristengruppen, die aus ihren Bussen ausgestiegen, direkt in Richtung Christkindlmarkt geschleust werden. „Remember how spring“ ist damit auch perfektes Alternativprogramm bei schönem Wetter für alle Weihnachtsmuffel und Misanthropen.
Ohne auf viele Menschen zu treffen werden wir dabei in Kontakt mit Überbleibseln unserer Zivilisation viel über die Menschheit - damals und in Zukunft - nachdenken. Dass dabei alles von einer Telefonzelle bis hin zur Seilbahn-Kabine zu einer „mysteriösen“ Kapsel mit unbestimmtem Zweck wird, ist dabei noch eine der größten Schwächen des Projekts.
Weitere Schwierigkeiten sind eher technischer Natur: Dort wo es viel vom „grauen Stein des Anthropozäns“ gibt, sowie im Schatten des Kohlererberge,s hat die App oft leichte Schwierigkeiten, unsere Position mittels GPS genau zu finden. Unter anderem „bewegen“ wir uns dann, auch wenn wir stillstehen, in eine der direkt angrenzenden Zonen und zwei Tonspuren überlappen einander. Weitere kleine Unstimmigkeiten, wie wenn unsere Archäologin auf einmal den Namen des so weitverbreiteten wie geheimnisvollen Zements kennt, den sie zuvor nicht kannte, können einen ebenso für kurze Momente aus der Vertiefung in die Geschichte herausholen.
Wenngleich das Projekt „Remember how Spring“ nun abgeschlossen und der Öffentlichkeit zugänglich ist, so ist das Kreativtrio mit dem Bozner Walk und anderen Rundgängen nach seinem Vorbild noch nicht fertig. So war man zum Abschluss des Walks noch einmal ins Waaghaus geladen, wo Wünsche, Anregungen und Verbesserungsvorschläge begierig aufgenommen wurden. Wenn der Ansatz auch ein für Bozen gänzlich neuer und damit noch nicht ganz perfekt ausgearbeitet war, so geht von kleineren Fehlern doch nicht die Welt unter.
Remember how spring & Frail Heart SotriesDas Projekt „Frail Heart Sotries“, welches ebenfalls zu den Gewinnern des WS Calls 2023 gehört, wird am Mittwoch, 18 Uhr im Bozner Waaghaus präsentiert werden. Weitere Infos finden sich hier. Wer hingegen selbst in den Walk „Remember how spring“ eintauchen möchte, der kann dies über diesen Link machen, bzw. den unten stehenden QR-Code einscannen.