Politics | Ruck nach Rechts

Zeitenwechsel in Italien

Nach der Wahl im Frühjahr wird Italien noch rechter und noch unregierbarer sein. Die Frage ist nur, in welchem Mischungsverhältnis dies der Fall sein wird.
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Foto: Pixabay

Wie zu jeder Jahreswende stellte die römische Stadtregierung wieder einen großen Weihnachtsbaum auf die Piazza Venezia. Da er schnell Symptome vorzeitigen Verfalls zeigte (er verlor alle Nadeln), musste er schon nach wenigen Wochen für „tot“ erklärt und wieder demontiert werden. Unter lebhafter Anteilnahme der Römer, die sich schnell darauf einigten, ihn „spelacchio“ („Kahlkopf“) nannten. Und natürlich auch gleich der Versuchung erlagen, in dem Vorgang ein Omen nicht nur für Rom, sondern für ganz Italien zu sehen.

Jetzt steht das Datum fest: Am 4. März 2018 wird in Italien gewählt. Für die Prognose, dass die Rechte gewinnen wird, muss man kein Hellseher sein. Die Chance, dass das zerfallene Mittelinks-Lager vorher noch das Steuer herumreißt, ist ungefähr so groß wie die Chance, dass zum Quartalsende die sozialistische Weltrepublik ersteht. Renzi hat zu oft aufs falsche Pferd gesetzt. Vor einem Jahr sollte das Referendum über die Reform der Verfassung seinen Durchmarsch bis zum Ende der Legislatur absichern. Aber das Volk stimmte statt über die Verfassung über ihn ab – und senkte den Daumen. Er wollte die PD entkalken und zur „Mitte“ öffnen – da liefen nach den interessantesten Köpfen auch die Wähler davon. So dass ihn nun auch die Mitte nicht mehr ernst nimmt.

 

Ritter von der traurigen Gestalt

Es ist ein Symptom, aber mit Aussagekraft: Da Renzis Stärke der öffentliche Auftritt ist, hat er wohl vor ein paar Monaten noch davon geträumt, alles noch durch ein paar spektakuläre Fernsehduelle wenden zu können, in denen er seine politischen Gegner niedermacht. Nun stößt er ins Leere: Nicht einmal duellieren mag man sich noch mit ihm. Erst war es Di Maio, der sofort nach der Sizilienwahl ein verabredetes mediales Aufeinandertreffen platzen ließ, mit der Begründung, für ihn sei nur noch Berlusconi ein Gegner. Als wäre es abgesprochen, zog ein paar Wochen später auch Berlusconi die Zugbrücke hoch: Nur noch mit der 5-Sterne-Bewegung lohne sich das Duell, die PD zerfalle ganz von selbst.

Zumindest bei Di Maio mag auch die Angst im Spiel gewesen sein, dabei von Renzis Dampfwalzen-Rhetorik plattgemacht zu werden. Aber den Luxus können sich jetzt beide leisten. Denn der Sinkflug der PD ist zum Selbstläufer geworden (sie liegt jetzt bei 23 %, 18 % weniger als vor drei Jahren, 8 % weniger als vor einem Jahr, und nähert sich schon den Werten der deutschen SPD). Womit sie immer mehr hinter die 5-Sterne-Bewegung zurückfällt, auch wenn diese bei 26 bis 29 % stagniert. Während sich Berlusconis Rechtskoalition auf die 40 %-Marke zubewegt.

 

Die Misere von Renzis „Koalition“

Zwar versucht auch Renzi, für die Wahl seine “Koalition“ zusammenzubasteln. Aber seit Pisapia die Idee einer Sammlungsbewegung links von der PD aufgab, blieben Renzi nur drei Splittergruppen, an die er sich noch klammern kann: (1) eine linke Liste, die als Reminiszenz für das einstige „Ulivo“-Bündnis ein paar Prodi- und Pisapia-Anhänger, Grüne und Sozialisten erfasst; (2) eine Zentrumsliste, deren Köpfe nur noch Casini und Tabacci sind; und (3) eine „Europa-Liste“, deren Zugpferd Emma Bonino ist, die aber Probleme hat, die für die Kandidatur nötigen Unterschriften zusammen zu bekommen. Klar ist, dass jede dieser Listen höchstens ein paar Prozent einfahren kann, so dass die „Koalition“ bestenfalls mit der 5-Sterne-Bewegung gleichziehen, aber nicht mehr das Rechtsbündnis einholen kann.

Dann gibt es noch die linke Neugründung „Liberi e Uguali“, zu deren Aushängeschild zwar Senatspräsident Grasso gewählt wurde, aber in der allzu viele Renzi als ihren Hauptfeind sehen. Nach den letzten Umfragen könnte sie auf 8 % kommen. Auch mit ihr würde es nicht reichen, um den Rechtsblock einzuholen.

 

Worauf sich Europa einstellen muss

Die Zeit des politischen Bipolarismus, dessen Fassade zuletzt noch die „Mehrheitsprämien“ eines undemokratischen Wahlgesetzes aufrechterhielten, ist vorbei. Diese Prämien gibt es nicht mehr. Der Zerfall Italiens in drei etwa gleichgroße politische Lager wird sich viel deutlicher als bisher in der Zusammensetzung der Kammern widerspiegeln: Kein Lager wird noch eine Mehrheit zusammen bekommen. Das Gespenst der Unregierbarkeit wird zum italienischen Dauerthema werden.

Trotzdem wird das rechte Lager die Wahl gewinnen; die 5-Sterne-Bewegung wird sich auf hohem Niveau behaupten. Mittelinks wird verlieren. Ob es überhaupt noch zur Bildung einer regierungsfähigen Mehrheit kommt, hängt von lagerübergreifenden Bündnissen ab.

Den Sieg der Rechten begleitet ein interner Machtkampf, bei dem es nicht nur um die Person geht: Berlusconi steht für die neoliberal-proeuropäische Rechte, Salvini für die lepenistische Rechte. Wer auf ein lagerübergreifendes Bündnis zwischen Links und Rechts hoffte, setzte – wie Renzi – auf ein Übereinkommen zwischen der PD und Berlusconis Forza Italia. Aber selbst wenn es gelänge, hierfür alle lagerinternen Hindernisse aus dem Weg zu räumen, würde es zur Mehrheit nicht reichen.

Also bleibt beiden Lagern nur das Bündnis mit der 5-Sterne-Bewegung, der damit die Rolle des Königsmachers zuwächst. Entsprechende Annäherungsversuche von Rechts und Links gibt es bereits. Im rechten Lager scheint dafür Salvini prädestiniert zu sein, im linken Lager hat vor Kurzem Bersani einen derartigen Versuchsballon losgelassen (der ihm aber schon den Ordnungsruf seiner Partei einbrachte. Bersani verhandelte schon vor 5 Jahren mit der 5SB über das gleiche Thema, was im streaming vorgeführt wurde). Di Maio hat inzwischen verkündet, selbstverständlich müsse ihn Staatspräsident Mattarella nach der Wahl mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen, weil dann die 5SB die stärkste Einzelliste sein werde. Ob, mit wem und in welcher Form es zu einem Bündnis mit seiner Bewegung kommt, hängt von vielen Faktoren ab. Denn die 5SB fällt ihre politischen Entscheidungen unter Marketing-Gesichtspunkten. Sie muss aber berücksichtigen, dass ihre Wählerschaft aus dem rechten wie aus dem linken Lager kommt, und dass sie sich bisher immer als Kraft gegen die gesamte „Kaste“ definierte.

 

Neoliberaler, fremdenfeindlicher, antieuropäischer    

Nach der Wahl wird die Politik reichenfreundlicher werden – Berlusconi hat schon die Steuersenkungsplatte aufgelegt („für alle“, ohne soziale Komponente), mit der er bisher jeden Wahlkampf bestritt. Die veränderten politischen Machtverhältnisse werden sich auch in der Migrations- und Europapolitik zeigen. Minnitis Kurs, die Flüchtlinge schon in Nordafrika abzufangen, wird fortgesetzt werden, aber mit noch weniger menschenrechtlichen Bedenken. Dass jetzt das Ius soli-Gesetz im Senat gescheitert ist, ist ein Vorgeschmack.

Für Europa wird Italien zum Unsicherheitsfaktor. In dieser Frage ist schon die Rechte gespalten: Berlusconi will in der EU bleiben (mit weniger „Austerity“), Salvini will raus. Di Maio schrieb Macron, dass er „Europa neu gründen“ wolle, und schob nach, bei einer Abstimmung über den Euro selbst mit „Nein“ zu stimmen. Dass sich die 5-Sterne-Bewegung im Europaparlament mit Farage verbündete, war kein Betriebsunfall. Mehr denn je wird Europa nur noch von Deutschland und Frankreich abhängen.