Environment | Protest

Auf dem elektrischen Stuhl

Harald Gasser wird international als Südtiroler Vorzeigebauer gehandelt. Eine Hochspannungsleitung gefährdet jetzt aber die Existenz des Pioniers im alternativen Anbau.
Gasser, Harald
Foto: Aspingerhof.com
Wenn das so umgesetzt wird, muss ich den Hof verkaufen“, sagt Harald Gasser nachdenklich. Sein Vater Gebhard steht daneben und nickt. „Vor 80 Jahren hat man uns diese Masten und diese Leitung hier neben dem Hof gebaut, damit können wir leben, aber nicht damit, dass jetzt alles dreimal so groß werden soll“.
Die beiden Bauern am Aspingerhof in der Fraktion Saubach in Barbian schauen auf den Strommasten. Keine 50 Meter oberhalb des Aspingerhofes geht eine Überlandstromleitung vorbei. Geht es nach den Plänen der Landesverwaltung, dann soll diese Leitung schon bald abgebaut und neue Masten aufgestellt werden. Diese Masten werden doppelt so hoch wie die bestehenden sein und die Leitung soll dann rund das dreifache an Energie transportieren, wie derzeit. Harald Gasser wählt seine Worte bewusst: „Das ist ein Todesurteil“.
Verständlich werden die drastischen Worte des „Aspinger“ - wie Harald Gasser nach seinen Hofnamen in Barbian genannt wird - wenn man sich die Umstände genau anschaut. Es ist eine völlig absurde Geschichte, die deutlich macht welcher Widerspruch in Südtirol zwischen Sein und Schein bestehen kann.
 

Das Aushängeschild

 
Harald Gasser ist eine Persönlichkeit. Der heute 43jährige Bauer war Sozialbetreuer bis er vor 12 Jahren den elterlichen Hof übernimmt. Gasser will dabei von Beginn an eine andere Art von Landwirtschaft betreiben. Nachhaltig, ohne jeglichen chemischen Einsatz und in Einklang mit der Natur. Dazu beginnt er mit alten und seltenen Gemüsesorten zu experimentieren. Heute baut er 800 verschiedene zumeist kaum bekannte Gemüsesorten an. Auch seine Art des Anbaus ist völlig unkonventionell. Als Permakultur mischt der Bauer alle Arten durcheinander, düngt und bewässert kaum und überlässt der Natur die Selbstregulierung. „In der Natur gibt es nur einen Schädling und das ist der Mensch“, lautet eines seiner Credos. Zudem züchtet er mit dem aus Sri-Lanka stammenden Zwergzebu auch eine besondere Rinderart.
 
IDM-Video: Der Saatzieher - Altes Wissen, neue Landwirtschaft.
 
Schon bald wird die Spitzengastronomie auf Harald Gasser und seine Produkte aufmerksam. Zu einem seiner frühesten Förderer gehört der Sternekoch Herbert Hintner, Norbert Niederkofler widmet dem Barbianer Bauer in seinem neuesten Hochglanz-Buch ein eigenes Kapitel. Gassers Produkte und der Aspingerhof sind heute weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Der besondere Bauer wird von der IDM bewusst zu einem Südtiroler Aushängeschild hochstilisiert. Gasser tritt bei Dutzenden Veranstaltungen im Fernsehen und bei Symposien in Italien, Deutschland und Österreich auf. Auf der EXPO 2018 in Mailand wird er als einer der Helden Italiens vorgestellt, der sich für biologische, natürliche und nachhaltige Landwirtschaft sowie für den Erhalt alter Sorten einsetzt. Jede Woche führt der Barbianer Bauer Interessentinnen und Interessenten auf seinen Hof und vermittelt sein Wissen und seine Philosophie. Er verdeutlicht dabei seine Vision für ein nachhaltigeres Südtirol und Italien – und insgesamt für eine nachhaltigere Welt.
Doch diese Erfolgsgeschichte hat im eigenen Land auch seine Schattenseiten. Dazu gehört auch, dass man den jungen Bauern, den man international ins Schaufenster stellt, im eigenen Land Prügel in den Weg legt. Wie jetzt die Stromgeschichte exemplarisch zeigt.
 

Die neue Leitung

 
Mit dem Bau und der Inbetriebnahme des Brennerbasistunnels (BBT) muss der italienische Netzbetreiber TERNA das gesamte Stromnetz im Eisacktal neu organisieren. Zusammen mit dem Land Südtirol hat TERNA dabei ein Gesamtprojekt ausgearbeitet, dessen Ziel  die Potenzierung der Stromverteilung aber auch die Verbesserung der Versorgungssicherheit sind. Zudem sollte ein Teil der bestehenden Freileitungen abgebaut und unterirdisch verlegt werden. Der neue Trassenverlauf der Stromleitungen wurde 2019/2020 in Bürgerversammlungen und auf Informationsveranstaltungen vorgestellt und dabei wurden auch Einwände von Gemeinden oder Betroffenen angenommen. Mitte Juli 2020 veröffentlichte man dann die definitive Machbarkeitsstudie.
 
 
 
„Diese Pläne waren für mich ein Schock“, sagt Harald Gasser heute. Während in vielen anderen Gemeinden im Eisacktal Strommasten abgebaut und Leitungen unterirdisch verlegt werden sollen, verschlechtert sich die Situation für Barbian deutlich. Vor allem aber für den Aspingerhof, wo die Masten doppelt so groß werden und Stromleitung von 110.000 Volt auf 350.000 Volt potenziert werden sollen.
Dabei war im ursprünglichen Projekt der TERNA ein ganzer anderer Verlauf der Leitung geplant gewesen. Die Stromleitung sollte deutlich unterhalb des Aspingerhofs vorbeigehen. Erst nach Einwänden der Gemeindeverwaltung von Barbian war die neue Leitung wieder auf der alten Trasse verschoben worden­.
 
 

Das Gegenprojekt

 
Zufällig wurde die Leitung dabei so geplant, dass sie genau die Grundstücke und Immobilien eines bekannten Barbianer Unternehmers ausklammert, der auch zu den engsten Bekannten und Unterstützern des Barbianer Bürgermeistes Erich Mur gehört.
Harald Gasser glaubt an solche Zufälle nicht. Auch weil seit längerem zwischen dem „jungen Aspinger“ und dem Kreis um den Bürgermeister und den Unternehmer in einer gemeinsamen Interessentschaft ein ernsthafter Konflikt schwelt. Harald Gasser hatte – nach Auffassung seine Gegner – seine Nase in die Dinge gesteckt, die ihn nichts angehen würden. Dabei kamen auch Dinge ans Tageslicht, die den Dorfpotentaten nicht unbedingt zum Ruhm gereichen. Zudem neiden manche in Barbian dem unbequemen Bauern den Erfolg.
Wer Harald Gasser aber kennt, der weiß, dass Widerstand ihn noch mehr anspornt. So ist auch in dieser Geschichte. Der Aspinger gibt sich nicht geschlagen und beauftragt den Brixner Ingenieur Roberto Carminati und dessen Planungsbüro EUT einen Gegenvorschlag zu machen. Carminati arbeitet ein Projekt aus, dem man sowohl bei der TERNA, wie auch bei den zuständigen Stellen im Land, eigentliche nur zustimmen kann. Harald Gasser reicht den Vorschlag als Einwand bei der derzeit anstehenden UVP ein.
 
 
Weil nach mehreren Treffen und auch einem Schriftwechsel mit Landeshauptmann Arno Kompatscher immer deutlicher wird, dass die Vorbehalte gegen den Carminati-Gegenvorschlag weniger technischer als politischer Natur sind – man will das Barbianer SVP-Gleichgewicht nicht ins Wanken bringen -, beginnt Harald Gasser auf die Öffentlichkeit zu setzen.
 

Striscia & Onlinepetition

 
Der junge Aspinger-Bauer nutzt seine Medienkontakte. So bringt die bekannte Satire-Sendung „Striscia la notizia“ am vergangenen Samstag einen ausführlichen Beitrag zum Fall, der von Millionen Zuschauern gesehen wird. Ebenso bietet Wolfgang Mayr Harald Gasser die Gelegenheit in seiner Sendung auf RAI Südtirol ausführlich seinen Fall zu schildern.
Bei der bisher letzten Aussprache zwischen Gasser, Cariminati und den zuständigen Amtsdirektoren wurde jetzt die Möglichkeit ins Auge gefasst, auf die ursprüngliche Trasse zurückzukehren, die TERNA im Projekt vorgeschlagen hatte. Es wäre für den Aspingerhof die beste und einfachste Lösung.
Doch Harald Gasser kann sich damit nicht anfreunden. Die Stromleitung wäre dann zwar von seinem Hof weg, die Freileitung würde gleichzeitig aber zwischen zwei Nachbarhöfen durchgehen. „Ich kann doch nicht die Stromleitung einfach meinen Nachbarn hinüberschieben“, sagt Harald Gasser zu Salto.bz.
Vor zwei Tagen hat er deshalb eine Onlinepetition lanciert. Die Petition mit dem Titel „Todesgefahr ist an das Land Südtirol und die Gemeinde Barbian gerichtet und wurde bereits von über 1.000 Menschen unterzeichnet. „Mein Ziel ist es, dass man die Leitung in diesem Bereich unterirdisch verlegt“, meint Harald Gasser.
Der Kampf David gegen Goliath geht weiter.