Society | Migration

„Eine eins zu eins Zeit“

Das Projekt „Lesementoren“ der Caritas läuft im Pustertal das sechste Jahr. Am 23. April tauschten sich die Vorleserinnen aus, hielten innen, gemeinsam mit der Koordinatorin der Initiative Edina Pusztai.

Wenn Helga sich mit Enxhi trifft, ein mal pro Woche, freuen sich beide. Helga auf die selbstsicherer Art der Viertklässlerin, von der sie sich viel mitnehmen kann, wie sie sagt. Und Enxhi darauf, dass sie eine Stunde lang jemand nur für sich hat. Helga liest mit Enxhi, hilft ihr bei den Hausaufgaben, ist einfach für sie da. „Immer hat sie nicht Lust zu lesen“, verrät Helga, „aber das ist ja auch nicht so wichtig.“ Viel wichtiger sei die Beziehung, die sich zwischen Lesementor und Kind aufbaut, bestätigt auch Edina Pusztai, Leiterin der InPut Stelle der Caritas. 2008 startete das Projekt im Pustertal, mittlerweile gibt es 45 eingetragene Lesementoren, davon 23 aktive. Helga, eine gebürtige Fränkin, war die erste Lesementorin, die Ideenträgerin sozusagen. „Ich bin an die Caritas in Bruneck mit dieser Idee herangegangen, und wir Lesementorinnen wurden bald mehr“, lacht sie zufrieden.

Fremder wird Freund

Das in Deutschland und Österreich schon länger existierende Projekt „Leseomas“, wurde als Vorbild aufgegriffen, konnte aber nicht auf das Pustertal übertragbar werden. „Migranten in Deutschland und Migranten bei uns, das kann man nicht vergleichen. In Deutschland geht es mehr um eine bildungstechnische Sache, dass Migrantenkinder gefördert werden. Ich würde sagen, bei uns geht es um den Kontakt zwischen den Kulturen“, so Pustzai und sie berichtet: "Die Cartias Meran meldet  Interesse an der Lesmigranteninitiatvie, das freut uns sehr."

Enxhi kommt aus Albanien, ihre Eltern schätzen das Projekt sehr. „Das ist für die Kinder entscheidend, davon hängt viel ab“, erklärt auch Angelika Rederlechner vom Dienst für Freiwillige Arbeit der Caritas.

Zu Schulbeginn werden Eltern von Migrantenkindern auf das Angebot der Lesementoren hingewiesen, in 14 Sprachen. „Viele Eltern, die aus einem anderen Kulturkreis kommen, tun sich erst mal schwer zu verstehen, dass dies eine freiwillige Sache ist. Dass das jemand einfach so tut, das ist für sie schwer verständlich. Dafür ist nach ihrer Vorstellung die Großfamilie zuständig.“ Edina Pustzai weiß, es gibt auch Stolpersteine, Geduld ist von beiden Seiten wichtig. Für die Eltern der Migrantenkinder drängt sich oft die Frage auf: Wie kann ein Fremder ein Freund sein, aber gleichzeitig doch auf bestimmte Rahmenbedingungen bestehen? Bring- und Abholzeiten vereinbaren, Schuhe ausziehen vor der Tür, so kommen sich Kulturen näher, gibt Pusztai zu verstehen. „Das Lesen ist ein Brückenschlag, aber es geht um viel Wesentlicheres, nämlich dass Menschen zueinander finden.“

Gegenseitiges Lernen

Betreut werden von den Mentoren stets Menschen mit Migrationshintergrund: Kinder, junge Frauen zwischen 20 und 30, die oft eine Sprachbegleitung brauchen, aber auch Teenager sind mit viel Eifer dabei: „Ich betreue einen jungen Mann, er ist jetzt 14, kommt aber immer regelmäßig und sehr verlässlich“, erzählt eine Frau aus Bruneck. „Er interessiert sich sehr für Technik, wir schauen dann gemeinsam Sportzeitschriften an. Und wenn er seinen Laptop mit hat, dann zeigt er mir immer etwas Neues. Ich kann viel von ihm lernen.“ Die Grenze zwischen Geben und Nehmen ist fließend, das zeigt das Treffen der Lesementoren in Bruneck einmal mehr. Und, dass es nicht um einen schulischen Charakter geht, denn Stützunterricht hätten die Migrantenkinder in der Schule reichlich, am Nachmittag ist Freizeit angesagt.

Il libro

Dem Buch als Kulturmittler kommt bei dem Austausch zwischen Einheimischen und Zugereisten eine entscheidende Rolle zu. Auserkoren wurde deshalb auch die Bibliothek als Treffpunkt, um den Kindern und jungen Menschen eine Realität unseres Lebens aufzuzeigen. „Quando Riccardo mi aspetta in biblioteca sta sfogliando sempre un giornale. Ha preso l'abitudine di leggere mentre aspetta“, sagt Veronica begeistert. Das Buch sei für sie ein neutrales Ding, etwas, das genommen wird, im Mittelpunkt steht und somit eine langsame Annäherung zwischen den Personen ermöglicht. Berührt hat Veronica etwas ganz besonders: „Di prestare la mia voce ad un 13enne, leggendo a voce alta. Questo mi ha fatto tanta impressione.“